Rein ins Gewusel!

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Ankunft der Gruppe in Beijing. Ein paar Meter zu Fuß, ein paar Meter mit dem Rad

Darf ich vorstellen: meine Gruppe!
Ok, es ist eher ein Grüppchen und besteht aus Astrid, Peter und Holger. Astrid und Peter kommen mit Air China aus Frankfurt an, Holger mit Lufthansa aus München. Holger will sich nach der Tour noch Hongkong antun, daher der Extraflug.

Ich sammele die drei am Flughafen in Beijing ein und ab mit ihnen in die Stadt, in unser Hotel. Während ich nach einer Anreise nach China immer ziemlich geplättet bin machen APH (=Astrid, Peter, Holger) eher den Eindruck, als wären sie eben erst aus der S-Bahn gestiegen und könnten sofort loslegen mit dem vollen Programm. Nun gut, das sollen sie haben!

Nur eine relativ kurze Verschnaufpause, dann Beijing pur: Aus dem Hotel rechts, einmal über die große Straße und hinein in die Hutongs, die kleinen Gassen in einem der nur noch wenigen Altstadtvierteln. Links ein restaurierter Tempel mit angeschlossener Grundschule (leider nicht zugänglich), rechts alte/neue/im Bau befindliche Häuser, von vorne und hinten ständig Motorräder, Lastendreiräder, Fahrräder, E-Bikes und Fußgänger. Wir treten oft zur Seite und uns manchmal gegenseitig auf die Füße. Oder wir stolpern über unsere eigenen Füße, denn es gibt so viel Neues zu sehen und zu entdecken, da will der Blick einfach nicht nach unten entwischen.

Geschafft! Wir sind wieder auf einer großen Straße und dort werden die Fahrräder in Empfang genommen. Bloß keine Atempause. Also rauf auf den Sattel und wir drehen eine erste Runde durch den Beijinger Straßenverkehr. Eine Runde ist etwa übertrieben, nach knapp 2 Kilometer sind wir bereits am Trommel- und Glockenturm. Wie immer bringe ich durcheinander welches der Trommel- und welches der Glockenturm ist. Irgendwie kann ich mir das nicht merken. Warum mussten die alten Chinesen die beiden Bauwerke auch so dicht beieinander errichten?

Egal, letztendlich haben wir die beiden Türme doch in der richtigen Reihenfolge erklommen. Nämlich erst den Glockenturm, um rechtzeitig für die Percussionperformance auf dem Trommelturm zu sein.

Dann der Houhai (Hintere See). Hier war es vor ein paar Jahren gemütlich-idyllisch. Das habe scheinbar nicht nur ich so empfunden, viele andere Reisende auch und es kam, was kommen musste: Nun ist es hektisch-touristisch. Na gut, dass muss man auch mal gesehen haben, entscheiden APH. Prima Team!

Also zurück zu den Rädern, eine kurze Tour auf der bereits bekannten und noch immer belebten Straße und das erste gemeinsame Abendessen: Sichuan Küche. Noch keine 24 Stunden in Beijing und schon ausländisches Essen!

PS: Bitte das erste Foto nicht beachten! Das Puzzle gehört meinem Sohn und ich will ihm damit nur zeigen, dass ich es aus Versehen mitgenommen habe.


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Der schwule Mönch vom Südbergkloster

Transmongolia, 23.07. bis 23.09.2012

Ruhetag in Wutaishan, Besichtigung zweier Klöster bei sonnigen 25 Grad.

