Vier Jahreszeiten und ein Testosteronproblem

127 km von Vilnius nach Kaunas, starker Gegenwind und beim Wetter fast alles dabei. Von Volker Häring.

Vor einem Jahr, kurz bevor ich mit meiner Familie, dem Tandem und dem Kinderanhänger auf Erkundung nach Polen geradelt bin, haben mich viele Freunde, vor allem Polen, gewarnt: Die Polen würden wie die Henker fahren und seien die rücksichtslosesten weltweit.

Schon bei der Erkundung konnte ich diesen Eindruck nicht bestätigen. Nach zwei Wochen Radfahren in Polen stellen wir nun unisono fest: Polen ist, was das Verhalten der Autofahrer angeht, fast ideal zum Radfahren. Vielleicht liegt es ja daran, dass die rücksichtslosen Zeitgenossen sich auf die gemeinsame Vergangenheit beider Länder besonnen haben und alle nach Litauen gezogen sind.

Wie auch immer: Litauische Autofahrer haben ein Problem. Das sind einerseits wir, die wir ihnen als Radfahrer Platz wegnehmen, selbst wenn die Straße sechs Spuren hat. Andererseits liegt das Problem aber tiefer. Man sagt ja, dass autofahrende Männer andere Unzulänglichkeiten mit rasanter Fahrweise und großen Autos kompensieren. Wenn das stimmt, sind litauische Männer wohl unterhalb der Gürtellinie recht spärlich bestückt. Imponiergehabe, wohin man schaut, quietschende Reifen beim An- und Um-die-Kurve-Fahren und nie – wirklich nie! – auch nur einen Millimeter für einen Radfahrer ausweichen. Einfach so tun, als sei er nicht da, dann wird schon alles gut. Oder gleich so, wie ich auf der Einfahrt nach Kaunas erfahren musste: Dem vorfahrtsberechtigten Radfahrer in die Augen schauen und dann im letzten Moment mit einem zynischen Grinsen im Gesicht losfahren, so dass dieser eine Notbremsung machen muss.

Nein, ein Radfahrland ist Litauen nicht, da helfen auch breite Radwege in Kaunas Innenstadt nichts.

Dabei hatten wir durchaus einen schönen Tag mit Wetter aus allen Jahreszeiten. Von frühlingshaftem Vögelzwitschern über sommerlicher Ankunft in Kaunas, herbstlicher Endzeitstimmung und winterlichen Regengüssen war alles dabei. Sechs Kilometer brachten wir unser Begleitfahrzeug auf Feldwegen zur Verzweiflung und weitere fünf Kilometer sind wir entspannt durch den Wald geradelt, auf einem nicht asphaltierten, aber höchst angenehm zu fahrenden Waldweg.

Eine anstrengende, aber landschaftlich wunderschöne Tour mit allen Höhen und Tiefen. Vielleicht ist Litauen ja doch ein Radfahrland. Dafür müssten aber die Litauer von ihren westlichen Nachbarn, den Polen, lernen.

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