Übers Dach runter in den zweiten Stock

Auf dem Dach der Welt, 04. bis 29.05.2013

125 Kilometer von Sumo nach Zhangmu, noch einmal 1200 hm hoch und mehr als 3500 nach unten, zwei Pässe mit 5025 und 5120 Metern Höhe und dann Downhill bis zum Grenzort Zhangmu in 1700 Meter Höhe, bei Sonne bis 22 Grad.

Warum das „Dach der Welt“ das „Dach der Welt“ begreifen wir heute. Aus Angst vor dem Gegenwind sind wir heute mit Sonnenaufgang beim Frühstück und schon 7.30 Uhr auf den Rädern. Es ist noch bitterlich kalt, so knapp unter dem Gefrierpunkt und nur ganz langsam dringt die Sonne in die Täler vor. Als wir dann endlich im Sonnenschein fahren wird es angenehm, auch die Höhe scheint uns kaum noch etwas auszumachen, so strampeln wir dann den letzten beiden 5000er Pässen entgegen. Als sich die Landschaft etwas öffnet und wir in die letzten Anstiege gehen kann es eigentlich nicht schöner sein.
Was für ein Panorama, was für ein Licht, was für ein Land-schon für diesen einen Tag hätte sich die Tour und alle Anstrengungen gelohnt. Zwar ist der Everst zu weit entfernt, aber der Blick ist frei auf den Shishapangma und den Cho Oyu, denen wir heute fast schon beängstigend nahe kommen; und unsere Straße scheint uns direkt dorthin zu führen.
Die beiden Pässe sind dann ein Klacks, zuerst kommt der Lalung La, der dann nach dem Hauptanstieg nur ein sanfter Hügel ist, dann geht es noch einmal in einer schönen Abfahrt 200 Höhenmeter runter und dann auch wieder mit recht gemütlichen 4 % Steigung wieder hinauf, noch einmal einen Schritt näher an die höchste Gipfelkette der Welt heran. Schon kurz nach 11 Uhr ist dann auch der nächste Anstieg auf 5140 Meter Höhe geschafft, der Yarle Shung La, und damit der letzte hohe Pass auf der Tour. Der Abstieg auf der anderen Seite lässt sich schon erahnen und es ist wirklich wie auf dem Dach eines Hauses, auf beiden Seiten geht es nach unten, nur ein paar Giebel überragen uns noch.

Das zeitige Aufstehen hat sich gelohnt, bis jetzt ist es windstill und so stürzen wir uns in die wohl längste Abfahrt der Welt. Unser Glück hält noch eine Weile an, nämlich bis 20 Kilometer vor Nyalam, der vorletzten chinesischen Stadt, dann haben wir den Wind ordentlich gegen uns.
Nach unten hin wurde die Luft spürbar dicker und dicker und es wird auch wärmer. Die Felder in den tibetischen Dörfer stehen hier schon viel weiter im Grün und es gibt mehr Wasser und Bäche. Das ist natürlich kein Wunder, denn es schafft nur ein kleiner Teil der Wolken übers Dach der Welt, so ist der südliche Teil des Himalaya der schönere, zumindest was die Vegetation angeht.
Während wir mal in Serpentinen, mal in langen Tälern nach unten rollen, verschwinden die Eisgipfel nach und nach und dann kämpfen wir noch 1,5 Stunden gegen den Wind, bis wir die an einen Hang geklatschte Stadt Nyalam erblicken. Hier dominieren Zweckbauten aus Beton und das Leben wird vom Handel mit Nepal bestimmt. Vor ein paar Wochen hat ein kräftiger Dauerregen die einzige Brücke in der Stadt weggespült, zwar gibt es unten einen wackeligen Steg über den reißenden Bach, den ich auch probiere, aber es ist einfach zu gefährlich, wer dort reinfällt, der kommt lebend nicht mehr aus dem Wasser raus. Also nehmen wir die 4 Kilometer Umfahrung in Kauf, um zu unserem Mittagessen zu kommen. Das von Lecbe, unserem Führer, empfohlenen Restaurant hat geschlossen, bei einem weiteren Restaurant ist der Koch nicht zu finden und so bleibt nur eine Bude mit Lanzhou Nudeln. Zum Glück entdecke ich dann noch einen Jiaotze-Laden, das sind gefüllte Teigtaschen, die eigentlich im Norden Chinas ihr zu Hause haben, wie Ravioli, superlecker und ich habe mich während meines Studium in Beijing hauptsächlich davon ernährt. Wir verschlingen dann 2 kg der leckeren Taschen und sind bereit für die nächsten 30 Kilometer.

Der Gegenwind hat noch einmal ordentlich aufgefrischt und treibt dicke Wolken aus Nepal heran, doch das ist jetzt egal, denn die Straß fällt mit sattem Gefälle in die Schlucht und so kommen wir gut voran. Kurve um Kurve wird die Luft nun dicker und feuchter, rundherum wird es grüner und die Pflanzen werden größer, bald kommen die ersten Bäume und Sträucher.

Die Straße ist ein Wunderwerk an Ingenieurskunst, klebt oft dicht am Felsen und auf der anderen Seite geht es 200 oder 300 Meter in die Tiefe. An vielen Stellen muss permanent nachgebessert werden, weil nach jedem Regenfall sich Gestein löst oder Erdrutsche die Strecke ganz blockieren.

Gegen 17 Uhr taucht dann der Grenzort Zhangmu auf, ein wildes Nest mit schmalen Gebäuden, die sich über fast 10 Kilometer an einer Straße reihen, die sich wie ein Drachen durch den fast schon subtropisch grünen Berghang zieht. Die Straße ist schmal und die Verkehrslage chaotisch. Es wird viel gebaut und an den Baustellen kommt gerade noch ein Fahrzeug durch, kommt dann Gegenverkehr, entsteht auf beiden Seiten ein hupender Knoten, der sich immer nur mit Mühe entwirren lässt und unser Fahrer lässt auch sichtlich Nerven. Dann wird er auch noch von einem Polizisten aus dem Verkehr gezogen, weil er nicht angeschnallt war, seine Lizenz verschwindet in einer Schublade und er darf nicht weiter. Nach Lecbes Intervention, darf er dann wenigstens weiter fahren und später telefoniert noch einmal der Chef der Reiseagentur mit der Polizei und am Abend bekommt der Fahrer seine Papier zurück und braucht nicht einmal die angedrohten 200 Yuan Strafe zu bezahlen.

Gegenüber dem Hotel gibt es ein nepalesisches Restaurant und dort bereiten wir uns dann kulinarisch schon einmal auf die nächsten Tage vor. Der eindrucksvolle Tag mit 125 Kilometern sitzet aber dann doch in den Knochen, sodass wir nicht zu spät in die Betten verschwinden.


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