Schlange, Mekong und fast nicht mehr China

Goldenes Dreieck, 03. bis 28.11.2012

Jinghong, Anreise und Probetour mit dem Rad in die Umgebung, 4. und 5.11.2012

Nach drei Flügen und einiger Wartezeit sind wir gut in Jinghong angekommen. Die Bezirkshaupstadt von Xishuangbanna liegt am Mekong, hat eine knappe Million Einwohner und wirkt sehr beschaulich. An den Häusern ist klar der südostasiatische Einfluss erkennbar, der lokale Dialekt ist kaum zu verstehen, die Dai (größte „Minderheit“ in dieser Region) sprechen eine Sprache, die zur Thaifamilie gehört. Ich habe den Eindruck, nicht mehr so ganz in China zu sein.

China, Laos und Thailand sind die drei Länder des „Goldenen Dreiecks“, die wir in den nächsten dreieinhalb Wochen zu acht mit dem Rad erkunden werden. Vorerst sind wir vor allem müde, können uns aber noch aufraffen, über den Nachtmarkt ins nahe Mekong Café zu schlendern. Nach einem ersten chinesischen Essen lädt uns der spanisch-französische Besitzer zu einer Besonderheit ein: Schnaps, natürlich hochprozentig, aus einem großen Glas gezapft, das außer ein paar Kräutern und Wurzeln noch eine Schlange beherbergt. „Das müsst ihr trinken, es ist eine lokale Spezialität und gilt außerdem als Medizin“… und schon stehen acht volle Gläser vor uns. Warum nicht, denke ich mir, dann können wir sicherlich gut schlafen…

Den nächsten Tag lassen wir ruhig angehen. Frühstück, der obligatorische Gang zur Bank und eine Probetour mit den Rädern in die Umgebung. Die Luft ist feuchtwarm, das Thermometer zeigt 27 Grad im Schatten. Die Stadtstraßen sind gesäumt von Palmen, auf der neuen Mekongpromenade treffen sich ein paar Anwohner zu Taiqiübungen, sonst ist es eher ruhig am Fluss. Es ist Nachsaison, die Touristenströme sind wohl schon abgereist, so dass wir bequem am Ufer entlangradeln und unsere Füße in den Mekong halten können. Wie schön wäre jetzt ein kühles Bad, denke ich, aber der Fluss wird uns noch einige Male auf der Reise begegnen.
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Ein Abschluss mit Superlativen

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Shanghai, Shanghai, Shanghai

Shanghai in anderthalb Tagen ist eine Herausforderung, die wir ganz gut gemeistert haben, wie ich finde. Alt und neu, groß und winzig, hübsch und hässlich sind in dieser Stadt auf engstem Raum zu finden. Die Altstadt mit dem Yu-Garten im Herzen ist voller Touristen, Basargassen gehen über in kleine Hausviertel, in denen Wäsche und Stromkabel über die Straße gespannt sind und nur der Bauzaun daran erinnert, dass die Zeit hier nicht stehenbleibt und der nächste Wolkenkratzer schon längst im Modell des Stadtplanungsmuseum zu begutachten ist, während das benachbarte Shanghai Museum uns die nationale Kultur der letzten Jahrtausende näherbringt.

Schnell pulsiert das Leben in der Stadt und wir lassen uns treiben. Durch die East Nanjing Road, Chinas angesagter Shoppingmeile, am Paulaner vorbei im Xintiandi, wo traditionelle Shikumen in neugebauter Pracht erstrahlen, hinein in die Metro und hinauf auf die seinerzeit höchste Aussichtsplattform der Welt. Der Flaschenöffner wird demnächst als höchstes Gebäude Shanghais abgelöst, das Konkurrenzhochhaus nebenan ist schon so gut wie fertig. Mir gefällt der Blick Richtung Kolonialzeit und Bund besser als der nach Pudong. Vielleicht liegt es daran, dass am Fuße der Wolkenkratzer ein paar Vögel durch Seegrasbüschel flitzen – an einer winzigen Stelle rauschen die Wellen des Huangpu an den Uferstrand der Kanalmauer und erinnern daran, dass die Welt nicht nur aus Beton und Lichtermeer besteht.

Mit dem Transrapid und seinen leicht ruckeligen 431 Stundenkilometern zum Flughafen beenden wir die Superlative. Hinter uns liegen drei angefüllte Wochen, Städte und Dörfer, großartige Landschaften und gut 100 Kilometer Schluchtenwege, eine Maximalhöhe von 3.966 Metern und jede Menge neue Erfahrungen. Auf dem Heimweg reden wir schon von neuen Zielen. Wie hatte Gerd es einmal so schön formuliert – „nach der Reise ist vor der Reise“.

