Der Himmelsee. Der Weg dahin. Der Weg herum.

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Hier ein Gastbeitrag meiner geschätzten Monika:

Die Königsetappe wartet. Und dafür müssen Opfer gebracht werden. Das erste Zugeständnis ist eine Straßen-Nudelsuppe um 7:00 Uhr plus Kaffee mit dem Hotelwasserkocher. Ein chinesischer Straßenreinigungswagen fährt mit dicken Wasserstrahl und lauthals plärrender Diskomusik dabei mehrfach um uns herum. Dann los. Ein Traumstart. Der Himmel strahlt aus wie mit einem Wischmop geputzt. Wolkenlos und mit blauer Farbe angemalt. Links liegt unser Ziel – das Bodga-Gebirge. Die höchsten Gipfel haben blendend weiße Schneekappen aufgesetzt und die Vorberge wie einen üppigen Königsmantel vor sich aufgefaltet. Dieter pedalt vorneweg. Auf seinem Lenker hat er alles installiert was möglich ist. Tasche mit Fotoausrüstung, Halterung fürs Streckenprofil, Kompass und natürlich das GPS. Nur den Rückspiegel musste er murrend wieder einstecken. Kein Platz mehr.
Die Sonnenblumen auf den Feldern strecken ihre Gesichter kollektiv zur Sonne hin. Wir kommen an großen Tomatenfeldern vorbei. Die Ernte ist bereits von HEINZ bestellt und wird zu Ketchup verarbeitet. Die nächste Tüte Pommes-Schranke zu Hause werden wir mit mehr Ehrfurcht verzehren.

Die angekündigten 140 km lassen uns mit den Kräften haushalten. Nach der Landwirtschaft kommt der nächste Erwerbszweig – schwarze Steinkohle. Abgebaut unter Tage. Hierher kommen all die großen roten Lastwagen, die uns bereits den ganzen langen Weg wild hupend begleiten und uns ihren heißen Abgas-Atem zuweilen ins Gesicht fauchen. Rasselnd füllt die monströse HEAVEN DRAGON MINING COMPANY die leeren LKW-Ladefläche auf. Wir machen Pause und füllen auch auf. Kohlenhydrate – In Form von Gemüsenudeln. Zufrieden wischt sich Martin den Schnauzbart ab. Nahrungsergänzungsmittel und Doping in Form von gerösteten Lammspießchen kommen noch dazu. Jan kauft den gekühlten Inhalt einer Getränketruhe auf, jetzt sind vorbereitet. Königsetappe heißt in Fakten – erst mal 105km lockeres Aufwärmen und dann kommt zum Tagesabschluß ein Anstieg von 1650m. Hoch zum Himmelsee. Unsere kleine Gruppe zerfällt in zwei Lager. Die Hälfte stellt geistig bereits kleiner Reservierungsschildchen auf die Rückbänke unseres Fahrzeugs, das tapfer hinter uns hertuckert. Die anderen wollen hoch. Ganz? Die Hälfte? Mal sehen. Hurra – auf geht’s!

Motiviert bis an die Haarspitzen kommen wir zum Ticketoffice. Ein nagelneues Betongebäude hockt in der Landschaft. Dazu viele Parkplätze. Unmengen an Shuttlebussen. Jan furcht die Stirn. Das war doch letztes Jahr noch nicht da. Er geht los – die Lage klären. Leider gibt es da nicht viel zu klären. No Way. Keine Möglichkeit für Radler, Begleitfahrzeuge. Keine Ausnahme. Nichts. Freude und Frust. Heimliche Erleichterung und offensichtliche Enttäuschung. Die Emotionen sind unterschiedlich. Ein persönliches Geständnis. Ich bin sauer … stinksauer. Mitsamt dem Tagesgepäck werden wir in klimatisierte Busse gepfercht und mit klebrigen Musikvideos beschallt. Für alle, denen der spektakuläre Bergblick zu langweilig ist. 30 Minuten lang werden wir so über Serpentinen den Berg hochgekurbelt. Ja, es ist viel Verkehr. Ja, es ist spät. Ja, es hätte ein paar Stunden gedauert. Ja, wahrscheinlich ist es auch richtig hier nicht hochzuradeln. Ja, ja, ja – trotzdem……

