Abwarten und Teetrinken

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

Bootsfahrt auf dem Daning Fluß

Der herausfordernde Teil der Reise liegt nun hinter uns, Zeit ein bisschen auszuspannen. Und wo macht man das am besten? Am, im oder auf dem Wasser natürlich. Und so werden wir die kommenden zwei Tage ein bisschen auf dem (gestauten) Yangtse herumgondeln und Sightseeing betreiben, wie das richtige Touristen so tun.

Stilecht steigen wir auch im besten Hotel am Platze ab: Luxuriöse Zimmer, KTV, Spa, tolle Aussicht. Alles was das Herz begehrt. Das Frühstücksbuffet ist ausladend, es gibt sogar eine Kaffeemaschine mit der Option Espresso, was mich extrem erfreut. Allerdings nur solange bis die wohlmeinende Servicekraft das Ruder über- und mir die Entscheidung abnimmt. Mit den Worten „schmeckt nicht!“ drückt sie auf „Kaffee“ und vereitelt meine Wahl.

Pünktlich um zehn startet unser Ausflugsschiff vom Anleger. Sechs Langnasen unter einer Menge gutgelaunter Chinesen in Ausflugsstimmung. Wir genießen die Aussicht vom Aussichtsdeck auf die drei kleinen und die drei ganz kleinen Schluchten des Daning-Flusses, der hier in Wushan in den Yangtse mündet. Hier wird geknipst was das Zeug hält: Vor der Flagge, vor dem Felsen, mit den Freunden oder alleine, aber immer in kunstvoller Pose. Bald werden auch wir als beliebtes Bildbeiwerk entdeckt und gefordert. So ziehen die ersten zwei Stunden der Fahrt recht kurzweilig an uns vorüber. Die nächste Station sind die sogenannten drei ganz kleinen Schluchten des Daning, die wir von langschmalen Gondeln aus besichtigen, ein bisschen wie im Spreewald, nur mittlerweile ohne Staken, die sind seit der Flutung des langen Flusses unnötig geworden.

Von dem ganzen Müßiggang sind wir ziemlich geschafft und auch hungrig und wie es der Zufall so will, landen wir nach unserer Rückkehr in einem Restaurant mit angeschlossener Bierbrauerei. Es gibt Weizenbier, das sogar ganz passabel schmeckt. Wir lassen es uns munden und trennen uns dann um ein kleines Mittagsschläfchen zu halten, bevor wir zum letzten Programmpunkt des heutigen Tages schreiten: Wir lassen uns schröpfen.

Nach der Anwendung, die Rainer und Hans stoisch ertragen, gibt es noch die Information, dass wir die kommenden acht Stunden uns weder waschen noch Alkohol zu uns nehmen dürfen. Als Peter das vernimmt, scheint er ganz froh darüber, sich gegen das Schröpfen entschieden zu haben. Für uns heißt es dagegen: Abwarten und Tee trinken.

Hanghuhn ohne Kopf und Po

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

70 km von Fengjie nach Wushan

Ein strahlender Morgen ergießt sich über der ersten Schlucht des Yangtse, und damit wir auch alle etwas davon haben, machen unsere chinesischen Nachbarn ab 5:15 Uhr soviel Rabatz, dass wir auch wirklich alle pünktlich zum Sonnenaufgang wach sind, den wir dann von unseren Balkonen aus genießen können.

Nach dem Frühstück gilt unser erster besorgte Blick Hans‘ Hinterrad, aber das hält glücklicherweise dicht. Bei bestem Wetter radeln wir los. Unseren ersten Stopp legen wir schon wenige Kilometer weiter an der Stadt des Weißen Kaisers ein, einer alten Tempelanlage, die früher in luftigen Höhen, seit der Flutung des Yangtse aber mehr oder weniger am Ufer desselben liegt. Peter, Hans, Rainer und ich wagen den Aufstieg zum Haupttempel zwischen all den plaudernden, posierenden und fotografierenden chinesischen Touristen. Das mystische Ambiente einer nebelumwölkten, entrückten Stadt bleibt uns für heute verborgen. Aber nach den vielen Tagen auf dem Rad ohne touristische Hotspots genießt vor allem Rainer unseren kleinen Abstecher.