Martina und Wolfgang waren mit ihrem Hotelzimmer im „Roten Oktober“ nicht zufrieden, so dass wir am Morgen in ein Nachbarhotel umziehen. Die Preise im ort und der Service, der dahinter stehen sind einfach unverschämt. „Roter Oktober“ hatte ich das Hotel im letzten Jahr getauft, weil alles auf Massenabfertigung hinaus lief, da waren aber die Zimmer noch einigermaßen in Ordnung, in diesem Jahr musste man die Handtücher reklamieren, der Fußboden war keimig und das Hotel hat in dem einen Jahr unter dem chinesischen Wochenendreisenden ordentlich gelitten. Die Dame an der Rezeption hat keinerlei Verständnis für die Beschwerden. Gestern Abend war es einfach zu spät und zu kalt, um noch etwas ändern zu können. Nebenan sieht es dagegen etwas besser aus und schon um 10 Uhr ist der Wechsel geglückt und wir können auf unseren Spaziergang gehen. Gleich über dem Tal erhebt sich das Kloster in den Südbergen. Das ist ein Tempelkomplex aus der Yuan Dynastie, der über sieben Stufen ausgebaut wurde. Der relativ lange Aufstieg hat den Vorteil, dass kaum Chinesen den Weg hinauf finden wollen, die sind schließlich zur Erholung hier. So haben wir unsere Ruhe, als wir durch das alte Gemäuer streichen. Beim näheren Hinsehen ist natürlich auch kaum etwas noch aus dem 14 Jahrhundert erhalten, es wurde in den folgenden Dynastien kräftig an und umgebaut, der unterste Komplex gar ist gerade einmal 100 Jahre alt und stammt aus der Republikzeit, doch dies tut der Schönheit der Anlage keinen Abbruch, zeigt aber, wie man in China gerne mit der Geschichte umgeht. Das Kloster ist wieder einmal der Guanyin gewidmet und es finden sich einige sehr schöne Figuren hier, einmal in Marmor gehauen und auch der Buddha in der Haupthalle trägt Gesichtszüge, wie sie in der frühen Qing-Dynastie üblich waren. In einem Nebenhof empfängt uns ein freundlicher Mönch, der einfach alles wissen will, woher wir kommen und was wir machen, was wir verdienen. Schnell ist er dann sogar bei der Schuhgröße und bestaunt meine „Teva“-Streifen an den Füßen, auch scheint ihn die Behaarung meiner Arme zu interessieren, jedenfalls zupft er sehr interessiert daran herum, als wir dann gehen wollen bekommen wir noch einen Apfel geschenkt und der Mönch kann sich nicht erwehren, blitzschnell noch einmal mein T-Shirt anzulupfen, um zu sehen, ob das auf der Brust auch ein solcher Wildwuchs wie an den Armen ist. Lachend suche ich dann das Weite, bevor er mir noch seine Pritsche im Kloster zum Kuscheln anbieten kann. Vielleicht sollte ich lieber mal ein Nonnenkloster ansehen.

Von den obersten beiden Ebenen hat man eine grandiose Aussicht über das ganze Tal und die angenehm grüne Bergwelt rundherum. Unten in der Talsohle wächst rasant die touristische Struktur, hier in Wutaishan war ich schon vor 15 Jahren, da bestand der Ort nur aus ein paar wenigen schäbigen Familienherbergen und ein paar Restaurants. Allerdings kann ich mich noch daran erinnern, dass auch damals schon alles recht teuer war.

Unten wieder angekommen trinken wir ein Bier und steigen in den Shuttlebus in den oberen teil des Ortes, dort befinden sich weitere Klöster. Einstmals gab es hier 150 Klöster weit in den Bergen verstreut, heute sind noch oder wieder 47 aktiv. Vor allem am Wochenende werden hunderttausend Touristen aus Datong und Taiyuan herangefahren, vor allem Chinesen, die ihre Religiosität, zumindest für ein Wochenende, wiederentdecken wollen und davon lebt die ganze Region.

Da das Shuxiang Kloster direkt an der Straße liegt, ist der Andrang entsprechend gut. Guten Absatz bringen die Räucherstäbchen, die von den Pilgern und Pseudopilgern in rauen Mengen in dem riesigen Brennofen angezündet werden. Im Vorhof des Kloster ist es vor Qualm kaum auszuhalten und mir fällt dazu spontan der Titel für ein Kurzgeschichte oder ein Gedicht im chinesischen Stil ein: „Wie die Rauchschwaden die Götter aus dem Himmel vertrieben“.

Hier im Kloster macht es eher Spaß, dem Treiben der Chinesen zuzusehen, andächtige Ruhe kann man hier eher nicht finden. Am Nachmittag geht es dann im Shuttlebus wieder zurück und es bleibt noch Zeit für ein Schläfchen, bevor wir uns zum Abendessen aufmachen.

Herzlich Willkommen liebes Dream-Team!

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Hangzhou, eigentlich Tagesausflug. 33 km

Heute bekamen wir Verstärkung: das Dreamteam, bestehend aus Anke und Katharina stießen heute auf uns und werden uns bis zum bitteren (oder süßem) Ende begleiten.