Unsere Jurten liegen in einem kasachischen Camp. Sind groß und schön. Die Toilettenanlagen sind auch sehr großzügig. Eigentlich über das ganze angrenzende Waldstück verteilt. Zum Abendessen kreisen Milane über uns.
Dann ist Ruhetag. Eine kleine Wanderung um den türkis schimmernden Bergsee. Kein Problem – unser Gastgeber stimmt uns positiv. Gestern hatte er dänische Gäste – diese geübten Bergwanderer sind in 2 Stunden um den See spaziert. Ehm… wir brauchen 10 Stunden. Hört sich mühsam an – ist aber wunderschön. Wir begegnen auf der ganzen Umrundung keinen anderen Wanderern. Kommen an Jurten vorbei und trinken Tee mit Kasachen die dort wohnen und auf ihr Vieh aufpassen – kreuzen Bergbäche mit unseren Schuhen in der Hand. Hüpfen in stillen Buchten in den klaren See.

Nach 6 Stunden sitzen wir auf einer Anhöhe in einer kleinen Pagode – die letzten Kekse sind aufgegessen und wir fabulieren über die besten Currywurstbuden in Deutschland. Wo sind sie? Im Gärtnerplatzviertel in München – niemals – selbstverständlich in Kreuzberg, Berlin. Zaghafte Versuche auch schwäbische oder schweizerische Imbissbuden zu nominieren scheitern. Wir stiefeln die letzten der 16.482 Stufen bis zu unserem Jurtencamp zurück und fallen ausgehungert über Reis, Gemüse und Kartoffeln her, die unsere schmale Kasachen-Gastgeberin auf ihrem kleinen Eisenofen für uns vorbereitet hat. Energisch klappert sie mit dem Geschirr, die Perlenkette um den Hals vibriert mit, wenn sie erklärt dass wir nicht mit den Schuhen in die Jurte dürfen, keine fremden Waschplätze benutzen oder wir uns endlich zum Essen hinsetzen sollen. Heute ist es friedlicher. Die Wochenendgäste sind alle abgereist. Schön ist es. Wir haben unseren Frieden mit dem Himmel und dessen See geschlossen.


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Polizisten/innen

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das Tongyi Binguan in Jimsar ist ein Paradebeispiel dafür, wie man ein eigentlich elegantes Hotel auf chinesische Art vernachlässigen kann. Details, die schon beim Bau nicht zusammenpassen (unerreichbare Abflüsse, auf den nassen Putz geklebte Tapeten…) bilden eine vollkommene Symbiose mit Gästen, die wie Stürme durch die Zimmer ziehen: rauchenden, trinkenden, spielenden Gesellen. Das Personal kämpft gegen Windmühlen. So muss man sich ein typisches 3-Sterne Hotel in der chinesischen Provinz vorstellen.

Aber mal wieder Internet. Ich sitze am vollautomatischen Majiang-Tisch in meinem riesigen Zimmer, um mich herum Brandlöcher auf dem pelzigen Teppich, und habe ein nett verwohntes Ambiente um mich herum. Heute Abend hat uns die Obrigkeit genervt, für eine Stunde musste ich erklären was wir so machen und mit dem wichtigen Herrn von der Polizei die Pässe durchgehen. Das ist ungewöhnlich, meistens ist das Verhältnis mit den Staatsdienern sehr entspannt in der Volksrepublik China (was nun wiederum politisch unkorrekt klingt, zumindest für deutsche Spiegel-Leser. Aber was will man machen, bei mir war das bis jetzt der Fall). Wir müssen uns ja öfters mal registrieren, das geht problemlos und freundlich vonstatten, hier in Xinjiang wird man dabei stets mit Melonen beschenkt. Höhepunkte sind immer die Mautstellen der Autobahnpolizei, dort wird man herumgeführt, versorgt und gefeiert. Die Angestellten sind meistens eine Woche vor Ort, dann erst hat man eine Woche Heimaturlaub. Dementsprechend richten sie es sich hier ein: Beete, Ställe, Teiche, im menschenleeren Xinjiang sind diese Mautstellen fast selbstversorgend.

