Macau, du Bastard!

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Die kleine portugiesische Kolonie von einst ist eine Geldmaschine geworden, über 80 Milliarden Euro gehen derzeit monatlich über die Tische der Kasinos, weit über eine Billion im Jahr! Las Vegas ist dagegen wie das jährliche Poker-Wochenende im Jugendhaus (etwas überspitzt, aber selber Schuld, dort wird nicht mal ein Drittel umgesetzt). Wir waren abends im Venetian, schon wieder das verdammte Venedig, wahrscheinlich habe ich deshalb ziemlich unleidig mein Pensum verzockt und gut. Meine Mitstreiter sind gar nicht erst in Versuchung gekommen, Chapeau! Venedig diesmal mit allem Pipapo. Markusplatz, Seufzerbrücke, Kanäle etc. etc., untergebracht im fünftgrößten Gebäude der Welt, fühlt sich größer an als das eigentliche Venedig. Natürlich ist es das größte Kasino der Welt, 3mal so groß wie der sieche Vorfahre in Vegas. 25 000 Leute sind hier beschäftigt.

Im Guardian gab es neulich einen interessanten Artikel über Macau und die Kasinos. Es sind fast nur Festland-Chinesen, die hier endlich ihre Spielleidenschaft entfesseln und Haus und Hof verzocken dürfen (der Staat streicht 39 Prozent vom Gewinn ein). Man darf als Bürger der VR eigentlich nur etwa 2000 Euro über die Grenze bringen, die meisten Spieler zahlen deshalb zuhause in Fonds ein, die von den chinesischen Triaden kontrolliert werden. Das Geld plus ein großzügig eingeräumter Kredit wird ihnen ausgezahlt,sobald sie in Macau ankommen, die Spieler bekommen außerdem die besten Konditionen und den feinsten Service der Kasinos, gespielt wird VIP-Räumen, wo unsereins nie hinfinden würde und nie hinfinden wollte, das hoffe ich jedenfalls für die allgemeine geistige moralische finanzielle Hygiene (immer wieder ein schönes Wort). Viele Chinesen begeben sich in unschöne Abhängigkeiten.

Aber wir waren ja zunächst da, wo Macau am ursprünglichsten ist, nämlich nicht in Macau. Sondern in Coloane und in Taipa, den Nachbarinseln bzw. der Nachbarinsel, denn das unscheinbare Stückchen Meer dazwischen ist längst zum „Cotai-Strip“ aufgeschüttet und in Beschlag genommen von der nächsten alles übertreffenden Casino-Generation. Die Inseln waren früher Piratensache und wurden erst Mitte des 19. Jahrhunderts von den Portugiesen in Besitz genommen. Am Südzipfel ist die kleine Siedlung Coloane, entzückend! Opfergaben gab es für Tin Hau bzw. Mazu, die Göttin der Seefahrer, einfach deshalb weil sie die Schutzheilige der chinesischen Küsten ist und sich sanft die meisten Tempel von Hongkong und Macau Untertan gemacht hat. Diese wurden an die Küsten gebaut und liegen inzwischen, zumindest in Hongkong, oft weit im Landesinneren.

In Coloane sollen ja die besten Eiertörtchen der asiatischen Welt produziert werden, in Portugal sind sie als Pastéis de Nata bekannt, tatsächlich ist der portugiesische Einfluss in der Ecke hier nach wie vor größer, als es zunächst den Anschein hat.In der Altstadt von Taipa essen wir ausgezeichnet Bacalao und Reis mit Meeresfrüchten, trinken dazu Sagres-Bier und grünen Wein, es ist skurril, dieses Gemisch aus portugiesischer und kantonesischer Kultur. Die Straßenschilder mit ihren ausufernden, portugiesischen Bezeichnungen (meistens katholische Heilige), darunter die hinterhergaloppierenden chinesischen Schriftzeichen.