Steinwald

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Besichtigungstag am Naigu-Steinwald

Kunming steht im Zeichen des Baus. Die neue U-Bahn verwandelt die Stadt der Blumen in ein Gemisch aus Bauzäunen, Kränen und allerlei Zubehör. So klafft auch neben dem zentrumsnahen Camelliahotel eine tiefe Grube, was den Umzug des Hauses erklären dürfte. Ich möchte hier mal eine Reisewarnung aussprechen: das neuen Camellia hat längst nicht zu seiner alten Form gefunden und erinnert an einen der unzähligen „Kaderkästen“ des Landes, bitte erwartet nicht zu viel von Teppichen, Tapeten und Flair.

Den gestrigen Tag hatten wir vor allem im Auto verbracht, zweieinhalb Stunden Stillstand auf der Autobahn von Dali nach Kunming ohne erkennbaren Grund, auch das ist China. Die späte Ankunft in der Baustadt Kunming hat die Stimmung nicht gerade gehoben. So sind wir am Morgen etwas erschöpft und wollen uns wirklich nicht mit tausenden Chinesen den Großen Steinwald anschauen (der wegen des weit vorgezogenen neuen Eingangs mit riesigem Parkplatz und einer Schlange Elektroautos, die die Entfernung zu den Steinen für schlappe 25 Yuan/Person überbrücken, mittlerweile auch eine Reisewarnung verdient). „Den Naigu Steinwald will doch niemand sehen“, mault unser Fahrer, als er uns ein paar Kilometer weiter absetzen soll. Unesco-gefördert, hübsch angelegt und im Kombi-Ticket inklusive ist diese Stelle, die von den meisten Besuchern verschmäht wird. Wir jedenfalls mögen sie, und als die Sonne herauskommt und das Blumenmeer vor den bizarren Steinformationen bescheint, sieht die Welt schon wieder besser aus.

Drei Stunden haben wir unsere Fantasie spielen lassen und sind mit der Kamera bewaffnet durch die Felsen gelaufen. Wir hätten es sicher länger ausgehalten, aber wenn wir noch den Blumen- und Vogelmarkt in der „Old Street of Kunming“ suchen, letzte Souvenirs kaufen, eine Teezeremonie abhalten und nach dem Abendessen in traditionellem Hause durch die Fußgängerzone in Richtung Bett zurückschlendern wollen… Morgen stehen wir wieder um fünf Uhr früh in der Lobby, um den Bus zum Flieger nach Shanghai zu erwischen. Ab jetzt ruft die Großstadt. Shanghai ist eine ganz eigene Welt, nicht mehr wirklich China, für manche ein Schock, andere sind fasziniert… wir werden sehen.

Dann eben doch ganz rauf

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Seilbahn auf den Gipfel des Cangshan-Gebirges

Gestern hatte ich noch erzählt, dass diese Wanderung ziemlich langweilig würde im Vergleich zu dem, was wir schon gegangen sind. Und zum Gipfel ginge es eh nicht rauf. Das Cangshan Gebirge, das Ziel unserer letzten Bergetappe, erstreckt sich am Westufer des Ohrensees und erreicht am Malong-Gipfel eine Höhe von 4.122 m. Zwischen See und den Bergen liegt die Altstadt Dali auf gut 2.000 m. Auf „halber Höhe“ (2.600m) ist ein gepflasterter Weg angelegt, der zwölf nicht sehr abwechslungsreiche Kilometer durch Kiefernwald verspricht, mit einigen Ausblicken auf den 50 Kilometer langen See und die Stadt.

Aber wir sind eben in China und die Entwicklung geht ziemlich schnell voran. „Die stadtnahe Seilbahn zum halben Weg ist nicht mehr in Betrieb“, erzählt Asha grinsend. Na, dann eben doch ganz rauf, mit der neuen Seilbahn auf 3.900 m Höhe. Nach dem Frühstück im Hotelinnenhof machen wir uns auf den Weg. An der Talstation staunen wir nicht schlecht: leicht und mit jeglicher Art Schuhwerk bekleidete ChinesInnen stehen vor uns in der Schlange. Dass wir mit unserer Bergausrüstung und allem, was der Koffer hergibt, nicht ganz fehl am Platz sind, zeigt sich knappe 2.000 Höhenmeter später. Im dichten Nebel steigt die Hälfte der Berggäste kurz zum Foto aus und fährt schlotternd mit der nächsten Bahn wieder ins Tal. Die andere Hälfte leiht sich für 30 Yuan rote Wintermäntel aus, und steigt die letzten Meter auf den Gipfel (hier gibt es Treppen mit Geländer, wie es sich für chinesische Berge gehört). Andreas ist der Star des Tages und könnte hier eine Modelkarriere anfangen. Der Nebel lichtet sich nicht, aber die Atmosphäre ist auch so prima: tolle Luft, Wolkenfetzen schweben zwischen den Bäumen, zwischendrin taucht ein keiner Bergsee auf… ich komme mir vor wie in einem Gemälde. 3.966 m ist also unser höchster Punkt der Tour, und geschwitzt haben wir dafür nur ganz wenig.