Morgen geht es für uns auf die Königsetappe, ich glaube nicht, dass es in unserem Portfolio ähnliches gibt (140km und die letzten 30 davon bergauf). Muss auch nicht sein, dass wir alles fahren. Die Stimmung ist aber bestens, die Mägen sind voll, der Geist der Truppe ist ambitioniert aber nicht verbissen. Etwas weniger Plattfüße wären nett, dagegen kann man leider nicht viel machen. Immer das gleiche: die alten Reifen-Karkassen der Lasttransporte sind so abgenutzt, dass sie sich langsam auflösen. Kleine fiese Drähte zieren die die Straßen der Fernfahrerstrecken. Ab morgen ist jedenfalls erstemal Jurte und ab Urumqi dann wieder Strom.


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Ein Wetter für den Mann in schwarz

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Der Mann in schwarz wurde nicht in Nashville sozialisiert, er kommt aus Kiel und heißt Lutz. Weil er aus Kiel kommt, war das sein Wetter heute: ein tiefer Himmel, ein zugiger Wind, hin-und wieder Regenschauer, herrlich! Der Wind kam von Nordost und man sah jeder Kehre gespannt entgegen, er blies dann meistens von der Seite, eigentlich ganz fair. Wir haben die Etappe gut hinter uns gebracht, windzersaust und um einige dramatische Eindrücke reicher. Immer nur blauer Himmel wäre ja auch langweilig.

Gestern war blauer Himmel. Vom grünen Rand des Barkol-Gebirges sind wir in das Bogda-Gebirge geradelt, hinein in eine zerklüftete und ziemlich bizarre Berglandschaft. Kamele säumten unseren Weg, teilweise große und unbeaufsichtigte Herden. Am Anfang waren wir natürlich aufgeregt, zum Schluss haben wir den Anblick ebenso gleichmütig hingenommen wie die Tiere den unseren. Lässig stehen sie in der Prärie herum, die Kamele, den Blick in die Ferne gerichtet. Ihren eigentlichen Zweck als Transporttiere erfüllen sie kaum noch, sie werden für ihr Fleisch gezüchtet. Das muss teuer sein. Unser Kamelflüsterer würde niemals Kamelfleisch essen. Unser Kamelflüsterer ist Frank, er bewegt sich behutsam auf die halbwilden Tiere zu, sie lassen sich von ihm streicheln. Was er flüstert darf niemals verraten werden! Vielleicht pfeift er ihnen auch ein zartes Tremolo, oder er singt etwas für sie, in leisem Bariton. Das kann er gut. (Auch Esel fressen ihm aus der Hand, wahrscheinlich alle Tiere…).

Die Kameldichte nimmt langsam ab. Wir hatten in einem kasachischen Dorf übernachtet, sehr traditionell und unvorbereitet (es geht manchmal nicht anders, man geht dorthin und fragt sich durch). Heute hatten wir einen kleinen Wettersturz und die 44 Grad aus Hami sind zwischenzeitlich auf 16 Grad zusammengeschrumpft. Keine Menschen hier, man ist der Natur ausgesetzt, ein auf-und ab durch das Gebirge und später durch die Steppe. Jetzt sind wir in der kleinen Stadt Mulei und rechtschaffen müde nach den knapp 250km der letzten beiden Tage.

P.S. der Track scheint nicht richtig angezeigt zu werden, ich reiche ihn nach. Bin im Internetladen von Mulei und muss jetzt mal schlafen gehen.