Qingming

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Es ist wieder relativ viel los auf Hongkongs Wanderwegen, denn heute ist Qingming, das chinesische Totengedenkfest. Das klingt jetzt vielleicht zusammenhangslos, aber Qingming ist Feiertag und die Menschen haben Zeit, auszuschreiten. Das Fest wird ernst genommen, Familien versammeln sich üblicherweise an Gräbern und Friedhöfen, Opfergaben werden abgebrannt und die Grabstellen gesäubert. Die South China Morning Post hat heute eine schöne Opfergabe abgebildet: die komplette Happy Valley-Rennbahn mit Pferden und Reitern und allem drum und dran, aus Papier. Für einen ehemaligen Wett- und Pferdenarr gedacht, hoffe ich mal. Früher wurden noch dazu im ganzen chinesischen Kulturkreis Straßenopern und andere Belustigungen dargeboten, einzig für die Geister der Ahnen, die an diesem Tag Auslauf haben und gut gestimmt werden wollen. Das alles scheint nun nicht mehr so wichtig, nicht mal Familienzusammenkünfte vor Gräbern haben wir heute gesehen. Aber wir haben auch kaum Gräber gesehen. Seltsam, die Gegend um Sai Kung und all die verlassenen Dörfer müssen dafür nicht das richtige Feng Shui bieten.

In Sai Kung und Umgebung haben wir nämlich unsere letzte Wanderrunde gedreht, auf und ab die fantastische Küste entlang. Angefangen hat die Tour beim High Island Reservoir, dem größten Stausee und wichtigsten Wassergeber der Stadt. Der Wasserstand war ganz schön niedrig, es wird Zeit dass die Regenzeit kommt, dauert ja nicht mehr lange. Hongkong hatte immer mit Wasserknappheit zu kämpfen, in den Sommermonaten schüttet es zwar täglich, aber es sind einfach zu viele Menschen auf zu wenig Raum. Ohne größere Flüsse, ohne einem wasserreichen Hinterland. Wir sind an einigen Reservoirs vorbeigewandert, u.a. dem ältesten auf Hongkong Island (Pok Fu Lam) und jetzt auch dem größten: das High Island Reservoir war politisch umstritten, geplant wurde es Anfang der 1970er, als absehbar war, dass zumindest die Territories 1997 an die VR zurückfallen würden. Die Briten wussten, dass sie das Megaprojekt schlussendlich für die Chinesen bauen würden. Die 1950er und 60er hatten einige extrem trockene Perioden, Wasser musste teuer vom Festland gekauft werden (wenn der Hahn nicht komplett zugedreht wurde), es bestanden also keine Alternativen. Von 1972 bis 1978 dauerten die Bauarbeiten, Leung Shuen Wan (High Island) wurde mit zwei Dämmen an die Sai Kung-Halbinseln angebunden, Hongkong dankt.

Wir sind zunächst über den östlichen Damm des Reservoirs gelaufen, dann die Tai Long Wan-Buchtenlandschaft entlang. Verschiedenste Schattierungen von blau und grau herrschen vor, eine herbe Schönheit. Mit dem Taxi geht es später wieder nach Kowloon und wir essen gut zu Abend, Teochew-Küche, das war es dann schon mit unser Wanderung. Schade. Wir sind immer besser in Tritt gekommen, das Wetter hat mitgespielt und es gibt noch viel mehr zu entdecken. Aber morgen steht Macau auf dem Programm. Die nächsten Tage werden im Zeichen des Glücksspiels stehen, und das bei meinem Horoskop…


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Schluff

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Schwer zu sagen wie „Siltstone“ übersetzt wird. Am ehesten „Silt“, wie einfallsreich, aber besser noch „Schluff“, was das eindrucksvollere Wort ist. Gemeint ist in beiden Fällen ein Sedimentgestein – beispielsweise ein Material, welches von den Hängen der Umgebung ins Meer erodiert, sich verfestigt und irgendwann auftaucht, z.B. wenn sich das Meer vor etwa 50 Millionen Jahren zurückzieht. So geschehen bei der Insel Ping Chau, die Gesteinsformationen dort sind besonders und unterscheiden sich von allem, was man als Geologe sonst so in Hongkong entdecken darf.