An sich war für heute Vormittag eine Bootstour vorgesehen. Martin und ich hielten es jedoch für eine gute Idee auf die Damen zu warten um dann gemeinsam auf einem Bötchen den Westsee zu erkunden. So radelten wir zunächst stadteinwärts, auch um noch mal zum Radladen zu kommen und unsere Räder etwas aufzuwerten. Zurück im Hotel gab es dann das erste Kennlernen, wofür jedoch nicht viel Zeit blieb, denn Martin und ich mussten auf Grund von Renovierungsarbeiten die Zimmer wechseln.

Anschließend sollte es dann nach einer kleinen Mittagsverstärkung auf den See gehen (mit Betonung auf SOLLTE). Auf halber Strecke zur Altstadt verdunkelte sich der Himmel jedoch schlagartig und man ahnte schreckliches. Mit einem Mal drehte jemand da oben den Hahn auf und wir konnten uns gerade noch unter einem Vordach eines Klamottenladens retten. Ein Regencape haben sie aber natürlich nicht im Sortiment gehabt. Statt auf dem Wasser waren wir nun gezwungen unter dem Wasser uns etwas näher kennenzulernen.

Der Regen ließ zwar bald etwas nach, hörte jedoch nicht wirklich auf und wir versorgten uns notdürftig mit gefüllten Hefe- und Lotuswurzelklößen. Aufwärmen konnten wir uns anschließend mit einer Tasse Wiener Mélange, Latte oder Jasmintee. Was wir zum Mittagsessen beim Baozi-Mann eingespart hatten, haben wir hier ausgegeben. Preise, die selbst Cafés in Berliner In-Bezirken erblassen lassen. Aber es war wenigstens Trocken und man hatte was Warmes zu trinken. Zeit für Ausflüge blieb dadurch jedoch nicht mehr wirklich, also fuhren wir zum Hotel zurück und erholten uns ein wenig.

Das Restaurant vom Vortag ist mir und Martin so positiv im Gedächtnis geblieben, dass wir nochmals hingingen und wieder einmal nicht enttäuscht wurden. Auch wenn die Abendrunde recht nett war und wir uns noch gerne hätten näher kennenlernen wollen, erlösten wir bald das Dreamteam, da sie eine lange Anreise hinter sich hatten und morgen ja noch ihre Jungfernfahrt bevorstand.

Vor der Tour ist vor der Tour

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Das waren noch Zeiten! Als wir Mitter der 1990er Jahre damit begannen Radtouren in China zu leiten flogen unsere Gruppen die ersten Jahre noch mit Aeroflot. Abflug in Berlin und dann zunächst sechs Stunden Aufenthalt in Moskau. Wenn man Glück hatte. Wir hatten es meistens nicht, und aus den sechs Stunden sind auch schon mal 12 Stunden geworden. Der Flughafen dünstete Sozialismus in Reinkultur aus, es gab rein gar nichts. Dann der Weiterflug mit einer Iljuschin, deren Baujahr wir lieber nicht wissen wollten. Es muffelte im ganzen Flieger nach Tabakqualm, auf die Stewardessen traf am besten die Bezeichnung Matronen zu und die Todesursache für die servierten Hähnchen war leicht festzustellen: Unterernährung. Bordprogramm gab es nicht, ich glaube nicht mal das russische Wort dafür.
Noch einer Zwischenlandung in Novosibirsk, wo billiger heimischer Sprit getankt wurde und im Oktober schon fett Schnee lag. Endlich in Beijing angekommen war man gerädert, auch Dank der Sitze. Die waren gepolstert wie dreilagiges Toilettenpapier.
Wir sind damals aber schnell auf Air China umgestiegen.

17 Jahre später. Ich fliege meiner Gruppe um einen Tag voraus und für meine Flüge schlägt das System eine günstige Verbindung mit Aeroflot vor. Hm, warum nicht mal wieder in Erinnerungen schwelgen? Aber die kamen fast gar nicht auf. Der Zwischenaufenthalt in Moskau dauerte nur drei Stunden, der Flughafen ist inzwischen Top ausgestattet. Pünktlicher Weiterflug mit einer neuen (und nur halb leeren) Airbus-Maschine, Rückenlehnenkino mit reichhaltiger Auswahl und auf die Klapptische kam leckeres Essen.
Nur die Stewardessen habe ich alle sofort wiedererkannt. Es waren garantiert die gleichen wie vor 17 Jahren. Und das Raucherabteil habe ich ein wenig vermisst. Aber nur ein wenig.