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Macht kaputt was euch kaputt macht

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Wie theatralisch. In meinem Fall geht es ja nur um einen GPS-Empfänger, und der hat von ganz alleine den Geist aufgegeben. Er verweigert jede Ortung. Das interne Antennenkabel ist defekt, meint Dieter, der sich damit auskennt. Jedenfalls kann ich derzeit völlig entspannt vor mich hin fahren, denn wo wären wir, wenn nicht mindestens drei andere GPS-Geräte sofort einspringen könnten. Die Tracks der Tour haben wir einander schon zuvor überspielt und jetzt ist Dieter für die Feinorientierung zuständig. Es könnte keinen besseren geben, ich habe nun plötzlich einen Hospitanten der schon alle Weltmeere besegelt und einige CBB-Touren hinter sich hat. Abends macht er die Tracks zurecht, zu allem Überfluss kümmert er sich auch noch um die Kasse. Ein paar Brocken Chinesisch und er ist eingestellt.

Fachmännische Kommentare kommen außerdem von Martin, Michael hält sich zurück und kratzt über das Touchpad seines Empfängers. Für mich ist es ein nahezu neues Fahrgefühl, man klebt ja mit einem Auge ständig an dem Ding am Lenker, drückt hin- und her, addiert und subtrahiert. In unserem Fall erklärt sich die Strecke fast von selbst, wir sind in einen nördlichen Seitenarm der Seidenstraße eingebogen und fahren nun die Provinzstraße 303 nach Westen, endlich ist es luftig und grün.

Die angenehmen Temperaturen mussten wir uns erst hart erklettern, die erste richtige Etappe war gleich am Anschlag. Zunächst schnurgerade und stetig bergauf, bei wüsten Temperaturen, dann windet man sich um das Gebirge herum, auf das man fast 50km zugesteuert ist und das einfach nicht näherkommen wollte. Schließlich ein langgezogener Schlussanstieg durch ein irreales Tal, eingezwängt in schroffen, rot-braunen Fels. Oben in der Ebene hat man dann 2000 Höhenmeter hinter sich, dafür gleitet man plötzlich durch grüne Auen und wird von einem lauen Lüftchen umschmeichelt.

Jetzt fahren wir also durch dieses Grasland, am nördlichen Rand des Barkol-Gebirges entlang, einem Ausläufer des Bodga-Gebirges, welches wiederum ein Ausläufer des Tianshan ist. Am Wegesrand stehen Jurten, die immer wieder von flachen Lehm-oder Ziegelbauten abgelöst werden. Das Steppendasein wird in kleinem Stil vermarktet (unsere Jurtenmutter gestern war von der Hui-Minorität, die nicht gerade für ihr Nomaden-Dasein bekannt ist), aber insgesamt ist die Gegend zu weit ab vom Schuss für den ganz großen Zirkus. Vor allem Uiguren und Kasachen siedeln hier und teilen sich die weite Landschaft mit grasendem Vieh: Rinder, Schafe, Pferde und vereinzelt Kamele. Milane kreisen in der Luft.


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In die Melonen

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Ach wer hat denn da geschrieben, der liebe Christof, glauben Sie seinen Worten nicht, alles Understatement. Christof ist in Beijing, ich bin ich Xinjiang, das müssten eigentlich zwei Zeitzonen sein, aber in der Volksrepublik gilt nur die Beijing-Zeit (geografisch gesehen umfasst China sogar vier Zeitzonen). Die Leute in Xinjiang haben deshalb ihre inoffizielle Zeitrechnung, zwei Stunden vor Beijing. Nach der lokalen Zeit ist es 21, offiziell und national 23 Uhr, bei Verabredungen muss unbedingt diese Referenz angegeben werden, was erstmal verwirrt.

Und wir sind ja erst am Ostrand der Provinz, in Kashgar ist es geografisch gesehen noch mal eine Stunde früher. In Hami aber schreibt man die Erntezeit der weltberühmten Hami-Melone. Unmöglich ihr zu entkommen. Wortgewandte Pilzsammler gehen in die Pilze, wir gehen in die Melonen (bebildert unten ist aber unser Gang in die Baumwolle, auch davon gibt es viel hier).