Irgendwann wird es selbst uns zu kalt, und wir machen uns auf „in die Tropen“, um uns in die feiertagslaunigen Massen zu stürzen.


Ein vergessenes Königreich

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Transfer über den Steinschatzberg nach Dali

Die Anlage liegt tief in den kiefernbewachsenen Hügeln, irgendwo zwischen Jianchuan und Dali. Sie ist so abgelegen, dass die Tempel und Höhlengrotten aus dem Nanzhao Königreich die Zeit weitgehend unbeschadet überdauert haben.

Hauptattraktion sind heute aber die Affen, die hinter dem Baoxiang Tempel leben und sich immer dann zum Parkplatz hinunterschwingen, wenn genügend Besucher mit Futter locken. Vor uns waren schon genügend Touristen da, denn die Tiere scheinen nicht besonders hungrig zu sein. Also steigen wir Treppen, besuchen Tempel und Höhlengrotten und lassen die Szenen aus dem Nanzhao Königreich (ca. 650 bis 1250 n.Chr.) auf uns wirken. Dieses Königreich hat eigenständig am Rande des großen chinesischen Reiches existiert, bis die Mongolen fast ganz Asien überrannt haben. Die Höhlengrotten von Jianchuan sind nicht so großartig wie manch andere in China, zeigen aber buddhistische und Hofszenen aus einer sonst vergessenen Zeit, in der die verschiedenen Einflüsse aus China, Tibet und den vielen Bergvölkern des Dreistromlandes (hier fließen der Yangtze, der Mekong und der Salween 30 bis 60 km voneinander entfernt in parallelen Tälern Richtung Süden) an diesem Ort zusammengelaufen sind.

Den Abend verbringen wir schon in Dali. Vergessen sind alte Handelswege und Königreiche, jetzt sind flanierende Menschenströme, bis in die Nacht tätige Silberschmiede und Marktstände, Cafés und Massagebuden angesagt.

Ruhetag am Lugu See

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Der Tag am See beginnt mit einem Umzug in die Jugendherberge, die für diesen Regentag über sehr geeignete Aufenthaltsräume verfügt (die andere Herberge war bei allen durchgefallen). Mitten auf dem Lugu See prasselt es auf uns herab, wir haben keine Chance zu entkommen. Auf der Wanderung hätte dieser Regen die Stimmung sehr gedrückt. So kommen eben alle mitgebrachten Regensachen zum Einsatz. Auf zwei Inselchen besichtigen wir kleine Tempelklöster und erreichen das Ufer, bevor der Wind richtig zulegt und wild über den See fegt.

Am Lugu See ist es touristisch geworden, es gibt eine kleine Flaniermeile, Cafés und Restaurants, aber die großen Massen bleiben noch aus. Es sind vor allem junge chinesische Individualtouristen, die den weiten Weg hierher finden. Paare oder kleine Gruppen tummeln sich am Ufer, um das gefühlt hunderttausendste Foto der Saison zu machen. Gut, dass ich diese Gegend nicht „von früher“ her kenne, denn so gefällt mir das Fleckchen Erde ganz gut. Der Lugu See ist eine der Gegenden, in denen das Matriarchat noch gelebt wird. Die Mosuo Frauen schicken (wie schon berichtet) ihre Männer tagsüber vom Hof, mehr haben wir diesmal nicht herausfinden können.

Das Wasser ist klar (Schwimmen ist aus Umweltschutzgründen leider nicht erlaubt), die Berge ringsherum sind noch dicht bewaldet, ein wenig (Regen)Idylle können wir nach der Wanderung schon vertragen.

Mehr Gebräuche und ein Abschied

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Zhuanzi Lin nach Yongning, 15 km, 4 Stunden reine Gehzeit

Weiter geht es durch den Zauberwald, am Bach entlang und nach zwei Stunden wieder hinunter ins Tal. Irgendwo in der Ferne ist ein Donnergrollen zu hören. Wir werden doch nicht noch nass werden?