Ping Chau liegt im äußersten Nordosten der Hongkong SAR, wir haben nun also ihren südwestlichsten Punkt (Fan Lau) als auch den nordöstlichsten Punkt kennengelernt, Respekt! Die Insel ist abgelegen, wir sind knapp 30km mit dem Boot hierher gefahren, kaum Verkehr auf See, alles andere um uns herum wurde im Nebel eingedämpft. Zweimal sind wir von der Grenzpolizei kontrolliert worden, die Volksrepublik ist um die Ecke, ein paar Kilometer von der Insel entfernt. Die Küstenlinie steht direkt vor uns. Ping Chau war eine bekannte Schmugglerinsel, später wurde es von Flüchtlingen aus der VR angeschwommen, v.a. während der Kulturrevolution. Heute hat die Natur Besitz ergriffen und die leerstehenden Hütten sind fast allesamt zugewachsen. Ein paar Einwohner basteln trotzdem am ersten Stromnetz.

Später waren wir auf der Grasinsel, Tap Mun, das ist schon zivilisierter. Insgesamt bewegen wir uns langsam und vorsichtig voran, nur kein Stress heute. Beine und Rücken schmerzen nach der gestrigen Etappe, eigentlich nur mir habe ich das Gefühl. Es ist in jedem Fall gut, sich ein bisschen durch die abgelegenen Gewässer schippern zu lassen, kleine Spaziergänge und dann ein Nickerchen. Abends waren wir Grillen unter pubertierenden Legionen in Ferienstimmung, da schwebten einige Hormone in der Luft. Wo wir schon beim Thema sind: Nach einer kleinen Siegesserie unserer weiblichen Besatzung (Hilde und Alexandra haben bis jetzt unsere Mahjong-Spiele gewonnen) hat Peter heute zurückgeschlagen, danke dafür! Auch wenn ich persönlich mich ganz klein fühle und mich weit hintenan stellen muss.


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Sonntag Wandertag

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Unsere Wanderungen waren bisher einsam und kontemplativ. Obwohl das Wegenetz hier toll gepflegt und ausgeschildert ist: nichts war los auf den Wanderpfaden Hongkongs. Hier gibt es vier große Trails: den Hongkong Trail auf Hongkong Island, den Lantau Trail, den MacLehose Trail, der quer durch die Territories geht, und der Wilson Trail, vom äußersten Süden in den äußersten Norden. Dazu eine Menge kleinerer Wege und alle wohlgepflegt.

Dass die Trails wohl wichtig für die Bewohner der Stadt sind, haben wir heute gemerkt. Sonntag Wandertag, wie in meiner Kindheit. Gutgelaunte Gruppen singen die 9 Töne ihrer Sprache, ab und zu ein Wandersmann mit Kofferradio, das alten Cantopop spielt. Alle sind zuvorkommend und höflich. In Hongkong gibt es eine breite Mittelschicht, die Ausgleich und Bewegung sucht, in der Volksrepublik noch nicht. Radreisende und Wanderer sind im Mutterland noch sehr exotisch, kaum jemand würde für so einen Quatsch seine Energie verschwenden. Der VR China haben wir heute übrigens in den Hinterhof geschaut, aus dem dunstigen Horizont erhob sich mächtig die junge Metropole Shenzhen. Hongkong wird in naher Zukunft ein kleines nostalgisches Anhängsel der Megastädte am Perlfluss sein, da bin ich mir sicher. Es wäre nett, wenn es dabei so grün bleiben dürfte.