Die Menschen von Hami haben heiße Herzen (chin. „rexin“). Melonen und andere Köstlichkeiten wurden uns ganz selbstverständlich gereicht. Ich musste nachmittags mit dem Taxi durch die halbe Stadt, die Fahrerin wollte kein Geld von mir. Gleich zwei Radläden haben wir beansprucht und sie haben eine Menge Arbeit in unsere Räder gesteckt, die wollten auch nichts. Auf dem Sonntagsmarkt wurden wir beschenkt, auf dem Nachtmarkt ist die Herzlichkeit übergeschäumt…aus der Trinkerei rauszukommen ist in diesem Fall schwierig, davon können die meisten Chinareisenden ein Lied singen.

Es kommt einem nicht chinesisch vor in Hami. Statistiken, die für den Kreis fast 70% als Han-Chinesen und den Rest als Hui und Uiguren ausweisen überraschen, die Muslime sind auf jeden Fall viel sichtbarer. Die Hui-Minderheit ist arabischer Abstammung und ziemlich assimiliert, sie ist über das ganze Land verstreut. Die Uiguren haben ihr Stammland genau hier in Xinjiang, sie prägen das Bild der Stadt und der ganzen Provinz. Auf Provinzebene stellen sie die Mehrheit der Bevölkerung und haben ein gewisses Maß an Autonomie. Zur Zeit der Qing-Dynastie, sogar noch bis 1930, war Hami würdiger Sitz eines eigenen kleinen Königreichs, die Mausoleen der Hami-Könige haben wir uns heute auch angeschaut. Monika und Frank waren stolz und gerührt, als sie die auf den Thron gebeten wurden.

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Bartlos in Xinjiang

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das klingt im Nachhinein immer konstruiert, aber heute war ein perfekter Reisetag. Ein perfekter Reisetag hat für mich nichts zu tun mit Höhepunkten, Sehenswürdigkeiten, Endorphin-Ausschüttung, eher mit Unwägbarkeiten und der Bewegung an sich. Das passiert am besten langsam und auf dem Landweg. Wir etwa mussten heute sehr früh los und punktgenau ankommen, um dann die nächsten Stunden in Wolken von Unwissenheit dahinzutreiben, um schließlich ziellos durch eine neue Stadt zu radeln. Solche Gedanken kommen natürlich bevorzugt nach dem Abendessen und ein paar Gläsern Baijiu, der zusätzlich erhitzt, als ob das nötig wäre, die Straßen von Hami sind nachmittags wie leergefegt, man spricht von den heißesten Tagen des Jahres. Als wir um 6 Uhr abends an unseren Rädern gearbeitet haben war es noch immer über 40 Grad.

Um 4:30 Uhr morgens mussten wir los auf eine Harakiri-Fahrt durch die graue Wüste, erst grau im Dunkel und dann grau in der Dämmerung, die Straße geht 120km geradeaus. Eine Landschaft wie im Traum, wenn man aus seinen Träumen mal kurz erwacht. Die Sonne ging dann auf über einer Wüste aus Geröll und dann aus endlosen Hügeln von schwarzem Kies. Unser Zielort, Liuyuan, ist das Ende der Welt. Im Ort waren frühmorgens die Hauptstraßen gesperrt, wir sind also querfeldein über das Geröll geschleudert worden.

Den Zug T53 aus Shanghai kommend haben wir nur erwischt, weil er fast eine Stunde Verspätung hatte. Die Verspätung hat sich summiert, wir sind in eine endlose Schleife von Gütertransporten hineingekommen und vor dem Fenster strich die Wüste bzw. die heftigen Sandbewegungen dieser Tage wie in Zeitlupe vorbei. Nicht dass das etwas geändert hätte. Equilibrium. Unsere Fahrt hat fast doppelt so lang gedauert wie angekündigt. Die bemitleidenswerten Sandbrecher an der Strecke werden wütend angegriffen und mussten zum Teil bereits aufgeben. Aber unsere Zugbegleiterinnen waren reizend!