Mit ein Grund meiner früheren Anreise war es einen potentiellen zukünftigen Reiseleiter mal direkt in die Augen zu schauen. Andreas heißt er und studiert gerade in Beijing. Davor war er bereits mehrfach in China, vornehmlich um Kungfu in den Wudang Bergen, der Wiege asiatischer Kampfkunst, zu lernen.
Wie es der Zufall wollte sind auch unsere beiden Reiseleiter André und Karl gerade in der Stadt, so dass sich ein Minireiseleitertreffen förmlich aufdrängte. So ergab sich eine nette Männerrunde, die zunächst ausgiebig tafelte und dann in das Café Zarah weiter zog.

Nett war es mit euch, Jungs!

Königsetappe

Transmongolia, 23.07. bis 23.09.2012

114 Kilometer von Yingxian zum Wutaishan, ca. 2200 Höhenmeter bei angehm sonnigen 22 Grad.

Heute liegen seit langen wieder einmal richtige Berge vor uns. Ein paar Kilometer folgen wir der Hautstraße, dann biegen wir nach Süden ab, zum Glück sind wir den schlimmsten verkehr und Staub damit los, nur ab und zu schiebt sich eine LKW Kolonne dem ersten pass entgegen. Nach ein paar Serpentinen, von denen man einen schönen Blick über die umliegenden Dörfer hat, geht es in einem engen und romantischen Tal ganz sanft nach oben. Oben öffnet sich die Landschaft und es gibt nette kleine Dörfer, die Häsuser sind manchmal vollkommen aus Lehm gebaut und man kann erkennen, dass es früher jede Menge Wohnhöhlen gab, die hier in den Lehm oder Löß gegraben worden sind. Allerdings war es in diesen großen Höhlen wohnlicher als man denkt, in einigen Gebieten der Provinz werden diese Höhlen noch bis heute gegraben, vorne kommt eine hölzerner Eingang davor und innen ist alles sauber geweißt oder tapeziert. Meist befindet sich vorne die Küche und im hintersten Teil ein beheizbares Bett, der sogenannte Kang. Eine solche Höhle konnte gut und gerne 35 Quadratmeter Wohnfläche haben.

Siebenhundert Meter schrauben wir uns auf den ersten Pass hinauf, dann geht es wieder 600 Höhenmeter nach unten bis in eine kleine Stadt namens Schlammfluss. Das war früher mal ein kleines Drecksnest mit der Eisenbahnstation für den Wutaishan, das hat sich aber geändert und auch dieses Städtchen ist ansehnlich geworden und explodiert geradezu. Wir stärken uns ordentlich mit gebratenen Gerichten und eine Portion Teigtaschen, denn der Hauptanstieg liegt noch vor uns. Hinter „Schlammfluss“ geht es erst einmal ganz sanft nach oben, dann nimmt die Steigung langsam zu. Fast 5 Stunden brauchen wir für den 1400 Höhenmeter Anstieg, es ist schon eine Weile her, dass ich so etwas am Stück gefahren bin, aber wir kommen gut vorwärts, auch weil das Wetter gut mitspielt. Mittags war es nicht zu heiß, dann wurde es angenehm, lediglich die letzten 300 Meter war es dann etwas kühl und frisch. Langsam kommt man den Gipfeln immer näher, dabei geht es erst noch durch ein paar kleine Dörfer, die hauptsächlich vom Maisanbau leben, dann kommt eine Nadelwaldzone und oben hat man eine wunderbare Sicht über die Bergewelt in der Provinz. Ich erinnere mich noch an den Abschnitt im letzten Jahr, als wir im dichten Nebel gefahren sind und kaum noch 50 Meter Sichtweite hatten, nicht so heute. Gegen 18 Uhr haben wir den Gipfel erreicht, auch wenn es nicht zu kühl ist rate ich Martina und Wolfgang dazu, sich ordentlich einzupacken, denn 15 Kilometer Abfahrt im Schatten saugen die letzte Energie aus dem Körper. Kurz bevor es dunkel wird kommen wir dann leicht bis mäßig durchgefroren im Wutaishan an. Es ist ein großes Touristengebiet und heute ist Samstag. Entsprechen viel ist los und wir sehen zu schnell ins Hotel und unter sie warme Dusche zu kommen und danach in eins der Lokale. Trotz der Anstrengung des Tages oder gerade deswegen ist der Hunger nicht zu groß, dafür schmeckt das Bier doppelt so gut und das Bett ruft schon nach dem müden Radler. nach dem harten Tag wird es in den nächsten zwei tagen ruhiger, denn wir haben hier im Wutaishan, einem der vier buddhistischen Heiligtümer Chinas zwei Ruhetage, um die Tempel der Region und die schöne Bergwelt zu genießen.