Gegen Mittag dünnt der Wanderverkehr etwas aus, was an unserem harten Programm liegt, das ist auf jeden Fall für Fortgeschrittene. Wir laufen dieser Tage den Wilson Trail entlang, heute Etappen acht und neun, das müssen die härtesten sein. Wir haben uns jede Aussicht redlich erschwitzt, es hat sich alles gelohnt. Etappe neun endet mit Pat Sin Leng, den „Acht Unsterblichen“, d.h. einem Kamm der sich in acht kleine Erhebungen auffächert, sehr schön und mythologisch. Aber schon davor ging es kilometerlang und noch viel unsterblicher bergan und bergab, und dann noch der ursprünglichen Aufstieg… Wenn Reinhold Messner seinen nächsten Nanga Parbat-Vortrag hält, werden wir dabei stehen und beiläufig die Daten 20km, knapp 1700 Höhenmeter fallenlassen. Dabei werden wir tun, als sei es ein Sonntagsspaziergang gewesen.


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New Territories

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Die Füße meiner Schutzbefohlenen werden gerade massiert, von vergnügten Festland-Chinesinnen, in einem schwach beleuchteten Hinterzimmer. Ich dagegen sitze im Irish Pub des Ortes und kann etwas schreiben über diesen sympathischen Ort Tai Po und die New Territories. Nebenher läuft West Ham gegen Man Utd, mit Hitz the Blitz, immer gut wenn die Kugel rollt.

Also, wir sind in den New Territories gelandet, die waren der Ausgangspunkt für den ganze Schlamassel der Briten. 1842 hatten sich diese Hongkong Island geschnappt, nach den Opiumkriegen. 1860, nach den zweiten Opiumkriegen, wurde Kowloon zum Teil des Empire erklärt (beides für alle Ewigkeit). Damit hatte man schon mal beide Seiten des Victoria Harbour für sich. In der Folge wurde klar, dass die Gegend um den Hafen zu exponiert war, man machte sich auch Sorgen um die Frischwasser-Zufuhr. Also wurde das Umland bis hoch zum Shenzhen-Fluss sowie 235 Inseln der Umgebung für 99 Jahre gepachtet, warum nicht einfach ein neuer Krieg dafür angezettelt wurde ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich fühlten sich die Briten inzwischen furchtbar rechtstaatlich, oder aber das chinesische Kaiserreich war inzwischen zu schwach und zu hilflos, um sich auch nur provozieren zu lassen.

99 Jahre waren 1997 um und die Kronkolonie Hongkong wurde zur chinesischen SAR (Special Administrative Region). 1982 hatte es die ersten Gespräche zwischen Margret Thatcher und Deng Xiaoping dazu gegeben, 1984 wurde die die Joint Declaration kundgetan, das komplette Gebiet sollte zurückgegeben werden. Die strategische Situation hatte sich nicht wesentlich geändert in den letzten 150 Jahren: Hongkong war ohne die New Territories und die Inseln nicht denkbar, außerdem waren schon die ersten Verträge unrechtmäßig.

Die älteste Siedlung der NT ist Tai Po, einstmals Fischernest und Marktflecken, v.a. für die Perlen-Fischerei bekannt. Heute ist es eine Satellitenstadt von knapp 300 000 Einwohnern, d.h. eine der ersten „New Towns“. In den späten 70ern wurden in einem staatlichen Programm Kleinstädte der Umgebung systematisch zu New Towns ausgebaut, entstanden sind mittlerweile 9 Städte mit bis zu 800 000 Einwohnern. Besonders viel Geld wurde in die Infrastruktur und den sozialen Wohnungsbau gesteckt, als wir in Tai Po eingelaufen sind haben wir uns am Portier vorbei in einen dieser Riesenklötze gestohlen. Dann haben wir uns die Welt von oben angeschaut.