Nach dieser kleinen Entspannung geht es munter weiter. Schließlich steht heute noch ein 25 km langer Anstieg an. Diana und Thilo müssen wir auch noch einholen, denn die haben den Besuch des Tempels ausgelassen, um ein paar Kilometer gut zu machen. Da Thilo mittlerweile fährt wie der Teufel und auch Diana ganz gut zugelegt hat, sputen wir uns mächtig.

Dann geht es gemeinsam den Berg hoch. Im strahlenden Sonnenschein. Bedeutet: Peter wird auch langsam warm. Fast Peter-Wetter sozusagen. In großen Schleifen geht es den Berg hinauf. Die Bananen sind reif, die Ananas ist süß und die Snickers-Vorräte aufgefüllt. Oben angekommen erwartet uns die phantastische Aussicht auf einen zubetonierten Felsen und einer Baustelle und ein Restaurant, welches sich auf Grillhühnchen spezialisiert hat. Also lassen wir uns auch so ein Hang-Huhn zubereiten. Typisch chinesisch mit Haut und Knochen, Fuß und Kopf, zerhackt. Kopf und Po verweigern wir, die Füße teile ich mir mit Rainer. Gut ausgeruht und gut gestärkt lassen wir uns nach Wushan rollen. Und die Strecke bestätigt mal wieder das, was Hans schon seit Tagen postuliert: China ist einfach das Land der Abfahrten.


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Durch die Berge

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

87 km von Wuxi nach Fengjie

Heute geht es endlich zum Yangtse. Aber bevor wir einen Blick auf den langen Fluss erhaschen können müssen wir erst Berge erklimmen und Täler durchfahren. Zudem sind die Wettervorhersagen eher mittelprächtig: Starkregen ist angesagt. So oder so, der Beschluss ist gefasst: Das ist eine Radreise und wir fahren Rad, komme da was wolle.

So schlürfen wir bedächtig unsere Reissuppe, an der Rainer und ich großen Gefallen gefunden haben und harren der Dinge. Das erste, was uns heute in die Quere kommt, ist allerdings Hans‘ Hinterrad. Das ist nämlich mal wieder platt. Also gibt es noch ein schnelle Reparatureinlage kurz vor Abfahrt und dann kann es endlich losgehen. Wir kämpfen uns durch den morgendlichen Berufsverkehr aus Wuxi heraus und sind schon mittendrin im ersten und heftigsten Anstieg des heutigen Tages.

Mit jedem Meter, den wir uns hinauf kämpfen, wird die Aussicht schöner. Ein Belohnung für die Plackerei. Gut in der Mitte werden wir tatsächlich vom angekündigten Starkregen überrascht, der sich erfreulicherweise lediglich als fünfminütige (Stark)Dusche entpuppt. Wir schmeißen uns dennoch in all unsere Regenklamotten, die der Koffer so hergibt und schwitzen uns die restlichen Höhenmeter nach oben. Zur Belohnung gibt es Kekse, Bananen, Ananas und spektakuläre Abfahrten mit spektakulären Aussichten. Ab und an unterbrochen durch den ein oder anderen leicht zu bewältigenden Anstieg. Alles in Allem ein gelungener Radeltag.


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Ab durch die Mitte

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

98 km von Zhenping nach Wuxi

Wir sind im Süden angekommen und wir frieren. In den Bergen um Zhenping hängt dichter Nebel. Ich umklammert meinen heißen Kaffee und versuche wenigstens meine Hände ein bisschen zu wärmen. Sehnsüchtig erwarte ich den Anstieg, um mich ein wenig aufzuwärmen.

Gerade losgefahren hält Xiao Yang schon wieder an. Er hat am Wegesrand einen Wasserfall entdeckt. Über eine (ehemals) idyllische Hängebrücke (jetzt steht direkt davor die Autobahntrasse) und moosbewachsene Stufen erreichen wir eine klein Höhle aus der das Wasser schießt. Xiao Yang sprintet los, mit einer Geschwindigkeit, die zumindest ich ihm nicht zugetraut hätte. Nach der ersten Hälfte gibt er allerdings keuchend auf. Seine „Multifunktions-Uhr“ hat einen Puls von 128 gemessen, da ist dann Schluss! Und er wartet auf halbem Wege auf uns. Wir schießen Fotos, versuchen nicht auszurutschen und nach einem kleinen Snack geht es ach schon weiter.

