Zwei Tage in Lhasa

Auf dem Dach der Welt, vom 14.04. – 09.05.2011

Wir sind überwältigt! Von der Höhenluft, die uns stoßweise atmen lässt. Von der geballten Ladung chinesischer Militärpräsenz in Lhasa. Von der Mischung aus Prunk und Armut, die die tibetische Kultur hervorgebracht hat.

Zuerst einmal aber von der Aussicht, die uns beim Frühstück erwartet. Unser Hotel liegt etwa einen Kilometer Luftlinie vom Potala entfernt, und diese Luftlinie ist heute außergewöhnlich klar und von der Dachterrasse des Yak Hotels, in dem wir logieren, beim Frühstück zu genießen. Gegen 8:30 Uhr laufen wir los und reihen uns ein in den Pulk der Pilger, die den zentralen Tempel Jokhang im Uhrzeigersinn umrunden. Gebetsmühlen werden eifrig gedreht und Räucherstäbchen abgebrannt. Auch wir vollenden die Kora, das ist die Gebetsrunde um einen Tempel, ein Kloster oder einen heiligen Ort, wie zum Beispiel den Berg Kailash, und biegen dann in den Jokhang ab, den zentralen Tempel Lhasas, wenn nicht Tibets. Tibet Reichseiniger Songtsen Gampo begründete hier im 7. Jahrhundert das religiöse Zentrum des neu entstandenen Reiches, maßgeblicht unterstützt von seinen beiden Gemahlinen, einer nepalesischen und einer chinesischen Prinzessin. Beide brachten heilige Buddhafiguren mit nach Lhasa, die im Jokhang ihre Heimat fanden und den Weg für die buddhistische Umgestaltung des Landes ebneten. Zwei Prinzessinen aus den mächtigen Nachbarländern, die zudem noch finanzielle Mittel und religiöse Ideen mitbrachten, da liess es sich für den tibetischen König durchaus ruhig schlafen.

Das waren noch Zeiten, die Nachbarn im heiligen Stand der Ehe vereint, Heiratspolitik, um Kriege zu vermeiden. Zumindest Tibet als Land hat das sehr gut getan bzw. Tibet hat sich damals als Land definiert, als vereinigtes Königreich. Das einfache Volk hatte allerdings wenig davon und war die Folgejahrhunderte auch immer am falschen Ende der Nahrungskette. Daran hat die Herrschaft der Dalai Lamas ab dem 14. Jahrhundert (die ersten zwei davon rückwirkend in dieses Amt erhoben um eine Tradition zu schaffen, damals, als der dritte, also eigentlich der erste Dalai Lama die Herrschaft der Gelbkappensekte in Politik und Religion zementierte) leider auch nichts geändert, eher im Gegenteil. „Wir büßen jetzt für das, was wir unserem Volk über Jahrhunderte angetan haben,“ schreibt der 14. Dalai Lama in seiner Biographie.

Wo war ich stehengeblieben?

Die chinesische Militärpräsenz in Lhasa irritiert durchaus. In regelmäßigen Abständen patrouillieren fünf Soldaten in Uniform die Straßen der Altstadt. Die vier flankierenden Soldaten unbewaffnet, in der Mitte ein Soldat mit Tränengasgewehr und einer der anderen Soldaten einen kleinen Feuerlöscher im Hosenbund. Dann ist da das sichuanesische, also chinesische Restaurant, in das die tibetischen Pilger am Abend einkehren und chinesisches Essen genießen. Keine der Bedienungen lassen sich auf eine Ethnie festlegen. Ich meine tibetische, han-chinesische Einflüsse zu sehen, Spuren der Bai, einem Handelsvolk aus Yunnan zu erkennen, und da mag noch viel mehr an genetischen Spuren vorhanden sein.

In der Altstadt geht das tibetische in das muslimische Viertel über, bewohnt von den Hui, jenen Chinesen, die an den Islam glauben und die bei den Unruhen 2008 richtig in die Fresse bekommen haben. Von den Tibetern. Und dann ist da der tibetische Tante Emma Laden, aus dem süßlich Kanto-Pop säuselt. Das von Chinesen geführte Café, das mit Tibetnippes überläuft. Und natürlich der Potala, der gewaltig über Lhasa thront, wie eine Illustration aus „Das Schloss“ von Kafka. Im Zentrum eine fast vier Tonnen Gold schwere Stupa, errichtet in einer Zeit, als das einfache Volk bitterste Not litt.