Die unscheinbare Stadt der Superlative

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Von Wuzhen nach Hangzhou. 94 km

Unterwegs führte uns unsere Route heute weiter vorbei an vielen Textilindustriegebieten. Man könnte meinen von hier aus wird die Welt eingekleidet. Entenfarmen kamen ebenfalls des Öfteren ins Sichtfeld. Vorurteile gegen Chinas schlechten Umgang mit Tieren werden hier aber gründlich aufgeräumt. Die Farmen hätten vermutlich das Bio-Siegel verdient, wenn man sieht mit wie viel Liebe die Freiflächen und Teiche für die Tiere angelegt wurden.

Auf halber Strecke machten wir einen kleinen Abstecher in die Altstadt von Xinshi (übersetzt Neustadt)… also neustädter Altstadt. Nach dem Trubel in Wuzhen gestern wirkte die Altstadt sehr authentisch und wir durften sogar einem Schreiner bei dem Umgang mit einem Bogen-Bohrer zusehen, der bei uns zu Hause wohl nur im Museum zu finden wäre. Der Schreiner beneidete Martin ein wenig um seine elektrische Bohrmaschine, erklärte aber gerne seine Arbeitsschritte.

Den Tag über blieb es zum Glück trocken… diesmal auch als wir an unserem Ziel ankamen. Hangzhou wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar. Vor allem, wenn man mit dem Fahrrad erst einmal nur zum Hotel fährt. Hohe Wohnhäuser in den Vororten für die ganzen Männer, die heiraten wollen, breite Straßen, viele Autos, riesige Kreuzungen… bis man zum Westsee kommt. Ohne ihn wäre Hangzhou eine weitere Großstadt, die nur von ihrem vergangenen Ruhm lebt. Hier hört die Stadt urplötzlich auf und man findet sich mitten im Grünen wieder, umgeben von Wasser und Bäumen. Er und das Gebiet drum rum gelten als ein Vorzeigebeispiel städtischer Gartenbaukunst und wurden über die Jahre immer wieder weiter ausgebaut. Hangzhou gilt auch heute noch unter Chinesen als eines der schönsten Städte Chinas, bringt angeblich die schönsten Frauen hervor, hat den wohl besten Tee, war einst die größte Stadt des Planeten (13. Jahrhundert), hat die größte Gezeitenwelle der Welt, und und und… Mit all diesen Superlativen können alle anderen Städte Chinas eigentlich einpacken. Dennoch bleibt Hangzhou für chinesische Verhältnisse trotz seines Status als Provinzhauptstadt ein eher überschaubarer Ort.

Doch die Besichtigung stand erst morgen an. So begnügten wir uns mit einem leckeren Abendmahl, begleitet von einer grölenden Firmenfeier am Nebentisch, die uns im Laufe des Abends immer mehr einbezog: „Tut uns Leid, dass wir so laut waren. Komm wir trinken einen drauf!“ „Ihr seid aus Deutschland!? Komm wir trinken einen drauf!“ „Du bist auch Reiseleiter?! Komm wir trinken einen drauf!“ Zum Glück ist das Gelage nicht komplett ausgeartet, auch dank dem schwachen chinesischen Bier und den kleinen Gläsern, sodass wir noch geraden Schrittes unsere Zimmer gefunden haben.


