Hinunter in die Schlucht

Chinesische Landpartie, 05. bis 27.10.2018

Fahrt in die Tigersprungschlucht, erste Erkundungstour, ca 5km

Früh um 07:00 ging es raus und um halb acht wartete schon der Fahrer auf uns. Wir hätten also ohne Probleme losfahren können, doch die Rezeptionistin sah das anders. Ein total verschmutztes Handtuch sollte uns angelastet werden. Wir waren uns keiner Schuld bewusst und in solchen Fällen gibt es nur eine Strategie. Hartnäckig bleiben, bis die Gegenseite nachgibt. Leider waren wir unter Zeitdruck. Und die Rezeptionistin schien mehr als entschlossen. Dann kamen aber hinter mir mindestens zehn weitere Gäste, die es wie wir sehr eilig hatten und letztlich hieß es dann: „OK, seht zu, dass ihr wegkommt.“ Etwas höflicher formuliert natürlich. Wir waren sehr begeistert, unseren Fahrer vom Vortag wieder zu sehen. Seine freundliche, aufgeschlossene Art war ein schöner Kontrast zu den vielen brummigen Typen, die wir bis dahin erlebt hatten.

Unser Ziel war die Tigersprungschlucht. Eine enge Schlucht des langen Flusses, der hier Goldsandfluss heißt, an deren engster Stelle einst ein Tiger auf der Flucht vor einem Jäger, sich mit einem beherzten Sprung in Sicherheit brachte. Dass Tiger vor Menschen flüchten ist mir zwar neu, aber die chinesischen Tiger sind etwas kleiner gewesen, als die uns bekannten Bengalischen. Mittlerweile sind chinesische Tiger ausgestorben, vor denen brauchten wir also keine Angst haben.

Unser Fahrer warnte uns vor den vielen anderen Gefahren, die auf uns lauern, loser Boden unter den Füßen und Steinschlag von oben. Auf der Straße lagen in der Tat einige Brocken, unter denen man nicht drunter liegen möchte. (Grade als ich die Zeilen hier schreibe, geht auf der anderen Seite des Flusses eine massive Steinlawine herunter.)

Recht früh erreichten wir Seans Guesthouse. Die Betreiber waren sehr sympathisch und wir waren froh, dass es keine ganz einfache Berghütte war, sondern doch eine recht passable Herberge. Ohne lange Vorbereitung machten wir uns auf den Weg in die mittlere Tigersprungschlucht. Vorbei an Terrassenfelder und einem Haus, wo man sich anscheinend auf eine Hochzeit vorbereitete. Ein gerade geschlachtetes Schwein wurde ausgenommen, ein Huhn gerupft und mehrere auf einmal geschlachtet. Ein barbarischer Anblick, man kann es nicht anders sagen. Schnell durch und weiter.

Der Weg führte uns immer steiler an die Schlucht heran. Das GPS versagte bisweilen und so verließen wir uns auf die unregelmäßig verteilten Plastikflaschen die hier und da den Weg säumten. Unterwegs dann die erste Zollstation. Niemand da. Also weiter. Am Ende einer in den Fels gehauenen Passage mussten wir dann doch zahlen. Wir taten es ohne zu murren, schließlich stellten die Betreiber auch Bänke zur Verfügung, sowie eine Toilette.

Unten an den Stromschnellen bot sich uns ein atemberaubendes Bild. Die Wassermassen tosten an uns vorbei, preschten mit voller Wucht gegen die Felsen, wodurch ein Donnergrollen entstand, gegen das man schon anschreien musste, wollte man gehört werden. Es war auch klar, fällt man hier rein, ist die Überlebensschanche gleich Null. Um darüber Gewissheit zu haben, warfen wir ein Stück Treibholz in die Fluten. Es verschwand sofort. Die Stromschnellen hatten eine beinahe hypnotische Wirkung auf uns. Man versuchte das Zentrum der nassen Hölle zu finden, doch immer wieder taten sich neue Wellenungeheuer auf, die den Blick gefangen nahmen.

Wir blieben noch eine Weile in der Nähe, einerseits weil der Ort uns nicht los ließ, andererseits weil die Himmelsleiter auf uns wartete. Ein steiler Aufstieg aus der Schlucht raus, für den wir gerüstet sein wollten. Tatsächlich gab es an einem Abschnitt sogar eine echte Leiter, die früher wohl der einzige Zugang zur Schlucht war. Christiane und ich wagten den Aufstieg, während die anderen den daneben liegenden Pfad wählten. Wie langweilig… Auf halber Höhe dachte ich noch einmal über meine Entscheidung nach, doch es war längst zu spät. Augen zu und durch.

Als wir den Aufstieg geschafft hatten fing ein kräftiger Wind an durch die Schlucht zu peitschen. Gutes Timing mal wieder. Auf ebener Straße gingen wir zu Sean’s Guesthouse zurück. Auf der Terrasse genossen wir die Aussicht auf die Berge und lauschten dem Fluss, den man bis hierhin hören konnte.

Das Abendessen war so ganz anders als wir es aus den städtischen Restaurants gewohnt waren. Viel weniger Öl, weniger stark gewürzt, dafür mit viel Liebe gemacht. Und etwas Ziegenkäse.

Danach wieder auf die Terrasse und Sterne gucken. Es war ein toller Tag.