Der Himmelsee. Der Weg dahin. Der Weg herum.

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Hier ein Gastbeitrag meiner geschätzten Monika:

Die Königsetappe wartet. Und dafür müssen Opfer gebracht werden. Das erste Zugeständnis ist eine Straßen-Nudelsuppe um 7:00 Uhr plus Kaffee mit dem Hotelwasserkocher. Ein chinesischer Straßenreinigungswagen fährt mit dicken Wasserstrahl und lauthals plärrender Diskomusik dabei mehrfach um uns herum. Dann los. Ein Traumstart. Der Himmel strahlt aus wie mit einem Wischmop geputzt. Wolkenlos und mit blauer Farbe angemalt. Links liegt unser Ziel – das Bodga-Gebirge. Die höchsten Gipfel haben blendend weiße Schneekappen aufgesetzt und die Vorberge wie einen üppigen Königsmantel vor sich aufgefaltet. Dieter pedalt vorneweg. Auf seinem Lenker hat er alles installiert was möglich ist. Tasche mit Fotoausrüstung, Halterung fürs Streckenprofil, Kompass und natürlich das GPS. Nur den Rückspiegel musste er murrend wieder einstecken. Kein Platz mehr.
Die Sonnenblumen auf den Feldern strecken ihre Gesichter kollektiv zur Sonne hin. Wir kommen an großen Tomatenfeldern vorbei. Die Ernte ist bereits von HEINZ bestellt und wird zu Ketchup verarbeitet. Die nächste Tüte Pommes-Schranke zu Hause werden wir mit mehr Ehrfurcht verzehren.

Die angekündigten 140 km lassen uns mit den Kräften haushalten. Nach der Landwirtschaft kommt der nächste Erwerbszweig – schwarze Steinkohle. Abgebaut unter Tage. Hierher kommen all die großen roten Lastwagen, die uns bereits den ganzen langen Weg wild hupend begleiten und uns ihren heißen Abgas-Atem zuweilen ins Gesicht fauchen. Rasselnd füllt die monströse HEAVEN DRAGON MINING COMPANY die leeren LKW-Ladefläche auf. Wir machen Pause und füllen auch auf. Kohlenhydrate – In Form von Gemüsenudeln. Zufrieden wischt sich Martin den Schnauzbart ab. Nahrungsergänzungsmittel und Doping in Form von gerösteten Lammspießchen kommen noch dazu. Jan kauft den gekühlten Inhalt einer Getränketruhe auf, jetzt sind vorbereitet. Königsetappe heißt in Fakten – erst mal 105km lockeres Aufwärmen und dann kommt zum Tagesabschluß ein Anstieg von 1650m. Hoch zum Himmelsee. Unsere kleine Gruppe zerfällt in zwei Lager. Die Hälfte stellt geistig bereits kleiner Reservierungsschildchen auf die Rückbänke unseres Fahrzeugs, das tapfer hinter uns hertuckert. Die anderen wollen hoch. Ganz? Die Hälfte? Mal sehen. Hurra – auf geht’s!

Motiviert bis an die Haarspitzen kommen wir zum Ticketoffice. Ein nagelneues Betongebäude hockt in der Landschaft. Dazu viele Parkplätze. Unmengen an Shuttlebussen. Jan furcht die Stirn. Das war doch letztes Jahr noch nicht da. Er geht los – die Lage klären. Leider gibt es da nicht viel zu klären. No Way. Keine Möglichkeit für Radler, Begleitfahrzeuge. Keine Ausnahme. Nichts. Freude und Frust. Heimliche Erleichterung und offensichtliche Enttäuschung. Die Emotionen sind unterschiedlich. Ein persönliches Geständnis. Ich bin sauer … stinksauer. Mitsamt dem Tagesgepäck werden wir in klimatisierte Busse gepfercht und mit klebrigen Musikvideos beschallt. Für alle, denen der spektakuläre Bergblick zu langweilig ist. 30 Minuten lang werden wir so über Serpentinen den Berg hochgekurbelt. Ja, es ist viel Verkehr. Ja, es ist spät. Ja, es hätte ein paar Stunden gedauert. Ja, wahrscheinlich ist es auch richtig hier nicht hochzuradeln. Ja, ja, ja – trotzdem……

Unsere Jurten liegen in einem kasachischen Camp. Sind groß und schön. Die Toilettenanlagen sind auch sehr großzügig. Eigentlich über das ganze angrenzende Waldstück verteilt. Zum Abendessen kreisen Milane über uns.
Dann ist Ruhetag. Eine kleine Wanderung um den türkis schimmernden Bergsee. Kein Problem – unser Gastgeber stimmt uns positiv. Gestern hatte er dänische Gäste – diese geübten Bergwanderer sind in 2 Stunden um den See spaziert. Ehm… wir brauchen 10 Stunden. Hört sich mühsam an – ist aber wunderschön. Wir begegnen auf der ganzen Umrundung keinen anderen Wanderern. Kommen an Jurten vorbei und trinken Tee mit Kasachen die dort wohnen und auf ihr Vieh aufpassen – kreuzen Bergbäche mit unseren Schuhen in der Hand. Hüpfen in stillen Buchten in den klaren See.

Nach 6 Stunden sitzen wir auf einer Anhöhe in einer kleinen Pagode – die letzten Kekse sind aufgegessen und wir fabulieren über die besten Currywurstbuden in Deutschland. Wo sind sie? Im Gärtnerplatzviertel in München – niemals – selbstverständlich in Kreuzberg, Berlin. Zaghafte Versuche auch schwäbische oder schweizerische Imbissbuden zu nominieren scheitern. Wir stiefeln die letzten der 16.482 Stufen bis zu unserem Jurtencamp zurück und fallen ausgehungert über Reis, Gemüse und Kartoffeln her, die unsere schmale Kasachen-Gastgeberin auf ihrem kleinen Eisenofen für uns vorbereitet hat. Energisch klappert sie mit dem Geschirr, die Perlenkette um den Hals vibriert mit, wenn sie erklärt dass wir nicht mit den Schuhen in die Jurte dürfen, keine fremden Waschplätze benutzen oder wir uns endlich zum Essen hinsetzen sollen. Heute ist es friedlicher. Die Wochenendgäste sind alle abgereist. Schön ist es. Wir haben unseren Frieden mit dem Himmel und dessen See geschlossen.


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