Nach und nach beginnt der Anstieg. Wir schieben uns den Berg hoch. Die Landschaft ist, wie seit Tagen schon, einfach spektakulär. Wir passieren den geographischen Mittelpunkt Chinas, verlassen die Provinz Shaanxi und erreichen schließlich den Gipfel. Wir liegen gut in der Zeit, also posieren wir ausgiebig vor dem großen Tor, das den Pass markiert. Bald werden wir von einer Motorrad-Gang aufgescheucht. Ein hochmotiviertes gegenseitiges fotografieren beginnt.

Irgendwann eisen wir uns los und dann geht es in freier Fahrt hinab ins tiefe Tal. Kilometerlang. Malerische Landschaften breiten sich vor unseren Augen aus. Fotografieren oder einfach nur die Abfahrt genießen? Unten angekommen sind wir ganz schön geschafft und gebeutelt von dem Wind. Und Xiao Yang hat noch einen Spezialität ausgemacht. Eine unterirdische Quelle mit Süßwasserfischen. Die Geschichte dazu ist folgende: Eines Nachts hatte ein Mann einen Traum. Nämlich, dass sich unter seinem Haus tief unten im Boden etwas versteckt. Also, was tut er? Er beginnt natürlich zu graben. Er gräbt und gräbt, stößt irgendwann auf eine Quelle voller Fische. Dann kommen starke Regenfälle. Das Wasser steigt und steigt und treibt unzählige Fische nach oben. Die Höhle wurde berühmt, das Haus wurde berühmt und der träumende Mann natürlich auch. Jetzt sitzt ebendieser Mann, alt und klein, mit dem Pfeifchen im Mundwinkel an dem kleinen Ticketschalter und verkauft Eintrittskarten zu „seinem Keller“. Das Haus ist sicher nicht mehr das alte. Alles ist groß, leicht überdimensioniert, auf die Besucherströme eingestellt, von denen zumindest auf den Wandbildern berichtet wird.

Im Hotel angekommen begrüßt uns die Rezeptionistin nonchalant mit Füßen auf dem Tresen. Da haben wir gar keine Probleme uns in die Ledersofas zu lümmeln. Leider gibt es ein kleines Problem. Ausländer sind hier so selten, dass die Chefin uns am liebsten gleich direkt zur Polizei schicken möchte. Das kommt gar nicht gut, wir sind verschwitzt, dreckig und müde. Wir wollen duschen und nicht bei der Polizei vorstellig werden. Schlussendlich kommt dann doch die Polizei direkt ins Hotel um unserer Pässe zu kontrollieren und wir können den Abend entspannt ausklingen lassen.


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Drink-Fest

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

104 km von Pingli nach Zhenping

Es ist Freitag, 7 Uhr morgens. Gut zwei Wochen unserer Reise liegen nun schon hinter uns. Wir sitzen im angenehmen Luftzug und blicken auf den Vorplatz unseres verwaisten Hotels. Die Feiertagswoche ist noch nicht angebrochen, noch ist alles ruhig hier, scheint im Dornröschen-Schlaf gefangen. Nur abends geht es etwas lauter zu, wenn der Platz ab sechs per Lautsprecher von irgendwelchen Parolen und patriotischer Musik beschallt wird. Nach und nach trudeln dann auch Kinder, Paare, ältere Frauen ein, treffen sich zu einem Schwätzchen und führen sich gegenseitig ihre Enkel vor. Junge Männer treiben Peitsche schwingen überdimensionierte Kreisel an.

Wir sitzen also im angenehmen Luftzug und schauen auf den Vorplatz. Gerade habe ich den halbverschlafenen Hotelangestellten aufgescheucht, jetzt klaubt er seine Socken aus der Blumenrabatte und schlurft in die Küche. Eine Frau bewegt sich schlafwandlerisch mit Kehrschaufel und Besen über den Hof. Hier ein Staubkörnchen, da eins. Rainer sinniert über das verzögerte Lebenstempo hier. Ein gewisses, paradoxerweise betriebsames Phlegma ist unverkennbar.