Immerhin wir sind angekommen. In Hami haben wir jetzt noch einmal ein gutes Hotel, ab übermorgen geht es zu Jurten und kasachischen Familien. Wir haben nachmittags endlich unsere Räder in Empfang genommen und sind damit ziellos durch die Gegend gefahren, man sollte nicht zu ambitioniert werden nach einer solchen Anreise, und wie so oft war das unser Glück. An Resten der alten muslimischen Viertel sind wir vorbeigekommen, an einigen versteckten Moscheen. In einer davon hat man uns gut gelaunt und gastfreundlich hofiert.

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This is a cave.

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Durch die Wüste zu radeln kann ein erhabenes Erlebnis sein, nicht so wenn man die Leihräder vom Silk Road Dunhuang Hotel dazu benutzt, dann wird es eine Herausforderung. Gestern haben wir noch versucht, andere Räder aufzutreiben, aber da war nichts zu machen, das Material unseres Hotels ist für Dunhuang und Umgebung purer Luxus. Für uns nicht gerade, die Hälfte hat sich deshalb lieber zu den Grotten chauffieren lassen, wer wollte es ihnen verdenken. Wir anderen sind mit den Schrottmühlen 65km weit durch Hitze und Sand gefahren und haben zum Schluss gesiegt. Um uns herum gab es nicht so viel, wie das eben so ist in Wüsten. Das Schild, welches eindringlich vor Stromdiebstahl warnt, hat mir gut gefallen, wer wollte in dieser Gegend nicht illegal Strom abzapfen? Und dann hatten wir einen kleinen Sandsturm auf dem Rückweg, das war aufregend, lustige Windhosen tollten um uns herum und manchmal mussten wir mittendurch. Da war er ja fast, Kara buran, der legendäre schwarze Sturm der Taklamakan.

Unser heutiges Ziel war also das würdige Weltkulturerbe der Mogao-Grotten, fast 800 Buddhahöhlen am Knotenpunkt der alten Seidenstraße. Die Karawanen baten hier vor der Taklamakan um Beistand, wenn sie aus der anderen Richtung kamen dann bedankten sie sich artig und stifteten Statuen. Die Grotten waren zwischenzeitlich fast vergessen, wiederentdeckt hat sie dann im späten 19. Jahrhundert ein daoistischer Mönch und entdeckt haben sie wenig später auch die westlichen Expeditionen im Wettlauf nach den verborgenen Schätzen Turkmenistans. Aurel Stein, Paul Pelliot und viele andere plünderten nach und nach die Höhlen von Mogao und schafften ihre Funde dann in die großen europäischen Museen und Forschungsinstitute, unter anderem das älteste gedruckte Buch der Welt, ein Diamant Sutra aus dem Jahr 868 n.Chr.

In China hat man das nicht vergessen. Vor Ort rächt man sich an den armen Touristen (wobei es den chinesischen Touristen auch nicht anders geht, aber die sind härter im Nehmen). Es wird geneppt was das Zeug hält, und zwar ohne Charme. Orte, die von einem touristischen Highlight leben, bringen nicht das beste im Menschen zum Vorschein. Unsere Führerin etwa kam eine halbe Stunde zu spät, sie musste noch in Ruhe Mittagessen, dann leierte sie unmotiviert ihren Text herunter. Jede Höhle beschloss sie mit dem merkwürdigen Satz: „This is a cave“. Das war dann schon wieder interessant.