Disneylands neue Attraktion: Wuzhen

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Von Tongli nach Wuzhen. 80 km

Die Strecken heute hätten unterschiedlicher nicht sein können. Wir fuhren über riesige leere Alleen, stark befahrene Land- und Stadtstraßen, Dorfgassen, Feldstreifen. Der Name der Tour machte spätestens hier Sinn, als man auf der linken Seite Reisfelder und auf der rechten Garnelen und Fischzucht hatte. Auch wenn das Yangzidelta auf Grund seiner Fruchtbarkeit die Kornkammer Chinas ist und das halbe Land mit Reis und Getreide versorgt, hat hier längst die Industrie Einzug genommen. Bekannt für die Seiden Produktion, haben die Einwohner ihre Tradition fortgeführt. Allerdings mit großen Fabriken und Produktionshallen. Teilweise wurde man über längere Strecken vom Rasseln der Weber-maschinen begleitet, was mit etwas Vorstellungskraft wie Wasserfälle klang. So kann man sich die Gegend auch schön reden…

Unsere Mittagspause hatten wir heute genau richtig getimt und entkamen gerade einem heftigen Wolkenbruch. Wir nutzten die Gelegenheit und plauderten etwas mit der Ladenbesitzerin und ihren Stammkunden. Die üblichen Fragen kamen natürlich wieder auf: „Sind deutsche Frauen oder chinesische hübscher?“, „Wie viel Geld verdient man in Deutschland?“, usw. Wir freuten uns über unseren Triumph über das Wetter und radelten unserem Ziel entgegen, als der Regen wieder aufhörte. Kurz vor dem Ziel jedoch kam noch einmal eine ganze Menge Wasser runter, sodass wir beide nass bis auf die Radwindeln waren.

Damit fiel auch leider wortwörtlich die Hälfte des Besichtigungsprogramm ins Wasser. Wuzhens Hauptattraktion besteht aus dem West- und dem Ostdorf, die den Touristen zugänglich gemacht wurden. Das Ostdorf wurde mehr oder weniger in seinem original Zustand belassen. Dieses schloss jedoch schon bald nach unserer Ankunft seine Pforten. Das Westdorf hingegen wurde stark restauriert ist mit vielen Kunstartikelläden bestückt und wird nachts mit bunten Lichtern in Szene gesetzt. Trotz aller Schönheit wirkt es nach dem gediegenen Tongli etwas überzogen. Martin erwähnte, dass hier nur noch Mickymaus im Kaisergewand fehlte und das Grillengezirpe vermutlich aus Lautsprechern kommt. Dennoch tun wir dem Dorf unrecht. Auch wenn es total überlaufen ist und eher den Anschein eines Szeneviertels macht als einem Museumsdorf, bleiben die Architektur und die Inszenierung dennoch beeindruckend.

Um 10 Uhr abends gehen hier die Lichter aus. Auch wenn man hier solange bleiben kann, wie man will, wollten wir doch nicht die Gastfreundschaft überstrapazieren und verschwanden bald wieder. Denn für Morgen sind ja auch noch knappe 100 km vorgesehen.


Türme der Welt

Transmongolia, 23.07. bis 23.09.2012

81 Kilometer auf staubigen Straßen von Datong nach Yingxian, 94 Höhenmeter, meist viel Verkehr und viel Staub bei angenehmen 22 Grad und Sonne, Besichtigung der Holzstupa in Yingxian.

Was haben Paris, Pisa und Yingxian gemeinsam? Nicht erraten? Die Rückseite der Eintrittskarte zur Pagode von Yingxian verrät es. Und hier kommt die Auflösung: Die drei weltberühmtesten Türme stehen in diesen drei Städten.

Wir besichtigen also heute die berühmte Holzpagode von Yingxian, welche die größte, älteste und schönste Holzpagode in China und damit wohl auch der ganzen Welt ist. (Vor allem in Afrika, Südamerika und in der Antarktis gibt es nur wenig vergleichbare Bauten). Doch bis dahin sind wir am Morgen noch einen Tagesritt entfernt. Den Megabrunch zum Frühstück werden wir eine Weile vermissen, die frischen Baguettes vor allem und den hausgemachten Joghurt.

Bei der Ausfahrt aus datong lassen sich die Dimensionen der Stadt erkennen, auf den vierspurigen Straßen, die stadtauswärts durch die Vorstädte führen ist mehr als regen Leben. Auf der Ausfallstraße wird plötzlich unser Fahrer von der Polizei gestoppt. Er hat ein Pekinger Kennzeichen und darf deshalb die kleine Straße nicht benutzen. Ich radle flugs zurück und wechsle ein paar nette Worte mit dem Polizisten. Die Idee einer Fahrradtour von Russland bis nach Peking beeindruckt ihn und ich verspreche, im nächsten Jahr eine andere Strecke für den Fahrer zu suchen. Der Polizist grinst und gibt Xiao Zhang die Papiere zurück und wünscht uns eine gute Fahrt. Zhang ist glücklich, denn eigentlich hatte er 200 Yuan (25 €) blechen sollen. Doch wenig später müssen wir uns dann sowieso vom Fahrer trennen, wo letztes Jahr eine Baustelle war, ist dieses Jahr auch noch eine, wir können über die Brücke schieben, das Fahrzeug muss einen großen Bogen schlagen. Wir verabreden uns im nächsten größeren Ort.

