Auf Marco Polos Spuren

Kaiser, Kanäle, Konfuzius, vom 12.10. bis 03.11.2016

Tagesausflug in Yangzhou, heiter bis wolkig

Natürlich sind wir nicht auf Marco Polos Spuren unterwegs. Irgendwann am Nachmittag, nachdem wir unsere Räder abgegeben haben und zu Fuß nach Hause laufen, begegnet er uns dann aber doch in Form einer überlebensgroßen Statue.

Ein wenig Geschichte:

Kaum zu glauben, daß Yangzhou über Jahrhunderte hinweg eine der wichtigsten und reichsten Städte Chinas war. Zwar ist Yangzhou in den letzten Jahren auf stolze 5 Millionen Einwohner gewachsen (als ich 1996 zum ersten mal in Yangzhou war, waren es schlappe 500.000) und macht, wie alle Großstädte im „Musterländle“ Jiangsu einen wohlhabenden Eindruck.

Dennoch, viel ist nicht von dem einstigen Glanz der Stadt zu erkennen, die Marco Polo, im 13. Jahrhundert angeblich Statthalter in Yangzhou, mit seiner Heimatstadt Venedig verglich. Im Übrigen sehr zum Verdruß der Venezianer. Bereits vor mehr als 2400 Jahren gegründet, entwickelte sich Yangzhou mit dem Bau des Kaiserkanals in der Sui-Dynastie (581-618) ab dem 7. Jahrhundert zusammen mit der Schwesterstadt Zhenjiang zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt in Ostchina. Etwa zehn Kilometer südlich der Stadt kreuzt der Kanal den Yangzi, die Administration der Schleusen und des boomenden Handels entlang des Wasserweges lag in der Hand des Stadt-Magistrats, dessen Kassen auf diese Weise nie leer waren. Als wichtiger Warenumschlagsplatz zog Yangzhou zuerst Händler und Handwerker, und dann, mit einem gewissen Wohlstand, auch Künstler an, die hier dank reicher Sponsoren ein gutes Auskommen hatten. Daher war Yangzhou auch immer eine Stadt der Kunst und des Handwerks, eine Tradition, die sich bis heute erhalten hat. Seidenstickerei, Scherenschnitt, Lackarbeiten, Laternen und Bonsais aus Yangzhou sind immer noch in ganz China hochgeschätzt.

Seinem Ruf als Hauptstadt der Balladenerzähler wird Yangzhou auch heute noch gerecht. Und ein Gericht aus der Stadt hat es sogar bis in die deutschen China-Restaurants gebracht: Der gebratene Reise nach Yangzhou-Art (Yangzhou Chaofan 扬州炒饭), traditionell mit Shrimps, Ei, Schinken und Erbsen zubereitet, gilt in China als eine der schmackhaftesten Arten, Reis zuzubereiten. Haben wir natürlich auch probiert!

Mit dem Bau der Eisenbahn zwischen Shanghai und Peking schwand die Bedeutung des Kaiserkanals als Nord-Süd-Verbindung und auch Yangzhou verlor damit Anfang des 20. Jahrhunderts seine hervorgehobene Stellung als Handelsmetropole und überregionales Zentrum. Heute lebt die Stadt vor allem von der Stahlindustrie, die sich wie auch einige Fahrzeughersteller in den Außenbezirken und im Umland angesiedelt haben. Trotz aller Modernisierungsanstrengungen macht die Stadt immer noch einen eher verschlafenen Eindruck.

Immerhin, zu einem weltbekannten Export hat es Yangzhou auch in den letzten Jahren noch gebracht. Jiang Zemin, ehemaliger Staats- und Parteichef Chinas und Nachfolger Deng Xiaopings als starker Mann im Reich der Mitte, ist in Yangzhou geboren und aufgewachsen. Bedenkt man die ambivalente Haltung, die die meisten Chinesen dem, aufgrund seinem Hang zur peinlichen Selbstinszenierung im Volksmund auch „Harlekin“ genannten Jiang gegenüber haben, so findet man kaum einen Bewohner Yangzhous, der dessen Herkunft an die große Glocke hängen würde. Immerhin, mit seinen mit Vorliebe auf Staatsbesuchen gesungenen Opernarien und Volksliedern steht er in der langen Theater- und Balladentradition der Stadt.

