No sdarowje, Nikolai Petrovsky!

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Wir sind im Seman-Hotel abgestiegen, das eine geheimnisumwitterte Geschichte hat: vor über hundert Jahren war hier das Konsulat des zaristischen Russland untergebracht, der Sitz des wortkargen Gesandten Nikolai Petrovsky. Sein englischer Gegenspieler George Macartney residierte derweil im Chini Bagh nicht weit entfernt davon, heute auch ein Hotel. In Kashgar liefen zu jener Zeit die Fäden des „Great Game“ zusammen: die Briten wollten ihr Indien schützen und die zentralasiatischen Khanate und Stämme nördlich davon zu Verbündeten machen, die Russen wollten ihre Einflusssphäre nach Süden ausdehnen. Es ging dabei auch um Bodenschätze – vor allem Erdöl – und um die Vermessung eines Gebietes, welches bis dahin nahezu unbekannt war. Beide Seiten schickten geheime Missionen, etwa als buddhistische Pilger oder Kaufleute verkleidete Spione, über die Täler und Pässe des Pamir, Karakorum, Kunlun. Diese sollten Wege auskundschaften und neue Gegenden erschließen. Und alle diese Abenteurer kamen schließlich in Kashgar vorbei, bei den Macartneys u.a. Legenden wie Sven Hedin, Aurel Stein, Paul Pelliot, Albert von Le Coq und die Brüder Roosevelt. Wir haben uns trotzdem für den Zuckerbäckerstil der Gegenseite entschieden.

Die Leute von Kashgar sind extrem spannend, mittelalterliche Szenen spielen sich noch heute ab, die Fassaden dahinter jedoch bröckeln bzw. stürzen mit bedrohlicher Geschwindigkeit ein. Die Altstadt war noch letztes Jahr ein undurchschaubares Gewirr aus zweistöckigen Lehmbauten. Der Abriss war auch da teilweise bereits vollzogen, jetzt aber wüten die Abrissbirnen im ganzen Gebiet und lassen Brachflächen und geziegelte Einheitsarchitektur zurück. Wie das Nichts in der Unendlichen Geschichte. Es ist eine Schande und es ist furchtbar kurzsichtig. Das „residents resettlement project“ betrifft über 50 000 Uiguren, man reißt jahrhundertealte Strukturen ab mit dem Hinweis auf Erdbeben-und Feuergefahr (ähnliche Argumente wie im Peking der 90er, wo auch so viel von der Altstadt zerstört wurde). Natürlich werden Teile davon zu einer „Neuen Altstadt“ geformt werden, wie das in vielen chinesischen Städten der Fall ist, dort werden dann die Touristen durchgeschleust. Keine Ahnung warum das alles nicht behutsamer und in Absprache vonstatten gehen kann, die Situation zwischen Han-Chinesen und Uiguren ist ohnehin angespannt. Zu viele Interessen im Spiel, und man lebt schließlich nur einmal.

Bei einem traditionellen Barbier war ich heute übrigens auch, die wird es immer geben. Ein stets archaisches und sympathisches Vegnügen. Frank saß hinter mir und hat Kommentare fallengelassen, die nicht hilfreich waren. Faconschnitt, Konfirmanden-Frisur, sogar die Hitlerjugend wurde ins Spiel gebracht. Dabei wurde er zuerst frisiert und wollte nur seine obligatorische 1mm Frisur haben – eine Marke, die weit unterboten wurde. Sind ja nur Frisuren, wächst ja alles wieder. Den Bart lasse ich noch etwas fuseln, um die Wildheit echter Abenteurer vorzutäuschen und Seidenstraßen-Romantik zu versprühen.

Print Friendly, PDF & Email

Kommentare sind geschlossen.