Keine Angst, das war es dann auch mit der Politk von meiner Seite. Aber eine Reise durch Tibet, ein Blog einer Reise von Lhasa nach Kathmandu, das bedarf ein paar einleitender Worte.

Schwarz und weiss gibt es nie in dieser Welt, und das weiss kaum ein Volk besser als die Tibeter, für die die Welt sowieso nur eine meist subjektive Manifestation der Geisterwelt ist.

Nun können wir uns auf die Radtour konzentrieren, auf die faszinierenden Landschaften, die ehrfurchterregende Kultur und die spannende Gegenwart Tibets. Morgen starten wir unsere Radtour, mit einer Einradeletappe über 60 Kilometer, flach und gleichbleibend auf ca. 3.600 Meter Höhe. Übermorgen dann der erste Pass!

Es ist wie es ist

Die Drei Schluchten des Yangzi, 13.04. bis 08.05.2011

Irgendwie war der Wurm drin und trotzdem war es ein toller Tag. Es gab eine Menge dieser unvorhersehbaren Kleinigkeiten, die nerven, die aber das Reisen eigentlich erst mit Leben füllen. Nie ist es so, wie man es sich vorstellt, und nie so, wie man es sich wünscht, Gottseidank.

Erstmal kam unser Begleitfahrzeug nicht, auf dem Weg zum Hotel liegengeblieben, da haben sie uns eine schöne Kiste rausgesucht. Wir sind dann ohne Fahrzeug los (Ersatz wurde schnell gefunden und holpert uns inzwischen hinterher) und aus Xi’an raus. Es ist eine gute Erfahrung, aus chinesischen Grossstädten zu radeln. Die Energie des Landes ist in den ungeschönten Aussenbezirken dieser Städte greifbar wie sonst nirgendwo. Mittags war Sylvias Rad dann den Acker-und Dorfwegen auf dem Weg zur Terrakotta-Armee (oder ihrer Pedalkraft) nicht gewachsen, Kettenriss, der Nietendrücker war natürlich im Hotel. Also Schieben und Taxi. Reparaturversuche wollte ich nach einem kurzen Tête-à-tête mit den Fahrradmetzgern der Umgebung gerade abbrechen, als einer der wohlmeinenden Gesellen einen kleinen unaufmerksamen Moment ausnützt und den Radzustand verschlimmbessert. Meine Gruppe hat sich derweil die Tonkrieger angeschaut und war begeistert, das wenigstens hat gefreut.

Später im Hotel, Radbastelei, nur kochend heisses Wasser in den Bädern (mal was anderes), ein Zimmer ist vergammelt und wird weggetauscht, solche Sachen eben. Aber: gefühlt war heute wieder herrliches Wetter, wir hatten ständig nette hilfsbereite Menschen um uns, ein grossartiges Abendessen (die Peking-Ente wurde nachgeholt), und die meisten von uns haben danach auf dem Platz im Zentrum der Stadt getanzt, dass die Chinesen um sie herum nur so mit den Ohren geschlackert haben.


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Eine geht noch… eine Abfahrt geht noch rein!

Tal des Roten Flusses, 09.04. bis 01.05.2011

Seit Andreas Tour vor knapp 2 Monaten hat sich hier nicht viel getan. Die Strecke entlang des Flusses wird immer noch bebaut. Daher wählten wir lieber den Weg über Mengzi nach Manhao. Die Strecke klang ganz nett und tendenziell in Richtung Flussufer geht es ja bergab. Wir ließen uns bis Mengzi fahren, wo wir unseren Proviant mit Erbsenkekses und Konsorten nochmal auffüllten. Ich schätzte die Etappe eher entspannt ein, da wir ja von 1600 m auf ca. 250 m kommen sollten. Ruth sah das ähnlich und entschied sich mitzufahren. Ab Mengzi ging es allerdings noch eine ganze Weile bergauf, bis wir auf knapp vor 1900 m endlich die Abfahrt antreten konnten. Aber was für eine Abfahrt das war. Wir hatten ja jetzt schon einige Pisten runter ins Tal, aber mit solch einer Straße habe ich nicht gerechnet: der Belag war durchgehend aus kleinen Betonpflastern, die aber gut zu befahren waren. Und die Strecke war ein Traum von einer Straße: kaum Autos, wundervolle Landschaften und einer Strecke, die die schönsten Bergzüge im Tal entlang führt. Die Etappe war für mich ein eindeutiges Highlight. Allerdings habe ich das Gefühl, dass nicht jeder aus der Gruppe meine Vorliebe für Talfahrten teilen kann. Ich weiß nicht, ob die original geplante Strecke entlang des Flusses das toppen kann. Nur möchte ich mich bei Ruth nochmal entschuldigen! Mit einem Anstieg von 800 m habe ich heute nicht gerechnet. Einmal oben angekommen schaute ich jedoch ins Tal hinab wo sich die Straße in kunstvollen Serpentinen den Hang hinab wandte. Ich dachte nur: „Ja… hier möchte ich runter!!“ und fühlte mich wie ein kleiner Junge vor der Bescherung an Weihnachten.

