Wie ausgestorben

Berg und Wasser , 04. bis 26.10.2015

Vormittags zum freien Vergnügen in Yangshuo, am Nachmittag gemütliche 28 Kilometer nach Pingle. Sommersonnig.

In den 20 Jahren ihres Bestehens wurde die Tour Berg und Wasser immer wieder modifiziert. Wie bereits geschrieben kam ab dem zweiten Termin die Bergarbeitersiedlung Siding als Übernachtungsort hinzu und musste später mangels adäquater Übernachtungsmöglichkeiten wieder gestrichen werden. Die ersten Jahre unternahmen wir noch einen Tagesausflug zu heißen Quellen in der Nähe von Longsheng, bevor dieser durch die Reisterrassen um Pingan ersetzt wurde.

Die letzte Überarbeitung hatten wir 2013 vorgenommen. Bis zu diesem Jahr endete die Tour in Yangshuo bzw. Guilin, danach erweiterten wir die Strecke hinter Yangshuo um gute 350 Kilometer in Richtung Guangzhou, also nach Südosten. Da ich die Tour das letzte mal 2004 gefahren war beginnt ab heute auch für mich Neuland und ich beende hiermit den Retroblog.

Dass sich China in den letzten 20 Jahren rasend schnell verändert hat muss ich wohl kaum schreiben, das dürfte allgemein bekannt sein. Vor 20 Jahren war China noch ein 3.-Welt-Land, heute hat es die Schwelle zur Industrienation bereits überschritten. Den Chinesen gönne ich die Modernisierung und den damit verbundenen Wohlstand von ganzem Herzen, nie ging es der chinesischen Bevölkerung so gut wie heute!

Allerdings gibt es dabei einen ganz großen Verlierer, wie ich allgemein auf meinen letzten Reisen in China und auf dieser besonders feststellen musste: der Wasserbüffel. Das Arbeitstier ganz Südostasiens schlechthin war gerade in der Region Guilin massenhaft anzutreffen. Der Wasserbüffel gehörte mit zur Landschaft wie die allgegenwärtigen Karstkegel. Entweder einzeln eingespannt vor dem Pflug im Reisfeld, meist aber im Herdenverband grasend oder im Wasser suhlend waren die recht trägen Kolosse überall zu sehen und verströmten eine Gelassenheit, die Ihresgleichen sucht. Dieses Jahr allerdings suche ich sie, die Wasserbüffel, vergeblich. Meine Teilnehmer behaupten schon einen gesehen zu haben, aber ich noch keinen einzigen seit unserer Ankunft vor 13 Tagen. Mir kommt es vor, als wären die Wasserbüffel bereits ausgestorben. Wie schade, denn Wasserbüffel sind meine absoluten Lieblingstiere 🙁

Wie ausgestorben schien auch unser heutiger Übernachtungsort Pingle.

Angesichts der nur weniger als 30 Kilometer langen und dazu noch ziemlich flachen Etappe hatten wir uns den Vormittag frei gegeben, um Yangshuo auf eigene Faust unsicher zu machen. Die Gruppe versammelte sich erst um 12 Uhr wieder und traf bereits um 14 Uhr in Pingle ein. Über Pingle hatte ich mich im Vorfeld der Reise kaum informiert und war irgendwie davon ausgegangen, dass es ein ziemlich kleiner, unintessanter Ort ist. Jedoch weit gefehlt, schon die Fahrt vom Ortseingang bis zu unserem Hotel zog sich über fast drei Kilometer hin, und dass die Stadt noch viel größer ist sollten wir erst am nächsten Tag bei der Ausfahrt erleben.

Ankunft wie gesagt um 14 Uhr, Schmutzbier in der Lobby vom Hotel und um 16 Uhr Abmarsch zur Ortsbesichtigung. Zu sehen gäbe es in Pingle nichts, sagt mir die Dame an der Rezeption. Umso besser, schlendern wir einfach ziellos umher!

Heute ist Sonntag. In einer Ortschaft vergleichbarer Größe wie Pingle in Deutschland könnte man auch Tote-Hose-Tag dazu sagen. Alle Läden dicht, keiner auf der Straße, jeder fest eingeschlossen in seinem Eigenheim. In China hingegen erkennt man einen Sonntag daran, dass noch mehr Menschen auf den Straßen sind. Behörden, Büros, Banken und die meisten Fabriken haben zwar Ruhetag, aber Geschäfte und Restaurants sind in China fast 365 Tage im Jahr geöffnet. Die am Sonntag arbeitsfreie Bevölkerung nutzt den Tag somit zum ausgiebigen Shoppen. Scheinbar nicht so in Pingle, auf unserem Rundgang durch Hauptstraße und Nebengässchen begegnen uns nur vergleichsweise wenige Menschen.

Wir flanieren über eine erst in den letzten Jahren angelegte Uferpromenade des Gui Flusses und entdecken anschließend doch noch so etwas wie eine Altstadt. Jedenfalls ein paar Bauten aus der prärevolutionären Zeit. Aber fast wie ausgestorben.

Abendessen im Restaurant gegenüber vom Hotel. Wir sind die einzigen Gäste, auch hier fast wie ausgestorben. Allerdings hatte am Nachmittag eine Hochzeitsgesellschaft im Restaurant getobt. Der strenge Geruch von chinesischem Schnaps lag noch in der Luft und bei unserer Ankunft am Nachmittag im Hotel sahen wir das Empfangskomitee für die Hochzeitsgäste vor dem Restaurant.

Vielleicht ist Pingle gar nicht so ausgestorben, sondern man klappt einfach nur recht frühzeitig die Bürgersteige hoch und sagt dem Tag gute Nacht? Vielleicht sollten wir das nächste Mal doch schon vor dem Mittagessen hier eintreffen? Vielleicht tanzen so früh auch noch Wasserbüffel durch den Ort? Ich muss unbedingt nochmal wiederkommen um das herauszufinden!


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