Unsere Wanderung davor ging über den Tai Mo Shan, die höchste Erhebung Hongkongs (957m), zugegegeben, wir sind von halber Höhe losgelaufen. Aber dann 900 Höhenmeter bergab, dass ist ja eigentlich noch unangenehmer. Tai Po entschädigt uns, schmackhaftes Dim Sum, wuseliges Straßenleben.


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Venedig des Ostens

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Warum warum warum. Jedes asiatische Kaff mit einem Kanal und zwei Brücken drüber hängt sich mittlerweile den Zusatz „also called the Venice of the East“ an. Lesen kann man es mal wieder in einem Prospekt über das Fischerdörfchen Tai O und in diesem Fall kann es wirklich nur dem schwarzen Humor zynischer Marketing-Strategen geschuldet sein. Gekichert werden sie haben, hinter vorgehaltener Hand. Ein Freund von mir erzählt jedem Besucher, dass Berlin mehr Brücken hat als Venedig. Noch nicht mal diese spektakuläre Information interessiert irgendjemanden (hoffentlich liest er nicht mit). Mein Plädoyer fällt eindeutig aus: Schluss mit Venedig-Vergleichen!

Tai O, das reizende kleine Fischerdörfchen, war Endpunkt unserer Wanderung heute, begleitet von blauem Himmel und Sonnenschein und einem lauen Lüftchen aus Nordost. Wir sind hier nur kurz durchgebummelt und haben dann im Fook Moon Lam Restaurant gut Meeresküche gegessen, und schon ging es mit dem Bus wieder zurück in unser Hotel in Mui Wo. Kein Mahjong heute, zu müde und zu viel Sonne, nur ich muss hier wieder schreiben alleine in der Nacht.

Die Wanderung ging um den Südwestzipfel von Lantau herum, bessergesagt um den südwestlichsten Punkt der Hongkong SAR überhaupt. Die Fan Lau Halbinsel trennt das Südchinesische Meer vom Perfluss-Delta, wie der Name schon sagt, Fan heißt „trennen“, Lau heißt „Fluss“/“Strom“. Im Südchinesischen Meer waren wir gestern baden und heute im Delta, das Wasser ist kalt aber man härtet ab mit der Zeit. Die Strände rings um die Halbinsel hatten wir alle für uns.

Der Weg am Delta entlang zum Venedig des Ostens führt durch Dickicht und Geisterdörfer, Bilder hängen an Wänden und Töpfe stehen auf Kommoden, irgendwann scheinen die Leute einfach gegangen zu sein. Wir haben den ganzen Tag fast niemanden zu Gesicht gekriegt, aber dann ist doch der letzte Überlebende von Fan Lau aufgetaucht wie aus dem Nichts, steinalt und zahnlos und guter Dinge, wir haben nett aneinander vorbeigeplaudert. Der kleine Weg die Küste hinauf muss im letzten Jahr übrigens gepflegt worden sein, wahrscheinlich von Kohorten fleißiger Pfadfinder. Als ich das letzte mal hier gegangen bin war alles mit Treibgut zugemüllt, Tausende von Plastiksandalen waren angeschwemmt. Der Müll ist keine Sensation wenn man weiß, was sich nicht so weit nördlich von Lantau zusammenballt: an Industrie, an Urbanität. Am Delta wachsen Riesenstädte zu einem Ballungsgebiet von über 40 Millionen Menschen ineinander, dafür ist das Wasser hier kristallklar azurblau smaragdgrün. Schwärme von Schmetterlingen sind uns gefolgt, das stimmt wirklich.