Kurz vor unserem Ziel trafen wir wieder auf die alte Strecke und uns wurde klar, warum wir von Mengzi gestartet sind. Wie Chinesen halt sind wäre die Strecke natürlich auch während dem Bau passierbar gewesen… Spaß hätte es allerdings nicht gemacht. Als wir vor dem letzten Anstieg standen und den Hang hinauf blickten, auf dem unser Hotel lag, schwand die letzte Motivation aus jedem von uns. So ein besch…eidener Abschluss, nach so einer schönen Strecke.

Im Hotel angekommen, nahm uns Manager Wang persönlich in Empfang und hatte bereits kühles Bier lagern lassen. Der Mann weiß anscheinend, nach langjähriger Erfahrung mit unseren Touren, was wir nach der Ankunft brauchen. Auch das Abendessen war bereits vorbestellt. Ich war natürlich ein wenig enttäuscht, dass mir meine Lieblingstätigkeit genommen wurde, war aber auch froh, mal nicht die Verantwortung über das Abendmahl zu haben. Denn meiner Meinung nach hängt die Wertung eines Tages, ob dieser erfolgreich war oder nicht auch im Wesentlichen vom Abendessen ab… nach dem Motto Ende gut alles gut. Aber Herr Wang Verstand was von seinem Handwerk und tischte üppig und gut auf. Selbstverständlich durfte der Anstoß mit einem Gläschen hauseigenem Gebräu auf die Chinesisch-Schweiz-Deutsche Freundschaft nicht fehlen.


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Reistreppen machen müde

Tal des Roten Flusses, 09.04. bis 01.05.2011

Heute ging es wieder hoch zu den Reisterrassen, an die Stelle, wo die ganzen Desktop Hintergrundbilder für Windows herkommen. Wir ließen unsere Räder hochbringen und schickten uns hinterher. Oben angekommen breitete sich eine surreale Landschaft von skuril geformten Reisfeldern vor unserem Auge aus. Es waren zwar alle von dem Anblick begeistert, doch der Entdeckungsenthusiasmus blieb heute aus. Ruth war recht angeschlagen (und die Schaukelfahrt den Berg hinauf, machte alles nicht besser). Der Rest gab sich ebenfalls mit den erstbesten Ausblickspunkten zufrieden. Ich schieb es mal auf das schwüle Wetter im Tal. So fuhren wir ein kleines Stückchen den Berghang entlang um noch die ein oder andere Aufnahme von sich im Wasser der Terrassen suhlendem Wasserbüffel zu machen und begaben uns schleppend auf die Heimreise. Eigentlich hatte ich versprochen uns über die Baustelle hinweg zu transportieren um nicht wieder voll gepudert unten anzukommen. Leider ließ sich kein Transport organisieren. So schickten wir Ruth, für die heute definitiv kein Radfahren mehr drin war und Karin, die lieber ihre Bremsen schonen wollte mit dem chinesischen Brotauto zurück zum Hotel und wir Übriggebliebenen machten uns fertig für unsere Abfahrt… schon wieder 40 km nur bergab. Ich seufzte. Auch wenn die Abfahrt recht ermüdend war gab sie nochmal genügend Möglichkeiten für gute Level AAAA Fotostops.

Wollen wir hoffen, dass bis morgen wieder alle fit sind.