Hinter der Brücke wird die Straße dann sehr angenehm, denn nun fahren wir autofrei, nur ein paar Mopeds oder Traktoren zuckeln von einem Dorf zum anderen, aber auch hier ist die Freude nur 15 Kilometer lang, dann hat uns die Hauptstraße wieder, auf der ordentlich Schwerverkehr rollt, aber so erreichen wir rasch unser Ziel zum Mittagessen, wieder ein einstmals winziges Städtchen, das in den letzten 10 Jahren explodiert ist und sich zu einer modernen Stadt entwickelt hat.

Gegen 15 Uhr taucht dann erstmals der Umriss der Pagode von Yingxian am Horizont auf. Außer dem Turm, der vor über 1000 Jahren erichtet wurde, gibt es keine weiteren Sehenswürdigkeiten in der Stadt. Aber man hat auch hier die Altstadt saniert, das heißt abgerissen und im Ming oder Qing Stil wieder aufgebaut. Das liegt aber schon ein paar jahre zurück und inzwischen sind alle Läden und Lädchen vermietet und es herrscht regen treiben in den Straßen und Gassen. Für die Pagode zahlt man ordentlich Eintritt, satte 12 € werden fällig und der Nepp kommt erst drinnen, man darf in diesem Jahr nicht hinauf auf den Turm, der so blumenreich mit dem Eiffelturm und dem Schiefen Turm verglichen wird. Ohne einen einzigen Nagel zusammen gezimmert stellt er natürlich die beiden anderen Türme noch in den Schatten, aber man darf eben nicht mehr hinauf. dabei erinnere ich mich noch gut an die grandiose Aussicht, die man vom vierten oder fünften Stock hatte, als wir hier im letzten Jahr waren. Martina und Wolfgang sehen es nicht so tragisch, die Pagode sei auch so recht beeindruckend. So schlendern wir dreimal um die Pagode und durch den kleinen wenig spektakulären Tempel dahinter und suchen uns dann unser Hotel. Hier haben wir dann im 6. Stock, die Aussicht, die wir an der Pagode erwartet hatten.

Heute beenden wir den Abend nicht zu spät, denn morgen wartet wohl eine der schwersten Etappen auf uns, es geht über zwei Pässe zum Heiligen Berg Wutai, dem Wutaishan.


Exhibitionist im Museumsdorf

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Von Suzhou nach Tongli. 41 km

Der Tag begann wieder mit einem ausgiebigen Frühstück, dass sich durchaus die Bezeichnung international Breakfast verdient hatte: Sushi, koreanische Spezialitäten, Nudelsuppe, Ei-Brat-Station, Müsli, Cornflakes, Jogurt,… ich weiß es alles gar nicht mehr. Hier hätte man den ganzen Vormittag verbringen können. Wir lösten uns jedoch bald schweren Herzens mit gefüllten Mägen von unserem Esstisch und gingen unsere erste Radetappe an.

Die Befürchtungen des Vortages haben sich bestätigt: Grünflächen waren nur wenig auszumachen. Stattdessen fuhren wir an gigantischen Wohnsiedlungen vorbei, die nicht mehr aufhören wollten. Die Blähungen der Immobilienblase Chinas werden hier recht gut erkennbar. Nun ja, aber wenn jeder Mann, der in China heiraten möchte, ein Haus haben muss, dann müssen die Wohnungen auch irgendwo herkommen… auch wenn die neugegründete Familie letztendlich dann doch oft genug mit den Eltern zusammen wohnt und die neugekaufte Wohnung leer steht. Sei’s drum. Ich, für meinen Teil, denke diese Tradition wurde nur erschaffen um das chinesische Wirtschaftswachstumswunder aufrecht erhalten zu können.