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Alles endet mit dem blauen Mädchen

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Heute morgen dem großen Buddha von Ngong Ping unsere Aufwartung gemacht, genauer gesagt der „weltgrößten freistehenden Buddhastatue, aus Bronze und in sitzender Haltung.“ Wie nett, natürlich muss hier alles weltgrößt sein. Der Buddha ist vor allem sehr schön, Amithaba, seine Mudra (Handhaltung) und Ausrichtung werden ihm von vielen vorgeworfen. Er schaut nach Norden, Richtung Beijing, und hat die Rechte zum Gruß und die Linke zum Geben ausgestreckt. Dafür kann er nichts, und als Buddha ist ihm das alles ohnehin roter Staub. Abgesehen davon ist auffällig, wie sehr sich der Hongkong-Tourismus immer mehr nach der Volksrepublik richten muss, und zwar als einfache Rechnung von Angebot und Nachfrage. Man hört fast nur Mandarin an den Orten des klassischen Sightseeing. Auch das altehrwürdige Polin-Kloster, am Fuß des Buddhas aber 100 Jahre geschichtsreicher, muss schätze ich genau dafür den Tribut zollen: die riesige Halle der Tausend Buddhas, die gerade hinter der Haupthalle gebaut wird, ist typisch megalomanisch chinesisch und wird viele Festlandschinesen anlocken.

Vom Buddha sind wir über den Lantau Peak, den höchsten Gipfel der Insel, gewandert, schöne Aussichten, u.a. auf den neuen Flughafen Chek Lap Kok (wobei in dieser Richtung das CO2 wabert, daß man es förmlich greifen kann. Vielleicht sollte man doch mal an Atmosfair spenden). Wie das in diesem Fall wieder funktioniert hat mit der Landgewinnung! Die kleine Insel Lap Kok nördlich von Lantau wurde abgetragen, drumherum Land aufgeschüttet, das komplette Projekt (samt der Infrastruktur in die Stadt hinein) soll das teuerste einzelne Bauvorhaben aller Zeiten gewesen sein, schon wieder weltgrößt! Schade aber um den alten Flughafen Kai Tak, der wirklich spektakulär war. Die Landebahnen haben sich östlich von Kowloon in den Hafen hineingezogen, die Flugzeuge mussten zwischen Hügeln und Hochhäusern hindurch direkt auf Wasser zusteuern.

Also über den Lantau Peak und wieder hinunter, die Chinesen legen großen Wert auf direkte Wege zum Gipfel und nutzen Serpentinen und andere Umwege nur im äußersten Notfall (und wenn dann eigentlich nur für größere Fahrzeuge). Dafür lieben sie Treppen. Das liefert zwar dramatisch Motive, ist für unsereins aber erstmal gewöhnungsbedürftig und ziemlich anstrengend. Und weil in Ngong Ping noch dazu getrödelt wurde, gerechtfertigterweise, haben wir uns in der Senke zwischen Lantau und Sunset Peak entschlossen, den zweiten Gipfel auszulassen und den gemäßigten Weg entlang der unteren Höhen zu laufen, den South Lantau Country Trail. Ein famoser Entschluss! Lauschige Bedingungen, frohes Wandern, ein Wetterchen wie Seide.

Das Schmutzbier heißt in Hongkong: Blue Girl. Gratulation.


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Chow! Pong! Kong!

Hafen der Düfte, 26.01. bis 10.04.2011

…das ist das Triumphgeschrei beim Mahjong, bis jetzt kam es uns nur zaghaft über die Lippen. Aber wir haben das Spiel auch gerade zum ersten Mal gespielt (beinahe pflichtschuldig, als Viererteam und noch dazu in Hongkong, also führt eigentlich kein Weg daran vorbei). Der Fauxpax war davor an der Rezeption passiert, dort hatten wir gefragt, wo man hier vielleicht Mahjong spielen könnte, meistens gibt es ja spezielle Räume. Der Portier hat uns unwirsch zurechtgewiesen und auf das Schild hinter sich gezeigt, explizit verboten. Wie üble Gesellen und Spieler fühlen wir uns da, und natürlich kann uns jetzt nichts von einer Partie abhalten.

