Schluff

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Schwer zu sagen wie „Siltstone“ übersetzt wird. Am ehesten „Silt“, wie einfallsreich, aber besser noch „Schluff“, was das eindrucksvollere Wort ist. Gemeint ist in beiden Fällen ein Sedimentgestein – beispielsweise ein Material, welches von den Hängen der Umgebung ins Meer erodiert, sich verfestigt und irgendwann auftaucht, z.B. wenn sich das Meer vor etwa 50 Millionen Jahren zurückzieht. So geschehen bei der Insel Ping Chau, die Gesteinsformationen dort sind besonders und unterscheiden sich von allem, was man als Geologe sonst so in Hongkong entdecken darf.

Ping Chau liegt im äußersten Nordosten der Hongkong SAR, wir haben nun also ihren südwestlichsten Punkt (Fan Lau) als auch den nordöstlichsten Punkt kennengelernt, Respekt! Die Insel ist abgelegen, wir sind knapp 30km mit dem Boot hierher gefahren, kaum Verkehr auf See, alles andere um uns herum wurde im Nebel eingedämpft. Zweimal sind wir von der Grenzpolizei kontrolliert worden, die Volksrepublik ist um die Ecke, ein paar Kilometer von der Insel entfernt. Die Küstenlinie steht direkt vor uns. Ping Chau war eine bekannte Schmugglerinsel, später wurde es von Flüchtlingen aus der VR angeschwommen, v.a. während der Kulturrevolution. Heute hat die Natur Besitz ergriffen und die leerstehenden Hütten sind fast allesamt zugewachsen. Ein paar Einwohner basteln trotzdem am ersten Stromnetz.

Später waren wir auf der Grasinsel, Tap Mun, das ist schon zivilisierter. Insgesamt bewegen wir uns langsam und vorsichtig voran, nur kein Stress heute. Beine und Rücken schmerzen nach der gestrigen Etappe, eigentlich nur mir habe ich das Gefühl. Es ist in jedem Fall gut, sich ein bisschen durch die abgelegenen Gewässer schippern zu lassen, kleine Spaziergänge und dann ein Nickerchen. Abends waren wir Grillen unter pubertierenden Legionen in Ferienstimmung, da schwebten einige Hormone in der Luft. Wo wir schon beim Thema sind: Nach einer kleinen Siegesserie unserer weiblichen Besatzung (Hilde und Alexandra haben bis jetzt unsere Mahjong-Spiele gewonnen) hat Peter heute zurückgeschlagen, danke dafür! Auch wenn ich persönlich mich ganz klein fühle und mich weit hintenan stellen muss.


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Sonntag Wandertag

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Unsere Wanderungen waren bisher einsam und kontemplativ. Obwohl das Wegenetz hier toll gepflegt und ausgeschildert ist: nichts war los auf den Wanderpfaden Hongkongs. Hier gibt es vier große Trails: den Hongkong Trail auf Hongkong Island, den Lantau Trail, den MacLehose Trail, der quer durch die Territories geht, und der Wilson Trail, vom äußersten Süden in den äußersten Norden. Dazu eine Menge kleinerer Wege und alle wohlgepflegt.

Dass die Trails wohl wichtig für die Bewohner der Stadt sind, haben wir heute gemerkt. Sonntag Wandertag, wie in meiner Kindheit. Gutgelaunte Gruppen singen die 9 Töne ihrer Sprache, ab und zu ein Wandersmann mit Kofferradio, das alten Cantopop spielt. Alle sind zuvorkommend und höflich. In Hongkong gibt es eine breite Mittelschicht, die Ausgleich und Bewegung sucht, in der Volksrepublik noch nicht. Radreisende und Wanderer sind im Mutterland noch sehr exotisch, kaum jemand würde für so einen Quatsch seine Energie verschwenden. Der VR China haben wir heute übrigens in den Hinterhof geschaut, aus dem dunstigen Horizont erhob sich mächtig die junge Metropole Shenzhen. Hongkong wird in naher Zukunft ein kleines nostalgisches Anhängsel der Megastädte am Perlfluss sein, da bin ich mir sicher. Es wäre nett, wenn es dabei so grün bleiben dürfte.

Gegen Mittag dünnt der Wanderverkehr etwas aus, was an unserem harten Programm liegt, das ist auf jeden Fall für Fortgeschrittene. Wir laufen dieser Tage den Wilson Trail entlang, heute Etappen acht und neun, das müssen die härtesten sein. Wir haben uns jede Aussicht redlich erschwitzt, es hat sich alles gelohnt. Etappe neun endet mit Pat Sin Leng, den „Acht Unsterblichen“, d.h. einem Kamm der sich in acht kleine Erhebungen auffächert, sehr schön und mythologisch. Aber schon davor ging es kilometerlang und noch viel unsterblicher bergan und bergab, und dann noch der ursprünglichen Aufstieg… Wenn Reinhold Messner seinen nächsten Nanga Parbat-Vortrag hält, werden wir dabei stehen und beiläufig die Daten 20km, knapp 1700 Höhenmeter fallenlassen. Dabei werden wir tun, als sei es ein Sonntagsspaziergang gewesen.


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New Territories

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Die Füße meiner Schutzbefohlenen werden gerade massiert, von vergnügten Festland-Chinesinnen, in einem schwach beleuchteten Hinterzimmer. Ich dagegen sitze im Irish Pub des Ortes und kann etwas schreiben über diesen sympathischen Ort Tai Po und die New Territories. Nebenher läuft West Ham gegen Man Utd, mit Hitz the Blitz, immer gut wenn die Kugel rollt.