Die Wohnsiedlungen wirken alle wie ausgestorben. Die 6-8 spurige Straßen komplett menschen- und autofrei. Entweder sind alle in der Stadt zur Arbeit, oder wohnen eben doch bei den Schwiegereltern. Ganz plötzlich überqueren wir einen Kanal und kommen in Tongli an, ein mittelgroßes Museumsdorf, dass durch die vielen kleinen Kanäle aus mehreren kleinen Inseln besteht. Die Renovierungen sind nicht übermäßig durchgeführt worden, sodass alles, trotz der ganzen Touri-Läden noch sehr authentisch wirkt. Gegenüber von unserem Hotel befindet sich ein Sexmuseum. Das hat uns beide dann doch interessiert, wie so ein prüdes Land wie China mit so einem Thema in der Öffentlichkeit umgeht. Offensichtlich doch recht offen, denn im Eingangshof begrüßte uns schon ein Riesenpenis. Den Rest der Ausstellung kann man sich dann glaub ich denken.

Abends wurden die Brücken und Straßen stilvoll beleuchtet und so konnten wir nach unserem Eisbein-Abendessen noch ein wenig am Kanal die Atmosphäre genießen und an unserem Nebentisch zuschauen, wie Chinesen Geburtstage feiern.


Großstadtmilieu

Transmongolia, 23.07. bis 23.09.2012

Noch ein Ruhetag in Datong, Spaziergang auf der neuen alten Stadtmauer und Besichtigung der „restlichen“ Tempel der Stadt.

Wieder verlockt das großzügige Frühstücksangebot dazu, viel zu viel zu essen und entsprechend schwer fällt der Aufbruch. In der Hotelstraße gibt es einen guten Radladen, hauptsächlich mit Bianchi Rädern, die hellgrün im Schaufenster leuchten. Die preise sind mit Rädern in Europa vergleichbar. Wer fährt hier solches Edelgerät, wo man dafür 4 oder 5 E-Bikes bekommen kann.

Wieder beginnen wir mit einem schönen Tempel gegenüber der Stadtmauer und wandeln durch neue altre Anlagen, hinter dem pseudohistorischen Gebäuden, angeblich aus der Yuan Dynastie wird gerade ein schöner Park angelegt, aber es wird noch ein paar Monate dauern, bis man hier staubfrei lustwandeln kann. Die Stadtmauer von Datong war im letzten Jahr nicht viel mehr als ein Lehmwall, aber die Handwerker haben fleißig gearbeitet und ihr Budget ordentlich verbaut, zwei Drittel der Stadtumwallung mit fast 6 Kilometern Länge sind bereits wieder hergestellt und vermutlich bombastischer als jemals zuvor, denn um die Tore gibt es gigantische Fortanlagen. Von hier oben hat man einen herrlichen Blick, draußen vor den Mauern liegen die Sattelitenstädte mit 10 bis 15-stöckigen Wohnsilos und in der Stadt prallen neu, pseudoalt und alt aufeinander. Fast zwei Stunden verbringen wir auf der Mauer und werden kaum gestört, denn außer uns gibt es nicht mehr als ein Dutzend weiterer Spaziergänger. Beim Osttor steigen wir dann wieder herab und stehen vor einem weiteren alten Tempel, eigentlich haben wir keine Lust mehr, aber von oben hatten wir einen schönen weißen Stupa erblicken können und so nehmen wir diesen Tempel dann als Abschluss unseres Besichtigungsprogrammes. Auch hier gibt es kaum Touristen und wir sind in der großen Anlage fast alleine und genießen die Ruhe und Abgeschiedenheit, bis wir durch den Baulärm zurück zum Hotel ziehen. Abends gehen wir wieder in das tolle Restaurant vom ersten Abend und genießen noch einmal in vollen Zügen.

Datong wird wohl in den nächsten Jahren massiv in den Reiseführern auftauchen und kann seinen Gästen gute zwei Tage volle Sehenswürdigkeiten bieten. Dazu kommt natürlich noch die Straße mit den großen Kaufhäusern und in der Neualtstadt werden sich wohl zahlreiche Boutiquen ansiedeln und die Bücher werden die Stadt als „chinesisches Rom“ oder so etwas loben. Aber wahrscheinlich wird man bald nicht mehr den Luxus haben ungestört unter Pinien und zwischen alten und neuen Tempeln zu wandeln, sondern sich mit aberhunderten von Chinesen und ein paar Ausländern den Kulturgenuss teilen müssen.