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Die Karawane zieht weiter

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Wir blicken zur Zeit der Wüste in ihr trockenes, erbarmungsloses Auge, der Kumtagh. Nichts als Sandberge türmen sich vor uns auf. Auf den Karawanenwegen ist es sehr wichtig, sich die Kräfte einzuteilen. Als wir uns also heute Abend das erste Mal aus der Deckung gewagt und die riesigen Dünen in der Nähe unseres Hotels bestiegen haben, schlug Michael vor: wenn wir lange genug auf der Düne sitzenbleiben bringt sie uns zum Hotel zurück. Leider haben wir nicht so viel Zeit. Aber weise gedacht von Michael, unserem eidgenössischen Faustpfand (das uns noch von Nutzen sein könnte, wenn wir in diplomatische Verwicklungen geraten). Ansonsten: Abgesandte großer Handelsdynastien und Völkerkundegesellschaften, aus Franken, Hessen, Holstein, dem Rheinland, Bayern und Schwaben. Gestern hat diese erlauchte Gesellschaft eine weite Strecke zurückgelegt, im Zug, sie hat dabei ihre Muskeln gestreckt, gedehnt und gelockert. Kluge Konversation wurde betrieben.

Wir werden die gesamte chinesische Seidenstraße erleben – was man so Seidenstraße nennt, es handelt sich hier ja eigentlich um weit verzweigte Handelswege, auf der die verschiedensten Waren transportiert wurden. Aber ihr Ausgangspunkt war eben von jeher Xi’an/Chang’an, dann ging es durch den gelben Löss, am Wei-Fluss und dem Gelben Fluss entlang. Der Hexi-Korridor war das Nadelöhr, im Süden begrenzt durch das Qilian-Gebirge, im Norden durch die Gobi und das Longshou-Gebirge. All das haben wir gestern zurückgelegt, bis hin zum Knotenpunkt Dunhuang, wo dann das Zittern und Wehklagen losging. Ohweh, die Taklamakan (Übersetzung aus den Turksprachen, inzwischen angezweifelt aber auf jeden Fall ergreifend: Geh hinein und Du kommst nicht hinaus).

Hier mussten sich die Karawanen – wie natürlich auch wir – entscheiden, ob sie durch das Jadetor in südlicher Richtung um die Wüste ziehen, d.h. am Fuß des Kunlun entlang, oder sich am Nordrand durch die Oasen schleppen. Ganz früh gab es auch den Weg mitten hindurch, als der Lop Nor noch See war und nicht Salzwüste, ja das waren noch Zeiten, das Königreich Loulan. Leider seit der Östlichen Han-Dynastie keine gute Idee mehr. Also ich glaube wir nehmen die Nordroute, in jedem Fall ziehen wir morgen zu den Buddhahöhlen und sichern uns dort Beistand.

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Heute: Marco Polo Insider Tipps

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Das alte Wahrzeichen von Xi’an ist die Große Wildganspagode (652 n.Chr.), das neue Wahrzeichen sind die Terrakotta-Soldaten (210 v.Chr.), das liegt daran, dass letztere erst 1974 wiederentdeckt wurden und die Pagode schon immer dastand, mehr oder weniger unverändert. Terrakotta-Armee und Wildganspagode sind nicht wirklich Insider Tipps, um Enttäuschungen vorzubeugen. Sonst wären es ja auch keine Wahrzeichen. Die Stätten werden überrannt, dabei liegen die einheimischen Touristen inzwischen weit vorne. Die Reiselust der Chinesen ist ein relativ neues Phänomen und zieht sich inzwischen durch alle Schichten. Man will hier wie alle Urlauber vor allem eine gute Zeit haben, aber in diesem Stadium spielt sicher auch die Suche nach der eigenen Geschichte und Identität eine Rolle. Die Botschaften an den Sehenswürdigkeiten sind wenig subtil (5000 Jahre Geschichte! Ohnegleichen!), was die Sache natürlich einfacher macht.