Also, wir sind in den New Territories gelandet, die waren der Ausgangspunkt für den ganze Schlamassel der Briten. 1842 hatten sich diese Hongkong Island geschnappt, nach den Opiumkriegen. 1860, nach den zweiten Opiumkriegen, wurde Kowloon zum Teil des Empire erklärt (beides für alle Ewigkeit). Damit hatte man schon mal beide Seiten des Victoria Harbour für sich. In der Folge wurde klar, dass die Gegend um den Hafen zu exponiert war, man machte sich auch Sorgen um die Frischwasser-Zufuhr. Also wurde das Umland bis hoch zum Shenzhen-Fluss sowie 235 Inseln der Umgebung für 99 Jahre gepachtet, warum nicht einfach ein neuer Krieg dafür angezettelt wurde ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich fühlten sich die Briten inzwischen furchtbar rechtstaatlich, oder aber das chinesische Kaiserreich war inzwischen zu schwach und zu hilflos, um sich auch nur provozieren zu lassen.

99 Jahre waren 1997 um und die Kronkolonie Hongkong wurde zur chinesischen SAR (Special Administrative Region). 1982 hatte es die ersten Gespräche zwischen Margret Thatcher und Deng Xiaoping dazu gegeben, 1984 wurde die die Joint Declaration kundgetan, das komplette Gebiet sollte zurückgegeben werden. Die strategische Situation hatte sich nicht wesentlich geändert in den letzten 150 Jahren: Hongkong war ohne die New Territories und die Inseln nicht denkbar, außerdem waren schon die ersten Verträge unrechtmäßig.

Die älteste Siedlung der NT ist Tai Po, einstmals Fischernest und Marktflecken, v.a. für die Perlen-Fischerei bekannt. Heute ist es eine Satellitenstadt von knapp 300 000 Einwohnern, d.h. eine der ersten „New Towns“. In den späten 70ern wurden in einem staatlichen Programm Kleinstädte der Umgebung systematisch zu New Towns ausgebaut, entstanden sind mittlerweile 9 Städte mit bis zu 800 000 Einwohnern. Besonders viel Geld wurde in die Infrastruktur und den sozialen Wohnungsbau gesteckt, als wir in Tai Po eingelaufen sind haben wir uns am Portier vorbei in einen dieser Riesenklötze gestohlen. Dann haben wir uns die Welt von oben angeschaut.

Unsere Wanderung davor ging über den Tai Mo Shan, die höchste Erhebung Hongkongs (957m), zugegegeben, wir sind von halber Höhe losgelaufen. Aber dann 900 Höhenmeter bergab, dass ist ja eigentlich noch unangenehmer. Tai Po entschädigt uns, schmackhaftes Dim Sum, wuseliges Straßenleben.


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Venedig des Ostens

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Warum warum warum. Jedes asiatische Kaff mit einem Kanal und zwei Brücken drüber hängt sich mittlerweile den Zusatz „also called the Venice of the East“ an. Lesen kann man es mal wieder in einem Prospekt über das Fischerdörfchen Tai O und in diesem Fall kann es wirklich nur dem schwarzen Humor zynischer Marketing-Strategen geschuldet sein. Gekichert werden sie haben, hinter vorgehaltener Hand. Ein Freund von mir erzählt jedem Besucher, dass Berlin mehr Brücken hat als Venedig. Noch nicht mal diese spektakuläre Information interessiert irgendjemanden (hoffentlich liest er nicht mit). Mein Plädoyer fällt eindeutig aus: Schluss mit Venedig-Vergleichen!

Tai O, das reizende kleine Fischerdörfchen, war Endpunkt unserer Wanderung heute, begleitet von blauem Himmel und Sonnenschein und einem lauen Lüftchen aus Nordost. Wir sind hier nur kurz durchgebummelt und haben dann im Fook Moon Lam Restaurant gut Meeresküche gegessen, und schon ging es mit dem Bus wieder zurück in unser Hotel in Mui Wo. Kein Mahjong heute, zu müde und zu viel Sonne, nur ich muss hier wieder schreiben alleine in der Nacht.

Die Wanderung ging um den Südwestzipfel von Lantau herum, bessergesagt um den südwestlichsten Punkt der Hongkong SAR überhaupt. Die Fan Lau Halbinsel trennt das Südchinesische Meer vom Perfluss-Delta, wie der Name schon sagt, Fan heißt „trennen“, Lau heißt „Fluss“/“Strom“. Im Südchinesischen Meer waren wir gestern baden und heute im Delta, das Wasser ist kalt aber man härtet ab mit der Zeit. Die Strände rings um die Halbinsel hatten wir alle für uns.

Der Weg am Delta entlang zum Venedig des Ostens führt durch Dickicht und Geisterdörfer, Bilder hängen an Wänden und Töpfe stehen auf Kommoden, irgendwann scheinen die Leute einfach gegangen zu sein. Wir haben den ganzen Tag fast niemanden zu Gesicht gekriegt, aber dann ist doch der letzte Überlebende von Fan Lau aufgetaucht wie aus dem Nichts, steinalt und zahnlos und guter Dinge, wir haben nett aneinander vorbeigeplaudert. Der kleine Weg die Küste hinauf muss im letzten Jahr übrigens gepflegt worden sein, wahrscheinlich von Kohorten fleißiger Pfadfinder. Als ich das letzte mal hier gegangen bin war alles mit Treibgut zugemüllt, Tausende von Plastiksandalen waren angeschwemmt. Der Müll ist keine Sensation wenn man weiß, was sich nicht so weit nördlich von Lantau zusammenballt: an Industrie, an Urbanität. Am Delta wachsen Riesenstädte zu einem Ballungsgebiet von über 40 Millionen Menschen ineinander, dafür ist das Wasser hier kristallklar azurblau smaragdgrün. Schwärme von Schmetterlingen sind uns gefolgt, das stimmt wirklich.


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