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El Clásico

Die Drei Schluchten des Yangzi, 13.04. bis 08.05.2011

Klassiker der Tourismus-Branche: Beijing, Mauer, Xi’an. „Aber doch auf besondere Weise“ will man da schüchtern anmerken. Beijing mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ok, das ist nicht so spektakulär). Die „Wilde Mauer“ bei Huanghua ist besonders, die haben wir bis auf ein paar vergnügte Chinesen fast für uns gehabt, anderswo treten sich die Leute auf den Füssen rum. Und Xi’an wurde heute dann mit dem Rad durchkreuzt.

Also die Mauer, die olle. Schon allein die Bezeichnung „Die Chinesische Mauer“! Es gab in der chinesischen Geschichte viele viele Mauern, aus verschiedensten Materialien und mit verschiedenen Verläufen, DIE Mauer ist eine Erfindung des Westens, wieder mal (National Geographic etc., Anfang 20. Jahrhundert). Irgendwann haben die Chinesen eingesehen, dass sich die Mauer prima mit einer einheitlichen, tapferen Geschichte vermarkten lässt. „Bu shang changcheng, fei hao han“ („Wer nicht auf der Mauer war, ist kein richtiger Chinese“) ist mittlerweile ein geflügeltes Wort im Land. Die Mauerstücke um Peking herum sind jedenfalls – bis auf die Fundamente zumindest – jünger als die meisten meiner bisherigen Teilnehmer. Klugscheißerei. Natürlich war es wie immer ein Höhepunkt, auf der Wilden Mauer herumzuklettern, sie ist steil hier (Ming-Dynastie, die Fundamente aus dem 16. Jahrhundert und teilrenoviert).

Gestern abend haben wir den Nachtzug nach Xi’an genommen, eine heitere Fahrt, die Reise wird in jedem Fall heiter werden, das weiß ich spätestens jetzt. Es hat am Morgen eine Weile gedauert, bis wir die Räder aus den Schlünden des Bahnhofs von Xi’an retten konnten. Faxe mussten die richtigen Empfänger erreichen und die Räder mussten geortet und durch abenteuerliches Gedränge geschoben werden. Sie machen einen guten ersten Eindruck, man muss bei den Kogas auch nicht viel einstellen und kann ziemlich schnell loslegen. Die kleine Runde durch Xi’an haben wir mittags bei einer Mahlzeit nach Art der Inneren Mongolei, später für einen Spaziergang auf der Stadtmauer unterbrochen. Alle haben heute den massiven Verkehr gemeistert, kühl bis unter die Haarspitzen, wie Delon in „Der Eiskalte Engel“. Das beruhigt mich sehr. Xi’an hat mittlerweile auch seine knapp 8 Millionen Einwohner und hier geht wirklich was. Auch abends übrigens, in den muslimischen Gassen der Altstadt, das lebt und lärmt.

Skifahren in Yunnan

Tal des Roten Flusses, 09.04. bis 01.05.2011

Anfangs kam ich mir heute vor wie Frodo und die Gefährten bei der trostlosen Reise durch Mordor: Entlang der ersten Kilometer ging es steil bergan und wir kamen an Kohlewerken vorbei, die die eigentlich recht schöne Landschaft in ein düsteres Moloch verwandelte. Die Straße war gefüllt mit quietschenden, qualmenden und zischenden LKW beladen mit Steinkohle, die das Bild noch verstärkten. Schnell aber verdünnte sich der Verkehr und wir kletterten dem Himmel entgegen.