Groß ist Yangzhou also geworden, aber immer noch mit dem Charme eines Dorfes, vor allem in der Innenstadt. Natürlich drehen wir eine letzte Runde mit unseren Rädern durch Yangzhou, besichtigen den Daming-Tempel, einen der wichtigsten buddhistischen Tempel in chinesischen Geschichte. Angeblich brach von hier aus der Abt Jian Zhen nach Japan im frühen 8. Jahrhundert nach Japan auf und brachte die kulturellen Gepflogenheiten der Tang-Dynastie auf die Insel, die Japan bis heute prägen.

Auf jeden Fall angenehmes Pflichtprogramm, ebenso wie der „Schmale Westsee“, der dem Westsee in Hangzhou nachempfunden, nur, wie der Name schon sagt, etwas kleiner ausgefallen ist. Auch wenn der mit der Fünf-Pavillon-Brücke und der Angelterrasse des Kaisers Qinglong einige Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, ist die Parkanlage vor allem eine ruhige Oase in der Stadt. Die Fünf-Pavillon-Brücke liegt etwa in der Mitte des Parks und ist mit ihren fünf mit gelben Ziegeln gedeckten Pavillons, die die Brücke vollständig überdachen, ein beliebtes Fotomotiv. In Sichtweite der Brücke liegt der kleine Pavillon, in dem der Kaiser Qianlong (1711 – 1799) der Überlieferung nach des Öfteren zum Fischen weilte. Angeblich haben ihn die Einwohner Yangzhous heimlich Fische an den Haken gehängt, um ihn in der Illusion zu wiegen, Yangzhou wäre der ideale Ort zum Fischen. Der glückliche Qianlong revanchierte sich, indem er kaiserliche Gelder für den Ausbau des Parks bereit stellte. Ursprünglich in der Tang-Dynastie (618-907) angelegt, wurde in mehreren Schritten seit dem 18. Jahrhundert zu seiner jetzigen Größe ausgebaut.

Eine Investition, die sich bis heute auszahlt, denn die 150 RMB Eintritt bringen sicherlich Reichtum nach Yangzhou oder in die Taschen eines pfiffigen Investors.

Wie auch immer, wir geben unsere Räder ab, verbeugen uns kurz mental vor Marco Polo und verschwinden dann in den Altstadtgassen. Da ist China plötzlich wieder in den 1990ern oder noch früher. In anderen Städten gibt es diese Viertel nicht mehr, oder sie sind Disneyaltstädten gewichen. Sogar das Stammlokal meiner Familie existiert noch und wir beehren es an beiden Abenden.

Dann ist die Radtour zu Ende.

Doch mit Nanjing wartet am Ende der Tour noch ein Highlight.

Sonne ist angesagt!

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2 Kommentare:

  1. Hi Volker,
    ich habe, wie immer, deine Fotos und die Geschichten dazu, genossen!!
    Jetzt muss ich mit einem tollen Beijing Krimi Vorlieb nehmen, er hat mir schon das ein oder andere Schmunzeln bereitet…
    Baby, davon gibt es hoffentlich eine Fortsetzung!
    Herzliche Grüße an die „Mekong“ Radler,
    C&W aus HH

  2. Hi C&W, danke für die Blumen! Denke immer wieder gerne an unsere gemeinsame Mekong-Tour zurück!
    Zu Beijing Baby: Fortsetzung ist geplant, aber schwierig, einen Verlag zu finden! Der zweite Teil soll in Yunnan spielen. 😉

    Liebe Grüße aus Shanghai,
    Volker

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