Wir wandern durch einige Yi-Dörfer. Wie wir später erfahren, herrschen hier noch alte Sitten und Gebräuche. Die Kinder werden oft schon verheiratet, sobald das Geschlecht des ungeborenen Babies bestimmt werden kann. Das wird später teuer, wenn die Ehen nicht passen und wieder geschieden werden – was mittlerweile häufig vorkäme, berichtet uns ein glücklich (und teuer) geschiedener Yi.

Blaue Zelte in den Dörfern machen uns klar, dass in Yunnan ab und zu die Erde bebt, wie hier vor drei Monaten. Das Beben hat einigen Schaden an den Häusern angerichtet und die Hilfszelte sind bisher nicht abgeholt worden.

Das Glück ist auf unserer Seite und wir erreichen Yongning kurz vor den ersten Regentropfen. Nur auf dem Weg zum tibetisch buddhistischen Tempel werden wir etwas nass.

Kurz vor dem Abschiedsessen mit unseren Pferdeleuten zeigt sich noch ein Regenbogen. Den Rückweg werden die drei Einheimischen in zwei Tagen bewältigen, wir haben fünf dafür gebraucht. Wir sind jedenfalls froh, so zuverlässige Guides gehabt zu haben und wünschen einen guten Heimweg.


Im Pumi-Land

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Gewa nach Zhuangzi Lin, 11 km, 3h 10 min reine Gehzeit, 580 m Aufstieg

Die heutige Etappe ist kurz, also lassen wir uns viel Zeit. Vor allem auf dem Hof einer Pumi-Familie. Es gibt so viele Details hier, dass man den ganzen Tag mit Schauen verbringen könnte: Schweine-, Kuh- und Hühnerstall befinden sich am Hofeingang hinter dem riesigen Wallnussbaum, dahinter geht es zum zweistöckigen Wohnhaus. Im Flur sind Arbeitsutensilien wie Sägen und Sättel feinsäuberlich aufgehängt, der Hof ist voller Pflanzen, außerdem wird hier Schinken getrocknet. In der Hofmitte wartet das Butterfass auf frische Yakbutter, die aber gerade aus ist. Die Symbole über der Küchentür sind mir noch weitgehend unbekannt, sie haben irgendetwas mit dem Bagua, der chinesischen Wahrsagerei, zu tun. Das obere Stockwerk ist verhangen und für Besucher gesperrt. Dort sind Bilder von verstorbenen Verwandten aufbewahrt und ein Lama hat hier eine Zeremonie abgehalten. Mehr kann ich aus dem Pumi-Dialekt nicht heraushören. Wir bekommen eine ordentliche Portion Nudeln zum Mittag und Fladenbrot und gekochte Eier als Proviant für unterwegs. Und weil wir in dieser Umgebung nicht das Gesicht verlieren wollen, hilft Andreas Sabine und Lutz beim Aufessen.

Zelten im Zauberwald stand auf dem Programm. Kaum zu glauben, aber die Beschreibung war nicht zu blumig. Dichter naturnaher Wald mit viel liegengelassenem Totholz trifft es ganz gut, die Licht- und Schattenspiele tragen zur mystischen Stimmung bei. Was uns aber viel mehr interessiert ist der Bach an unserem Zeltplatz, in dem wir uns endlich richtig waschen können und der das mitgebrachte Bier angenehm herunterkühlt. Der Rest des Tages vergeht mit süßem Nichtstun und endet mit romantischen Instantnudeln am Lagerfeuer.


Faltenrock und Hausverbot

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Shanmei nach Gewa, 16 km, 5 Stunden reine Gehzeit, 1085 m Aufstieg

Was ist nun besser, das Radfahren oder Wandern? Irgendwie hat beides seine Vor- und Nachteile. Als überzeugte Radlerin mag ich den Wind um die Nase, das Tempo und die Freiheit an Rücken und Füßen. Auf längere Strecken muss man beim Wandern verzichten. Dafür hat man Zeit, die Gegend zu betrachten und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Keine Hupen, keine Überholmanöver, keine Plattfüße, die geflickt werden wollen, aber auch fast keine Menschen unterwegs.