Peter stößt zu uns, beschwert sich über das Wetter. Mittlerweile dampfen Kartoffeln, gebratenes Gemüse, Mantou und unsere geliebte Reissuppe auf dem Tisch. Gänzlich unbemerkt, zumindest von mir, hat das lethargische Personal den Tisch gedeckt. Hans baut sich seine Reissuppe aus den einzelnen Komponenten zusammen, sprich irgendwann landet alles, was auf dem Tisch steht in seiner Schüssel.
Ich bin sehr gespannt auf die Strecke, denn vor vier Jahren, als ich das letzte Mal hier war, war der größte Teil der Strecke Baustelle und für jegliches Fahrzeug gesperrt. Außerdem regnete es damals Bindfäden. Es blieb uns nichts anderes übrig, als diese Etappe nass und frierend im Dämmerzustand per Auto zurückzulegen. Dafür werden wir heute mit einer wunderbar zu fahrenden Straße in wunderschöner Landschaft belohnt. Noch fließt hier ein unbegradigter Fluss flankiert von grünen Höhen und schroffen Felsen, Doch überall wird gebaut und stellenweise passieren wir das ein oder andere Stauwerk. Die Vegetation hat sich geändert. Palmen sind immer häufiger am Straßenrand zu finden und zeigen uns, dass wir nun wirklich im Süden angekommen sind.

Auf der Passspitze reist dann auch noch der Himmel auf und belohnt uns mit Sonnenschein. Dann geht es rasant bergab. Unten angekommen, zwei Drittel der Strecke liegen hinter uns, stärken wir uns mit einer reichhaltigen Mahlzeit. Ich bekomme ungefragt ein Bier hingestellt und zum Nachtisch kippen wir noch alle einen Schnaps hinterher.

Tralala geht´s lustig weiter. Immer gerade aus. Plötzlich eine Verzögerung. Unfall wegen Steinschlag. Xiao Yang muss mit den anderen Autos warten, wir kommen durch und genießen eine halbe Stunde autofreie Strecke.

In Zhenping, wo wir heute Station machen, hat es sich bald herumgesprochen, dass Ausländer mit dem Fahrrad da sind. Und die Polizei war auch schon da um unsere Pässe zu kontrollieren. Große Unsicherheit wegen der verschiedenen Nationalitäten, der langen Namen und der Tatsache, dass unsere Pässe mal wieder nicht auf Chinesisch sind. Im Restaurant werden wir gefragt ob wir die seien, die mit dem Fahrrad angereist sind. Alle Kinder der Nachbarschaft haben sich auch schon versammelt und werden von den Erwachsenen gedrängelt Englisch mit uns zu sprechen. Man rätselt, ob wir Russen, Franzosen oder doch Amerikaner seien. Wir halten uns bedeckt. Und stiefeln nach dem Abendessen, müde von dem langen Tag, ins Hotel zurück.


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Der Petertag

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

70 km von Ankang nach Pingli

Wir haben Redebedarf. Das heißt zum einen, Peter will sich irgendwohin setzen am besten mit einem Kaltgetränk, am besten in der Sonne, eine Kleinigkeit zu essen darf auch dabei sein, und Blech reden.

Redebedarf gibt es auch bei Diana, die sich schon seit mehreren Tagen mit ihrem Rad durch China klappert und meint, man könne sie (vielleicht nicht) ganz bis nach Paris hören, aber zumindest in halb China und wenn schon nicht da, dann doch in den Ortschaften, die wir durchqueren, wo sich jeder nach der „Tante“ auf dem klappernden Rad umdreht.

Redebedarf gäbe es auch mit Thilo, wenn er denn da wäre, denn der entwickelt sich gerade zur „Rennsau“, radelt täglich gefühlt 20 km vorm „Hauptfeld“ rum und ist selbst von Xiao Yang kaum zu erreichen.

Hans ist irgendwie im Schwarzwald gelandet: der „abgehangene – Bauchspeck – Fisch“, eine Pinglier Spezialität, schmeckt nach Schwarzwälder Schinken, der Whisky sowieso. Aber Redebedarf besteht darüber hinaus auch hier, nämlich über chinesische Bierbraumethoden, wie „horizontal brewing“ zum Beispiel.

Und ich? Naja, ich verwirre die Gruppe nach wie vor mit meinem Links–Rechts–Problem. Was Hans im übrigen zu folgender extrem hilfreichen Aussage verleitete: „Rechts ist da wo rechts ist“. Danke, Hans.