Xi’an bw. Chang’an war ja tatsächlich ohnegleichen, das ist aber auch schon ziemlich lang her, etwa 1000 Jahre. Bis dahin war es Hauptstadt, der erste Kaiser von China, Qin Shihuangdi (reg. 221 – 210 v.Chr.), hat von hier aus als Reichseiniger und Despot geherrscht. China hat ein gespaltenes Verhältnis zu seinen Despoten, der erste Kaiser war grausam und rücksichtslos, trotzdem schwingt in den Bewertungen auch immer großer Respekt für seinen Willen und den Erfolg mit. Mao etwa, der Superkommunist, hat ihn als ein Vorbild bezeichnet und immer wieder die kurze Dynastiegeschichte der Qin gelesen. Noch ein Despot, dem meistens Bewunderung entgegengebracht wird. Die Terrakotta-Armee jedenfalls ist Ausdruck eines phänomenalen Verfolgungswahns, das ehrenvolle Ende jedes echten Despoten: abertausende von unterirdischen Soldaten, die den Kaiser noch im Tod vor seinen Feinden aus dem Osten beschützen sollten.

Viel netter ist die Geschichte der Großen Wildganspagode und viel sympathischer ihr Protagonist: der große Reisende Xuanzang, unser Vorbild! auch das Vorbild für unendlich viele chinesische Opern und Seifenopern. Anfang des 7. Jahrhunderts, zu Beginn der Tang-Dynastie, ist er nach Westen gereist, über Zentralasien und den Pamir nach Indien, um dort über den Buddhismus zu lernen und die echten Schriften zu studieren. Nach seiner Rückkehr, 16 Jahre später, wurde ihm zu Ehren die Große Wildganspagode gebaut. Das Tempelgelände drum herum wurde ausgeweitet, in ihm hat er bis zu seinem Tod die mitgebrachten Texte aus dem Sanskrit ins Chinesische übersetzt. Ihm laufen wir ab morgen hinterher, auf der Reise nach Westen. Zu seiner Zeit war das Reisen vielleicht langwieriger und schwieriger, aber immerhin hatte er den verrückten Affen Sun Wukong und Pigsy und Sandy an seiner Seite…

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Changhua, das Granatäpfelchen

Entlang der Seidenstrasse, 09.07. bis 04.08.2011

Der heutige Prolog war freundschaftlich und kein Einzelzeitfahren wie bei anderen Radabenteuern. Die Runde war 14km lang und auch mit Orientierungsschwierigkeiten hinzukriegen: einmal auf der Stadtmauer um Xi’an rum, sehr schön, in 12m Höhe und auf 12m Breite. Die Räder waren nicht so gut und liefern vielleicht eine Erklärung für das tendenzielle Bergan, ein bisschen wie bei M.C. Escher hat es sich angefühlt. Die meisten unserer chinesischen Radgefährten auf der Mauer hatten die Tandem-Variante gewählt und waren lustig, noch grüsswütiger als sonst.

Mittags dann im Konfuzius-Tempel und im Stelenwald der Stadt, das sind uralte Bildungseinrichtungen, in die hat sich Changhua, das Granatäpfelchen, harmonisch eingefügt. Changhua tritt etwas verloren in die Fußstapfen großer Vorgänger: der schon jetzt legendären 5 kleinen Freunde der Olympiade Beijing, des blauen Ungetüms Haibao von der Expo Shanghai…nun also das kleine Changhua, Maskottchen der Gartenschau Xi’an 2011. Es grüsst einen überall. Man stellt das Granatäpfelchen z.B. direkt in den Eingang des Stelenwalds, wahrscheinlich weil man nicht versnobt sein will (das ähnelt 2008, als in den hochkulturellen Sehenswürdigkeiten von Beijing mehr Maskottchen als Besucher rumzulungern schienen).

Abends dann bei der Tanzshow des Tang-Palastes, einer opulenten Langnasenveranstaltung, vom Feinsten. Die Fähigkeiten des Ensembles konnte man nur bewundern, vor allem die des Gheorge Zamfirs von China: Shao Ming! Aber unsere Fähigkeit, ein Taxi zum Veranstaltungsort zu bekommen, war fast genauso bewundernswert (die Hälfte von uns musste sich zugegebenermassen in eine Motorikscha zwängen und auf einen Höllenritt begeben, meist gegen den Verkehr). Taxis sind in chinesischen Großstädten beschäftigt und beliebt, vor allem abends. Zurück haben wir dann lieber gleich den Bus genommen.

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