Auf dem Gipfel unserer Etappe bei 2000 m Höhe gab es endlich die verdiente Mittagspause. Dann ging es nur noch 42 km bergab. 42 km! Einige Teilnehmer seufzten. Wie kann man nur bei Abfahrten seufzen? Radfahrer sind schon eine seltsame Spezies! Ich für meinen Teil fand es allerdings eines der spannendsten Strecken, die ich gefahren bin. Die Straßenverhältnisse waren zwar weit davon entfernt optimal zu sein, aber das gab der Strecke die nötige Herausforderung. So mieden auch die meisten Fahrzeuge die Strecke und fuhren lieber die Autobahn oder wählten andere Straßen. Wir holperten an Reisterrassen vorbei und malerischem Gebirge, welches im Dunst in der Ferne verschwindet. Sobald die Landschaft anfing sich zu wiederholen wird man wieder aufs Neue überrascht: das Klima änderte sich nach und nach und mit ihr die Vegetation um einen herum. Von den gemäßigten Temperaturen rollte man durch die Subtropen hinein in den tropischen Urwald. Wo es oben noch recht kühl war und man sich fast ärgerte, keine Jacke mitgenommen zu haben, mochte man unten sich das T-Shirt vom Leibe reißen und in einen kalten See springen. Das einzige Gewässer in Sicht war jedoch der Rote Fluss, der sich nun neben uns befand. Allerdings wollte da keiner von uns wirklich rein mit der Fischzucht die da betrieben wird und der einhergehenden Brise von verwesenden Wassertierchen. Um es aber nochmal auf den Punkt zu bringen: diese Strecke ist zum Radfahren geschaffen. Auch wenn Dieter es auf der letzten Tour nicht bis nach unten geschafft hat. Aber es ist halt wie Skifahren: Nicht alle kommen unten heil an.

Das Abendessen hier war mal wieder so gut und üppig, dass ich mich wohl etwas übernommen habe und der Hocker beim Abendbier unter mir zusammenbrach. Da wollen wir nur hoffen, dass mein Rad nicht das gleiche tut.


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Rechts vom Mt. Everest

Auf dem Dach der Welt, vom 14.04. – 09.05.2011

Die schwierigste Übung nach Tibet einzureisen, ist die Herren beim Check-in am Flughafen von Kathmandu davon zu überzeugen, dass die vielen schön kalligraphierten Schriftzeichen auf dem Tibet-Permit auch Lhasa, Shigatse, Lhatse und Dingri bedeuten. Und wo bitteschön ist das Reisedatum? Nach etwas längerem Suchen findet sich dann ein Repräsentant der Air China, der den besorgten Herren auf Englisch das Chinesische erklärt. Das überzeugt und wir bekommen unsere Bordkarten. Und auch unsere Räder werden sanft auf das Rollband gebettet.

Tibet – wir kommen!

Na ja, fast. Schlechtwetterfront in Lhasa. Das bedeutet eine Stunde Verspätung, mindestens. Gemütlichkeitsrekorde schlägt der Flughafen Kathmandu nicht, dennoch gerät die dann tatsächlich auf eine Stunde begrenzte Wartezeit kurzweilig, Sabine und Heinz schwelgen in Tibetliteratur, ich plane noch ein wenig die Feinheiten der Route. Punkt 11:30 Uhr heben wir in Richtung Westen ab, drehen eine enge Kurve (das Kathmandu-Tal ist klein und von Bergen umgeben) und schweben dann am Südrand des Himalajas entlang. Der Mt. Everest geizt wieder einmal nicht mit seinen Reizen, und ich bilde mir ein, das Flugzeug würde sich leicht nach links neigen, so viele Passagiere springen mit der Kamera in der Hand auf und hängen sich und die Objektive ins Bullauge. Aber auch der Anflug auf Lhasa hat seinen Reiz. Sanft sinken wir in das Bramaputra-Tal und setzen Punkt 15:00 Ortzeit (in Tibet gilt auch die Beijing-Zeit, GMT +8) auf, gerade rechtzeitig, um den Transeurasien-Radlern, die um 9:00 Uhr Berliner Zeit vom Brandenburger Tor losradeln, gute Wünsche mit auf den Weg zu geben.

Die Grenzformalitäten gehen erstaunlich schnell, nur die Räder lassen sich Zeit. Als sie dann endlich da sind, haben sich bereits mehrere Flugzeugladungen über den Zoll ergossen, der es, anders als in Beijing oder Shanghai, sehr genau nimmt. Besonders der neue Stefan-Loose-Tibetführer hat es den Grenzern angetan, er wird genau durchgeblättern, wie auch die andere mitgebrachte Literatur, und auf Bilder des Dalai Lamas durchsucht. Im vorausschauenden Gehorsam haben die Verlage erst gar keine solchen Bilder abgedruckt, wir dürfen die Bücher also behalten. Meine Wenigkeit sowieso, in dem Chaos bei der Durchleuchtung haben die Zöllner meine Tasche vollkommen vergessen. Nicht, dass da irgendetwas Kompromittierendes drin gewesen wäre. Aber die Kontrolle scheint eher eine Übung als eine efffektive Sache zu sein.