Zu guter Letzt wäre noch die Frage zu klären, warum dieser Tag ein Peter–Tag war. Ganz einfach: strahlender Sonnenschein mit Temperaturen zwischen 30 und 35°C. Da taut Peter auf! Leider sind diese klimatischen Verhältnisse nur von kurzer Dauer: Morgen bedeckt bei nur 28°C. „Scheißwetter“ verurteilt Peter die drüben Aussichten.


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Da waren wir mal in Ankang…

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

Ruhetag in Ankang

Ich sitze im Hotelzimmer, trinke von meinem grünen Tee und lasse die Tage Revue passieren. Auf dem Hotelflur schreit ein ungeduldiger Gast mit rauer Stimme nach dem Personal. Wir haben die erste Hälfte unsere Tour gut hinter uns gebracht und genießen nun unseren wohlverdienten Ruhetag hier in Ankang. Einer Stadt mit langer Geschichte, von der man aber nicht mehr viel sehen kann. Denn die Stadt am Hanfluss ist eine, die immer wieder von Hochwasser stark geschädigt wurde. Das Letzte, im Jahre 1983, zerstörte die Altstadt und die Stadtmauer. Auf alten schwarz-weiß-Lichtbildern kann man sehen, wie es vor 50 Jahren hier noch aussah. Viel ist von diesem alten Ankang nicht mehr übrig. Hochhäuser und eine neu gebaute Stadtmauer anstelle der alten prägen das Bild.

Es gibt eine Art Gedenkstehle und Gedenkgalerie auf der neuen Mauer, wo man diese Geschichte gut nachvollziehen kann. Eine hilfsbereite junge Angestellte führt uns herum und versorgt uns mit ausführlichen Informationen. Danach schlendern wir noch ein bisschen gemeinsam an der Uferpromenade entlang, dann trennen wir uns und jeder macht so seins.

Zur gewohnten Stunde treffe wir uns wieder. Das heißt Peter, Hans, Rainer und ich. Diana und Thilo machen sicher wieder wo anders dieses muntere Städtchen unsicher. Ein kleiner Spaziergang, Abendmahl mit Fotoeinlage – gaaanz unauffällig natürlich und dann auf zur Fußmassage, zu der natürlich auch eine Nacken- und Rückenmassage gehört. Wie auf Wolken schweben wir dann auf ein letztes Bier zu Peter. Zu später Stunde trennen wir uns und gönnen uns ein wenig Schlaf vor der nächsten Radetappe.

Haben wir Gesprächsbedarf?

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

105 km von Shuhenach Ankang

Wir sitzen an der Hauptstraße von Shuhe. Vor uns auf dem niedrigen Tisch dampfen Reissuppen und frittierte Gemüseteigfladen. Xiao Yang rennt zum Auto um unseren Kaffee zu holen. Ein bisschen Heimat und Gewohnheit muss schon sein. Passanten taxieren uns wie fremdartige Tiere, zücken die Handys, fotografieren uns möglichst unauffällig. So machen wir es ja auch andersherum.

Nach der teils staubigen teils feuchten Geländefahrt gestern, lechzen unsere Räder nach einer Ölung, nicht der letzten, aber vielleicht der vorletzten. Wir begeben uns also erstmal zum nächsten Hochdruckschlauch, um unsere Räder zu säubern. Leider hat eben dieser Schlauch die Reinigung Xiao Yangs Autos nicht überlebt und es gibt eine kleine Verzögerung, denn der Chef muss erstmal einen neuen Schlauch besorgen und montieren. Xiao Yang macht ihm „Beine“: „Kuai, kuai, kuai (schnell, schnell, schnell), ruft er, denn wir wollen los. 105 km liegen vor uns. Immer schön am Fluss lang. Und es geht gut voran. Gutes Wetter, gute Straße – das macht Hoffnung darauf, dass die gestrige Baustellenetappe eine Ausnahme bleiben wird.