Ich muss an das Buch „Das Land der Töchter“ denken, eine Kindheit im Matriarchat der Mosuo. Die Mosuo sind so etwas wie eine Untergruppe der Naxi mit viel tibetischem Einfluß. An den Hängen wehen Gebetsfahnen, der Duft von Yakbutter hängt in den Häusern und die/der erste Stupa taucht auf. Natürlich möchte ich wissen, wie es heutzutage bei den Mosuo zugeht, und frage am Abend am Feuer in unserer Herberge (heute zur Abwechslung mal richtige Zimmer) nach. Eigentlich müssen sich die Männer am frühen Morgen durch die Hintertür hinausschleichen und dürfen erst am Abend wiederkommen. Was sie dann den ganzen Tag machen? Ein wenig arbeiten und ein wenig relaxen, vermutet Lucy und meint, dass die Frauen hier am fleißigsten seien. Bei den Mosuo dieser Gegend ist es heute nicht mehr ganz so streng, die Männer dürfen sich auf tagsüber auf dem Hof aufhalten und nützlich machen. An die alten Zeiten erinnert nur noch die Oma, die im dunklen Faktenrock, bunt bestickter Weste und hübsch gewickeltem Turban auf der Treppe sitzt, aber nicht fotografiert werden möchte. Am Lugu See könne man noch Formen des Matriarchats finden. Ich vermute aber, dass unser Aufenthalt dafür zu kurz sein wird.


Drei Pferde und neun Gefährten…

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Liuqing nach Shanmei am Yangzi-Ufer, 15 km, 4 Stunden reine Gehzeit, leichter Aufstieg bei Hitze

… so sind wir unterwegs. Mittlerweile gewöhnen wir uns an das tägliche Ritual. Wir stehen beim ersten Licht auf, packen unsere sieben Sachen und evtl. die Zelte zusammen, frühstücken ein wenig Müsli und warten auf die Pferde. Die sind meist über Nacht auf einer Wiese angebunden und wollen erst gefüttert werden. Mit Verladen des Gepäcks (zuerst eine Decke über den Pferderücken, darüber ein einfacher Holzsattel geworden, zum Schluss werden die Säcke und Taschen mit einfachen Seilen in drei Handgriffen verschnürt) dauert das Ganze etwa eine halbe Stunde.

In den 1930er Jahren war der Österreicher Josef Rock in dieser Gegend für den National Geographic unterwegs, hat Pflanzen bestimmt und die Naxi-Sprache erforscht. Wegen der kriegerischen Zeiten hatte er etliche Begleiter dabei und sein kleines Handgepäck, darunter goldenes Besteck und eine Faltbadewanne. Ganz so exzentrisch sind wir nicht, aber schon nahe dran, denke ich insgeheim und unterdrücke mein schlechtes Gewissen beim Blick auf unsere Bündel. Trotzdem legen die zierlichen Pferdchen ein unglaubliches Tempo vor, bei dem wir nicht mehr mitkommen.

Heute verlief der Weg zunächst entlang einer kleinen Straße recht eben am Berg. Die neugebaute Straße war aufgrund von Erdrutschen nicht mehr befahrbar und fing schon an zu verwildern. „Diese Baumaßnahme hätte man sich sparen können“, meint Lutz dazu. Lucy hat Angst, dass uns die „öffentliche Straße“ nach den winzigen Pfaden vom Vortag zu langweilig sein könnte. Aber so haben wir Zeit zum Schauen, Fotografieren und zum Plaudern. Am Mittag erreichen wir Fengke, eine größere Ortschaft, die sogar ein Restaurant mit großen Stühlen hat (kleine Hocker sind ganz nett, aber nach einem Marsch gewöhnungsbedürftig). Auf dem Abstieg zum Yangzi-Ufer kommen wir an der Grundschule (die Kids haben gerade Pause und essen in den Klassenzimmern ihren Reis, nur die mutigsten trauen sich näher an uns heran) vorbei und schlängeln uns durch Mais- und Tabakfelder zur Hütte des Fährmanns. Eigentlich wollten wir am Ufer Zelten, aber der Wasserpegel ist zu hoch. Hochwasser oder Staudamm? Für Hochwasser fließt der Fluss hier zu träge dahin, ich tippe auf einen Staudamm, was der Fährmann bestätigt. Der Energiehunger hinterlässt leider auch hier Spuren. Hier weiß keiner so genau, wo sich der Damm befindet, da muss ich wohl später googeln.

„Ihr könnt doch auf der Baustelle der Brücke campen, da ist es eben und um sieben gehen die Arbeiter nach Hause. Es sind fast alles Locals, also ein ganz sicherer Ort“. Ich traue meinen Ohren nicht, auch Lucy schüttelt leicht entsetzt den Kopf, als wir mit dem Fährmann nach alternativen Zeltplätzen suchen. So alternativ wollten wir es doch nicht haben und landen wieder mal im Hof des netten Gastgebers.