Wir sind übrigens auf Lantau und heute über die südöstliche Chi Ma Wan-Halbinsel nach Mui Wo gewandert, den Hauptort der Ostküste. Das war schön. Recht hügelig mit verlassenen kleinen Stränden zwischendurch. Am Horizont die Soko-Inseln und Chek Kwu Chau, wo einst die Piraten hausten und die Handelschiffe aus Kanton kaperten (das weiß ich mit Bestimmtheit, aus James Clavells „Taipan“). Lantau selber ist die größte unter Hongkongs Inseln, fast doppelt so groß wie Hongkong Island, aber etwas weniger dicht besiedelt (insgesamt etwa 45 000 Einwohner bei 146 Quadratkilometern).

Lamma war auch noch nett, dort haben wir den heutigen Morgen verbracht, unser Bootsmann Mr. Lo musste erst den Fischmarkt in Aberdeen hinter sich bringen. Wir saßen solange beim Morgentee mit der versammelten Rentnerschaft des Ortes und waren dann im Tempel. Oje. Alexandra und ich haben unser Horoskop geworfen und uns zu allem Übel noch aus der Hand lesen lassen. Das Kauderwelsch des Wahrsagers aus Mandarin und Kantonesisch habe ich nicht gut verstanden, zum Glück, tiefe Sorgenfalten hatten sich dabei in seine Stirn gegraben. Das Horoskop muss ich bei Zeiten mal in Ruhe übersetzen, nicht so leicht, klassische Schriftzeichen. Es wird ein kompliziertes Jahr für uns beide werden, das steht fest und das akzeptieren wir auch. Peter und Hilde haben klugerweise nur aus der Distanz zugeschaut, danach sahen sie uns mit einer Mischung aus Mitgefühl und Erleichterung an. Hilde hat übrigens unser erstes Mahjong-Spiel gewonnen.


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Mark I – V

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Das Elend des sozialen Wohnungsbaus: von luftigen Höhen konnten wir uns davon überzeugen, von all diesen Ansammlungen der charakteristisch abgeranzten, schmalen und hochaufgeschossenen Hochhäuser, die Hongkong so bestimmen. Das ist die Bühne des großen Hongkong-Kinos, John Woo, Wong Kar-wai, Tsui Hark: hässlich aber unverwechselbar. Die Stadt Hongkong ist der größte Vermieter der Welt, über 50 Prozent der Bevölkerung der Stadt wohnt in Public Housing Estates. Und der soziale Wohnungsbau ist hier kein Elend, war nur Spaß, nicht so stigmatisiert wie bei uns, sondern eine Erfolgsgeschichte. Es gab immer wieder mächtige Migrationswellen, besonders nach der Machtübername der Kommunisten auf dem Festland 1949. Danach war die Wohnsituation katastrophal, die Neuankömmlinge wohnten in selbstgezimmerten, engen Bretterbuden und hatten ständig mit Seuchen und Bränden zu kämpfen.

Mitte der 1950er begann sich die Kolonialregierung zu kümmern, in den nächsten Jahrzehnten entstanden diese Hochhäuser Marke „Mark“, ich weiß nicht warum die so heißen. In den ersten Generationen waren Kochstellen und sanitäre Einrichtungen noch gemeinschaftlich, inzwischen sind wir bei Generation 5, die garantiert Platz und Privatsphäre. Sobald man aus den Zentren von Hongkong Island draußen ist, bestimmen die Marks das Bild: Sai Ying Pun, Kennedy Town, Ap Lei Chau, Aberdeen.

Von Aberdeen an der Südküste Hongkong Islands haben wir ein Sampan nach Lamma genommen und wurden flugs fast von einem Frachter aus Emden versenkt. Riesige Containerschiffe walzen durch die See, man sollte ihren Weg nicht zu kreuzen versuchen, zumindest nicht mit einem kleinen niedlichen Sampan. Unser einäugige Kapitän hat im letzten Moment abgedreht und wir sind uns bis jetzt nicht im klaren, ob es Glück oder gelassene Routine war. Egal, gestrandet sind wir in Lamma, der kleinen Hippie-Insel, dessen Bild bestimmt wird vom schmucken Kohlekraftwerk.