Die Sonne brezelt auch ordentlich vom Himmel runter, so dass auch Peter seinen Anorak ausziehen kann. Unser Auto ist gefüllt mit süßen Ananas, den üblichen Äpfeln und Bananen, Pfirsichen, Mangos und Weintrauen. Zudem wachsen wilde Kirschen hier überall und Xiao Yang besorgt noch ein Kilo zum Kosten. Nach zwei Drittel der Strecke, wir liegen gut in der Zeit, eröffnen wir unseren täglichen Gesprächskreis mit einer Runde Bier. Peter und Hans teilen sich einträchtig eine Portion kalter Nudeln und dann geht’s auch schon weiter, und…

Wir landen auf einer prächtigen Baustelle. Bis fast nach Ankang hinein feinster Straßenstaub und Dreck unter der prallen brütendheißen Sonne. Wir und unsere Räder werden ordentlich durchgeschüttelt und durchgerüttelt. Da wird keine Sehne und kein Muskel ausgelassen. Wir schlucken Staub, die Augen brennen. Irgendwann wird es Peter zu viel, er nutzt einen Schleife und fährt für eine kleine Verschnaufpause raus. Wir übrigen müssen an der nächsten Kurve eh warten. Da wird gerade der Felsen weggebohrt und der Durchgang ist gesperrt. Als Peter zu uns aufstößt, lässt der Bauleiter uns im Pulk durch und fotografiert uns natürlich dabei: Die Langnasen passieren das Nadelöhr.

In Ankang angekommen muss ich mich erstmal unter die Dusche stellen um den ganzen Dreck abzubekommen. Das macht richtig Arbeit! Zum Abendmahl schlagen wir uns durch enge Gassen und landen in einem Freiluftrestaurant. Wenig später stoßen zufälligerweise auch Thilo und Diana zu uns. Im wuseligen Treiben unter freien Himmel genießen wir unser verzögertes Schmutzbier. Nach dem Essen geht es für Rainer, Hans und mich noch zur „Blindenmassage“. Wir werden ordentlich durchgeknetet, mir wird der Hals mal wieder eingerenkt und wir schlafen danach wie Engel.


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Der dreckige Track

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

97 km von Manchuan nach Shuhe

Es ist nicht kalt, aber die Sonne scheint nicht. Der Nebel hat sich verzogen und wir fahren weiter zwischen steilen, grünen Felsen, die sich im Fluss spiegeln. Dörfer und Felder, arbeitende Menschen, Vögel, die tief über der Straße flattern. Angenehme Anstiege, bestes Fahrradwetter. Irgendwie unspektakulär? Xiao Yang hat wieder frisches Obst eingekauft. Es gibt Melone, Pfirsiche, süße Ananas und die leckeren Mangos. Die Fresserei beginnt eigentlich schon kurz nach der Abfahrt.

Eine Zwischenstopp legen wir in Shangjin ein. Die alte Stadtmauer, die bei meinem letzten Besuch einen verschlafenen, weltvergessenen Eindruck machte, hat sich auf wundersame Weise vergrößert und führt jetzt komplett um die Siedlung. Alles restauriert, erneuert und für den Tourismus fertig gemacht. Innerhalb der Mauer aber scheint die Zeit stehen geblieben. Windschiefe Ziegeldächer auf Lehmziegelhäusern, liebevoll angelegte Blumen und Gemüsegärtchen. Die Beine vertreten, ein kurzer Spaziergang und weiter geht’s. Die heutige Strecke ist weit und lang. Wie lang können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Zuerst bewältigen wir das erste kleine Gipfelchen. Wobei es Hans gelingt seinen Vorsprung in der Pannenstatistik auszubauen. Ein Plattfuß. Weiter geht’s. Eine Genußfahrt fast. Bester Asphalt, schöne Anstiege, Abfahrten, die einfach Spaß machen. Das ist auch Thema während der Bratnudelpause in Guanfang.

Ach hätten wir uns doch nicht so wohlwollend geäußert! Hätten wir uns doch mehr in stiller Demut geübt! Erst geht es noch auf kleinen Wegen durch chinesisches Hinterland. Liebevoll gepflegte Dörfer mit Rosenrabatten und Blumenbeeten. Reis und Raps wird angebaut. Die Menschen schauen uns weiter staunend hinterher. Dann löst sich nach und nach die Straße auf, wird staubig, irgendwann fahren wir nur noch auf einem Geröllhaufen, dann ist die Straße ganz weg und wir müssen auf den Fluss ausweichen, der uns von oben zwar wie ein klägliches Rinnsal vorkam, uns jetzt aber doch nasse Füße beschert. Immer wieder Staub, immer wieder Wasser. Offroad schlagen wir uns durch die Landschaft. Eine Herausforderung für unser Begleitfahrzeug. Fast sieht es so aus, als würden wir scheitern als wir versuchen Xiao Yang plus Fahrzeug eine sandige Auffahrt hinauf zuschieben, nach drei oder vier unglücklichen Versuchen gelingt es schließlich einem Baustellenmitarbeiter das Fahrzeug gekonnt nach oben zu manövrieren.