Am Ausgang wartet Tenzin auf uns, der uns bis zur nepalesischen Grenze begleiten wird. „Ich hätte jetzt einen stattlichen Nomaden erwartet!“, bedauert Sabine. Tenzin kommt aus der Nähe von Lhasa und hat mit den hühnenhaften Kampa des tibetischen Osten nicht viel gemein – er bringt etwa 1,60 m auf die Messlatte. Aber die größten Herzen stecken in den kleinsten Körpern und Tenzin macht einen sehr netten Eindruck. Er besteht darauf, mit mir Englisch zu sprechen, was ich akzeptiere, obwohl wir auf Chinesisch sicherlich weitaus effektiver kommunizieren würden. Sein Englisch hat Tenzin tatsächlich von einem Amerikaner gelernt, sein Aussprache ist recht gut, das Vokabular weniger. Wird aber sicherlich gut klappen mit ihm!

Noch ein Stück im Bramaputra-Tal, vorbei an Wassermelondenfeldern, fahren wir im Bus die 60 km bis in die Innenstadt Lhasas. Die Luft auf 3.600 m ist dünn und wir müssen uns erst einmal akklimatisieren. Bei einem leckeren Essen in einer kleinen Garküche in der Altstadt bleibt es daher auch bei je einer Flasche Bier. Zur Eingewöhnung haben wir uns heute noch einmal Sichuan-Küche gegönnt und wanken nun hundemüde, kurzatmig und pappsatt ins Hotel.

Museumsdorf und die neue Frisur

Tal des Roten Flusses, 09.04. bis 01.05.2011

Endlich mal ein Tag mit einem entspannterem Programm. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Tag mit 30 km Fahrradfahren inklusive Museumsdorf- und Tempelbesuch so bezeichne. Nach einer Fahrt durch ein Steinmetzdorf, was sich auf die Herstellung von Grabsteinen spezialisiert, die natürlich nur für Urnen gedacht sind, da lediglich das Kremieren von Verstorbenen erlaubt ist. Das ist eigentlich völlig gegenläufig mit der chinesischen Tradition der Ahnenverehrung. Aber für diesen ganzen Kulte und Rituale hat die KP China ja sowieso nicht viel über.

Eingepudert vom Stein- und Straßenstaub kamen wir nach ca. 19 km an dem „Museumsdorf“ Tuanshan an. Was der Aufmachung und äußeren Erscheinung nach zu urteilen eher wie ein Antik-China-Disneyland wirkte entpuppte sich aber als ein interessanter und persönlicher Einblick in die Lebensweise und Geschichte der Yi-Völker in diesem Dorf. Eine nette Bewohnerin (natürlich Han-Chinesischer Abstammung) führte uns durch das Dorf. Es war alles andere als leer und inszeniert. Die Häuser sind zum Großteil noch bewohnt und die wichtigsten Gebäude sind für die Öffentlichkeit zugänglich. So kann man die Häuser der ehemaligen Reichen und Schönen des Dorfes begutachten und sehen was aus ihnen nach der Umverteilung durch den Kommunismus geworden ist. Das Gemach des Sohnes in einem der größeren Häuser ist zum Beispiel in einen Hühnerstall umfunktioniert worden. Das Dorf galt früher als sehr kultiviert und hat seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts eine Schule. Der finanzielle und kulturelle Standard der damaligen Zeit drückt sich auch heute noch in den 4 Frauen im Dorf aus, die immer noch mit gebundenen Füßen durch die Dorfgassen humpeln haben. Eine Klasse aus der Wuhan Kunst Universität war auch anwesend und versuchten den Zauber der vergangenen Zeit festzuhalten. Um dem Cliché zu bedienen spielten beim Mittagessen an unserem Nachbartisch die Mädchen fleißig Mah-Jongg. Auf dem Rückweg machten wir noch einen kurzen Abstecher beim Huanglong Tempel und der „Doppel Drachen Brücke“, an der zu viele Touristen waren und wir unser Pflichtfoto machten und lieber schnell geflüchtet sind.

Den Nachmittag hatten alle nochmal für sich um das nette Städtchen zu erkunden. Zum Abendessen präsentierten uns Sabine, Ruth und Claudia stolz ihren neuen Haarschnitt, den sie für insgesamt ca. 3€ bekommen haben. Sehr schick die Damen!