Einer der schönsten Strände liegt direkt am Kraftwerk und man fühlt sich dort in den Vorspann der Simpsons versetzt (ist aber wirklich nur Kohle). Kein KFZ-Verkehr auf der Insel, berühmte Seafood-Restaurants, ein internationales entspanntes Treiben, welchem wir vom Balkon aus beiwohnen.


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Kleine schicke Gordon Gekkos

Hafen der Düfte, 26.03. bis 10.04.2011

Das Haus, in dem Alexandra ihre frühe Kindheit verbracht hat, wurde dann doch nicht gefunden. Wir haben uns ins Taxi gesetzt und sind langsam die endlos lange Tai Hang Road in Causeway Bay hochgefahren, aber entweder das Haus ist längst abgerissen oder wurde umbenannt… Alexandras früheste Kindheit liegt nun auch schon 50 Jahre zurück, damals hat sie mit ihren Eltern in einem anderen Hongkong gewohnt, sie hat von ihrem Zuhause auf Victoria Harbour und die Star Ferry und auf die Pferderennbahn von Happy Valley sehen können. Heute scheint das absurd, vor der Tai Hang Road steht ein Wald von Hochhäusern.

Außerdem hat sich das Wasser des Hafens zurückgezogen bzw. die Insel sich in den Hafen hineingearbeitet. Wir haben uns heute die Nordseite von Hongkong Island entlangbewegt, wenn man davon weiß sind die einzelnen Phasen der Landgewinnung nicht zu übersehen. Die Insel (und viel mehr noch Kowloon) wurde in den letzten 150 Jahren erweitert und erweitert, die letzte Stufe der Central- und Wan Chai-Reclamation ist gerade in vollem Gang. Die Stadtregierung braucht Geld. Land welches man in feinster Lage dem Meer abgewinnt ist billig herzustellen und sehr teuer zu verkaufen, immerhin ist die Gegend um den Hafen eine der teuersten der ganzen Welt. Da Hongkong nach wie vor kaum Steuern von seinen Bürgern verlangt, ist dies eine der wenigen Möglichkeiten, massiv an Geld zu kommen.

Das passt sehr zur Insel, die Jagd auf Kapital und sich dabei neu zu erschaffen bzw. neu zu erfinden. Zunächst vom billigen Produktionsstandort zum logistischen Dreh-und Angelpunkt für Asien (Hongkong hat nach Shanghai und Singapur nach wie vor den drittgrößten Containerhafen der Welt) und jetzt zum Dienstleistungs- und Bankenstandort (die drei größten Banken der Welt, nur mal so: 1. ICBC, Industrial und Commercial Bank of China, 2. Construction Bank of China, 3. HSBC, Hongkong Shanghai Banking Corporation). Letzte Manifestation dieser Metamorphose sind auf jeden Fall die Banken, es scheint ihnen trotz dem fürchterlichen letzten Jahr nicht schlecht zu gehen, alle Menschen in Central scheinen schwer beschäftigt und sehen sich dabei sehr ähnlich. Etwas ungelenk doch durchaus stolz tragen wir heute mal keinen Anzug und kein Kostüm. Wir schauen uns die HSBC-Zentrale von Norman Foster an und fahren in die 45sten Etage der Bank of China hoch (die von IM Pei geplant wurde). Das sind klare, schöne Huldigungen an das Geld.

Es gibt mehr zu sehen als Banken: in Admiralty einen Park mit riesiger Voliere, in Sheung Wan enge Gassen mit getrockneten Meeresungeheuern, in Causeway Bay Straßen, die vor Energie und jugendlicher Eitelkeit nur so explodieren etc. etc. wir hatten heute wirklich das volle Programm und waren den ganzen Tag auf den Beinen. Bei schönem Wetter, das auch noch. Komisch, fast alle Fotos im Hochformat.