Aber am Ende ist alles gut. Wir sind schmutzig, die Räder sind schmutzig (wie gut, dass wir sie heute Vormittag gewaschen haben) und wir kommen noch vor der Dunkelheit an. Schließlich haben wir für eine Strecke, für die 5,5 Stunden eingeplant waren 10,5 Stunden gebraucht. Wir machen uns schnell frisch und rennen raus um noch etwas von der historischen Altstadt Shuhes mitzubekommen. Wir stolpern im Dunkeln durch schmale und unbeleuchtete Gassen, bis wir uns entschließen den Abend bei Bier und gutem Essen ausklingen zu lassen.


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Auf nach Dingenskirchen

Die Drei Schluchten des Yangzi, 11.04. bis 05.05.2019

92 km von Shanyang nach Manchuan

Die feuchten Schuhe sind getrocknet, Geist und Körper ausgeruht und im Speisesaal erwartet uns ein sehr reichhaltiges und köstliches Frühstück chinesischer Art. Der Nebel hängt noch tief in den bewaldeten Hängen und Höhen als wir unsere heutige Etappe angehen. Ein bisschen schmutzig machen wir uns gleich zu Beginn, als wir uns auf schlammiger Fahrbahn der ersten Baustelle nähern. Aber wir sind ja keine Sonntagsradler und ein bisschen Straßendreck hat auch noch niemanden geschadet.

Ansonsten lassen wir es einfach laufen, denn die ersten 60 km windet sich unsere Straße tendenziell bergab durch das idyllische Flusstal. Kaum ein Auto kreuzt unseren Weg, uns begleitet nur das Surren unserer Reifen auf dem Asphalt. Bachstelzen hüpfen über die Straße, auch sonst vernimmt man von allen Seiten Vogelgezwitscher. Bis die Zikaden ihren Motor anwerfen und jedes andere Geräusch übertönen.

Xiao Yang hat alle Hände voll zu tun, um uns mit unserem Lieblings-Snack zu versorgen, einer Art Törtchen-Keks mit Marshmallow-Füllung und Schokoladenüberzug. Zwei Mal muss er heute nachkaufen. Zu Mittag stärken wir uns mit frisch gemachten heißen und kalten Nudeln. Und das Beste: Zum Nachtisch gibt es Kaffee und Kekse. Neugierig werden wir dabei beäugt von einer kleinen Schar Kinder, die Xiao Yang über die Sitten und Gebräuche der Langnasen und ihrer epischen Reise von Beijing nach Shanghai einmal mitten durch China unterrichtet. Überhaupt werden wir viel gefilmt, fotografiert, beobachtet. Mal lächelnd, mal staunend, mal starr. Gern wird man auch gefragt ob man chinesisch verstünde, denn man ist interessiert an uns und unserem Vorhaben. Es gibt also keine Berührungsängste.

Die kleine Spitze, die als kleine Herausforderung die heutige Route abschließt, meistern wir ohne Probleme. Die Idee, die Teeplantage auf dem Wipfel zu besichtigen, verwerfen wir, denn wie Rainer es so schön ausdrückt: Wir wollen alle möglichst schnell nach „Dingenskirchen“, in dem Fall Manchuan, einem kleinen Örtchen mit langer Geschichte und restaurierte Altstadt.

Fürs Abendessen wählen wir ein eher unscheinbares Restaurant in ebendieser Altstadt. Unserem kleinen, illustren Kreis werden die Spezialitäten des Ortes aufgetischt: Nudeln aus Süßkartoffelmehl, abgehängtes Rauchfleisch (über einem speziellen Holz geräuchert), Tofu nach Art des Hauses. Der Wirt versucht sich mit Rainer anzufreunden, der die angebotenen Zigarette nicht ausschlagen kann. Gefühlt die halbe Ortschaft schaut kurz rein um Fotos zu machen. Mit dem Nachbartisch müssen wir Schnaps trinken und nachdem Peter umsonst versucht die Toilette zu finden (denn es gibt keine), wird ihm kurzerhand angeboten mit dem Moped zur nächstgelegenen öffentlichen Toilette gefahren zu werden.


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