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Ewige Freude!

Die Drei Schluchten des Yangzi, 13.04. bis 08.05.2011

1000 Jahre Geschichte abgearbeitet. Vom Himmelstempel auf das Tor des Himmlischen Friedens, zur Verbotenen Stadt und dann noch die Vogelperspektive vom Jingshan, und das meistens in Ewiger Freude. Das war nämlich die Devise des dritten Ming-Kaisers, der die Hauptstadt nach dem kurzen Intermezzo von Nanjing („Südliche Hauptstadt“) wieder nach Beijing („Nördliche Hauptstadt“) verlagerte und letztendlich für Struktur und wichtigste Bauten des alten Peking verantwortlich ist. Die Spuren dieses Kaisers aus dem beginnenden 15. Jahrhundert – Yongle – dominieren noch heute das Stadtbild, auch wenn die Moderne immer aufdringlicher in die traditionelle Achse von Beijing hineinwuchert.

Das Kulturprogramm dieses Tages kann einen erschlagen, aber wir hatten wieder fantastisches Wetter und waren lustvoll aber nicht überambitioniert. Also was man sich wünscht als Reiseleiter. Die Ersten haben sich bereits China-Devotionalien an die Kleidung geheftet. Uns allen ist bewusst, dass wir den Chinesen beim Fotoshooting Lichtjahre hinterher sind, hier ist der Mensch der Mittelpunkt des Geschehens und kann das Lächeln in endlose Längen ziehen, bei uns gefriert das natürlich in Sekunden, aber wir geben alles. Ab und zu wird man nett eingebunden in diese Posen (z.B. von einer Tupperware-Gesandtschaft aus Malaysia, im Himmelstempel, was es nicht gibt…).

„Abgearbeitet“ war also schon mal das falsche Wort. Die meiste Zeit sind wir geschlendert, viel auch wieder durch Hutong-Gebiete, wo man am liebsten an jeder Ecke stehen bleiben möchte. Tauben ziehen ihre Kreise über den Altstadtvierteln, leise und ohne das früher charakteristische Surren der kleinen Röhrchen am Hals, das muss abgeschafft worden sein. Alte Männer tragen ihre Vogelkäfige spazieren. Und abends haben wir opulent diniert, im CBB-Stammlokal in der Naluoguxiang. Jetzt sind fast alle bei der Massage. Die Blinden, die in dem Laden früher massiert haben, sind einer Handvoll Mädchen gewichen, die werden das auch können.

Links vom Mt.Everest

Auf dem Dach der Welt, vom 14.04. – 09.05.2011

Ich bin spät dran, ich weiss…

Doch Warteschleifen haben auch etwas Gutes. Wenn man zum Beispiel, wie beim Anflug auf Kathmandu, dreimal an Lotse und Mt. Everest vorbeischwebt. Mit zwei Stunden Verspätung sind wir dann alle gut in Kathmandu gelandet und werden begrüßt von strahlender Sonne, viel Bürokratie und großen Schildern „Visit Nepal Year 2011!“. Zuvor muss der willige Besucher aber durch ein Nadelöhr bei der Visabeantragung (eine Stunde) und beim Zoll (nur 10 Minuten). Immerhin, das Gepäck ist dann schon da, und auch die Räder scheinen unversehrt angekommen zu sein. Ein geräumiger Bus bringt uns durch holprige Straßen und immer haarscharf am nächsten Motorradfahr vorbei ins Kantipur Tempel House, einem stilvollen Boutiquehotel im Stadtzentrum. Wir sind in Kathmandu, erst einmal nur auf Durchreise. Nach einer Nacht geht es weiter nach Lhasa und dann nehmen wir den Friendship Highway von Lhasa nach Kathamandu unter die gut aufgepumpten Räder. In guten drei Wochen werden wir wieder in Kathmandu sein.

