Die unscheinbare Stadt der Superlative

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Von Wuzhen nach Hangzhou. 94 km

Unterwegs führte uns unsere Route heute weiter vorbei an vielen Textilindustriegebieten. Man könnte meinen von hier aus wird die Welt eingekleidet. Entenfarmen kamen ebenfalls des Öfteren ins Sichtfeld. Vorurteile gegen Chinas schlechten Umgang mit Tieren werden hier aber gründlich aufgeräumt. Die Farmen hätten vermutlich das Bio-Siegel verdient, wenn man sieht mit wie viel Liebe die Freiflächen und Teiche für die Tiere angelegt wurden.

Auf halber Strecke machten wir einen kleinen Abstecher in die Altstadt von Xinshi (übersetzt Neustadt)… also neustädter Altstadt. Nach dem Trubel in Wuzhen gestern wirkte die Altstadt sehr authentisch und wir durften sogar einem Schreiner bei dem Umgang mit einem Bogen-Bohrer zusehen, der bei uns zu Hause wohl nur im Museum zu finden wäre. Der Schreiner beneidete Martin ein wenig um seine elektrische Bohrmaschine, erklärte aber gerne seine Arbeitsschritte.

Den Tag über blieb es zum Glück trocken… diesmal auch als wir an unserem Ziel ankamen. Hangzhou wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar. Vor allem, wenn man mit dem Fahrrad erst einmal nur zum Hotel fährt. Hohe Wohnhäuser in den Vororten für die ganzen Männer, die heiraten wollen, breite Straßen, viele Autos, riesige Kreuzungen… bis man zum Westsee kommt. Ohne ihn wäre Hangzhou eine weitere Großstadt, die nur von ihrem vergangenen Ruhm lebt. Hier hört die Stadt urplötzlich auf und man findet sich mitten im Grünen wieder, umgeben von Wasser und Bäumen. Er und das Gebiet drum rum gelten als ein Vorzeigebeispiel städtischer Gartenbaukunst und wurden über die Jahre immer wieder weiter ausgebaut. Hangzhou gilt auch heute noch unter Chinesen als eines der schönsten Städte Chinas, bringt angeblich die schönsten Frauen hervor, hat den wohl besten Tee, war einst die größte Stadt des Planeten (13. Jahrhundert), hat die größte Gezeitenwelle der Welt, und und und… Mit all diesen Superlativen können alle anderen Städte Chinas eigentlich einpacken. Dennoch bleibt Hangzhou für chinesische Verhältnisse trotz seines Status als Provinzhauptstadt ein eher überschaubarer Ort.

Doch die Besichtigung stand erst morgen an. So begnügten wir uns mit einem leckeren Abendmahl, begleitet von einer grölenden Firmenfeier am Nebentisch, die uns im Laufe des Abends immer mehr einbezog: „Tut uns Leid, dass wir so laut waren. Komm wir trinken einen drauf!“ „Ihr seid aus Deutschland!? Komm wir trinken einen drauf!“ „Du bist auch Reiseleiter?! Komm wir trinken einen drauf!“ Zum Glück ist das Gelage nicht komplett ausgeartet, auch dank dem schwachen chinesischen Bier und den kleinen Gläsern, sodass wir noch geraden Schrittes unsere Zimmer gefunden haben.


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