Das Wetter meint es auf jeden Fall erst einmal gut mit uns, die Sonne schickt intensive Strahlen auf den immerhin 1.300 Meter hohen Boden, und wir nutzen nach einer kurzen Ruhepause den lauschigen Nachmittag, um uns durch das nepalesisches Feiertagsgedränge zu schieben – Es ist Neujahr, genauer gesagt begann gestern das Jahr 2068. Eingeführt wurde der Kalender und die damit verbundene Zeitrechnung vom Herrscher Vikramaditya im Jahre 56 vor unserer Zeitrechnung. Der gute Mann war Inder und so haben viele Nepali den Grund ihrer offziellen Zeitrechnung verdrängt. Mit den Indern sind die Nepali nicht so richtig grün. Wie sagte Subechhya, die polyglotte Tochter von Borat Basnet, dem Besitzer des Kantipur Tempel Houses und Umweltaktivisten so schön: Für die Nepali ist die Anwesenheit Chinas in Tibet gar nicht so tragisch, das hält wenigstens die Inder davon ab, Ansprüche auf Nepal zu stellen.

Aber Politik ist vorerst nicht das Thema des heutigen Tages. Wir schlendern durch die Altstadtgassen Kathmandus zum Dhurban Square, dem Platz der Könige. Seit drei Jahren ist Nepal jedoch kein Königreich mehr und der König privatisiert. Äußerst unwahrscheinlich, dass er also in seinem Palast ist. Dafür sind, so scheint es, alle ehemaligen Untertanen auf dem Platz und genießen die freien Tage bei einem Bummel. Aus luftiger Höhe sieht das, auf der Dachterrasse eines Cafés bei einem Yoga Cocktail (Limette, Ingwer, Wodka und Soda), recht bunt aus. Wir lüften den Jet Lag durch und genießen die Sonne.

Abend sind wir dann Gäste von Subechhya und Borat Basnet im Bhojan Griha. Ich bin kein Fan von Tanzveranstaltungen während des Essens, aber die kurzen jeweils fünfminütigen Tänze, die im Bhojan Griha im Turnus zwischen den verschiedenen Speisezimmern aufgeführt werden, sind genau die richtige Dosis Kultur zum Essen und vor allem authentisch, kein touri-weichgespültes Gehampel. Das Bhojan Griha, von der Basnet-Familie vor mehr als zehn Jahren gegründet, ist ein Restaurant in einem mit viel Liebe restaurierten historischen Gebäude, und bietet traditionelle nepalesische Küche, unverfälscht, lecker und überwiegend in Ökoqualität. Diese garantiert Subechhya Basnet, die im Kontakt mit den wenigen ökologisch ausgerichteten Farmern in Nepal ist, sie berät und versucht konventionelle Bauern von einer Umstellung auf Ökolandbau zu überzeugen. Subechhya bewirtschaftet selbst ein kleines Stück Land in der Nähe Kathmandus– nach streng ökologischen Gesichtspunkten. Mit der Ernte versorgt sie nicht nur das Restaurant, sondern betreibt einen Bioladen im Eingangsbereich. Studiert hat sie in Deutschland und den USA, und hat ihren MBA zurück nach Nepal mitgebracht. „Sicher könnte ich in der freien Wirtschaft viel mehr Geld als jetzt verdienen“, erzählt sie. „Nachhaltiges Wirtschaften in Nepal zu propagandieren ist zwar mühsam, macht aber viel mehr Spaß!“ Ihre Kundschaft wächst auf jeden Fall stetig und auch das Restaurant ist außerordentlich gut besucht. Kein Wunder: Jede Mahlzeit besteht aus zehn kleinen Probiergängen, von der herzhaften Hühnersuppe bis hin zum leichten Kartoffelcurry. Alles schmeckt frisch und ausgewogen. Dazu probieren wir auf Empfehlung von Borat einen nepalesischen Wein, der verspricht (auf dem Etikett) gesund zu sein und den Organismus zu kräftigen. Ob er uns nun über den nächsten 5.000er Pass hilft, ist fraglich. Aber er schmeckt, wie ein kalter Glühwein, nur nicht ganz so süß. So vergehen drei kurzweilige Stunden bei Speis, Gesang, Tanz und einer angeregten Diskussion mit Borat und Subechhya über die Aussichten, nachhaltigen Tourismus in Nepal zu etablieren und die Innenstadt von Kathmandu zu einer Fußgängerzone umzugestalten. Doch davon mehr, wenn wir in drei Wochen wieder zurück in Nepal sind. Jetzt ruft uns mit aller Macht das Schneeland und morgen um 10:30 Uhr bringt uns hoffentlich der Flieger ein viertes Mal sicher am Mt. Everest vorbei – nach Lhasa.