Auf dem Platz des Volkes steppt der Bär

Kaiser, Kanäle Konfuzius, 04. bis 25.05.2019

78 km von Tai‘an nach Ningyang, Sonne satt und 26 Grad

Psychologisch ist das gar nicht so schlecht: Wir haben heute, auf unserer ersten Radetappe, auch gleich schon die längste und vermeintlich härteste Strecke hinter uns gebracht.

Aber der Reihe nach: Am Morgen treffen wir zunächst einmal den chinesischen Fahrer, der uns die nächsten zwei Wochen begleiten wird. Yang Shifu, Meister Yang, soll er von uns genannt werden. Eigentlich ist sofort klar, dass das passt zwischen uns. Herr Yang strahlt uns an, freut sich ganz offensichtlich auf die Tour, und muss erst einmal mit Helm und Fahrrad für ein Selfie posieren, damit seine Freunde auch glauben, dass er mit ein paar Ausländern unterwegs ist, die Shandong mit dem Fahrrad unsicher machen. Unterwegs versorgt er uns dann mit Melone und Kirschen und spätestens jetzt ist wissen wir, dass wir bei ihm in guten Händen sind.

Auf dem Fahrrad machen wir heute die erste Bekanntschaft mit der nordchinesischen Landschaft. Nach einer anfänglichen Steigung von 120 Höhenmetern geht es den Rest des Tages durch die Ebene. Grüne Weizenfelder, Baumschulen und Pappelwälder säumen den Weg und wir fahren auf vielen kleineren und einigen größeren Straßen bis nach Ningyang. Die Sonne und einige kaum enden wollende Alleen tragen dazu bei, dass wir doch recht erschöpft sind, als wir das Hotel erreichen. Dafür schmeckt das Schmutzbier umso besser! Und zu wissen, dass das jetzt schon die härteste Prüfung unsrer Tour war, tut gut.

In der Reisebeschreibung wird Ningyang als „typisch chinesische Kleinstadt“ bezeichnet. Kleinstadt bedeutet in diesem Fall etwa 500.000 Einwohner. Und wo geht man in der typischen chinesischen Kleinstadt am Abend hin, um noch ein bisschen was zu erleben? Na klar: Auf den Platz des Volkes. Den gibt es nämlich in fast jeder Stadt in diesem Land. Auch wir tun das, auf gut Glück, und siehe da: Auf dem Platz des Volkes in Ningyang steppt der Bär! Von überall tönt unterschiedliche Musik aus mitgebrachten Lautsprechern, und größere und kleinere Gruppen von hauptsächlich Frauen tanzen dazu in typischer Manier Linedances. Einige Gruppen haben langsame und recht einfache Choreografien im Repertoire, bei anderen sieht es eher aus wie ein Fitness-Workout, und eine Gruppe von jüngeren Tänzerinnen fasziniert uns mit unglaublich schneller Fuß-arbeit.

Am Rande des Platzes steht eine Menschentraube, in der Mitte spricht eine schick herausgeputzte Dame in ein Mikrofon. Was hier wohl los ist? Wir sind natürlich neugierig, stellen uns an den Rand der Traube, und landen – ehe wir uns versehen – im Zentrum der gesamten Aufmerksamkeit. Die Frau überrumpelt uns nach allen Regeln der Kunst, stellt Fragen mit dem Mikro Fragen nach unserer Herkunft und plötzlich stehen wir alle in der Mitte der Menschenansammlung und sollen ein Lied singen. Nicht, dass wir nicht willig wären – aber so ganz ohne Proben und unter Druck fällt uns partout kein Lied ein, das wir alle Textsicher beherrschen und wir kommen ganz schön ins Schwitzen. Die Entertainerin erlöst schließlich die Gruppe aus der schwierigen Lage, indem sie mich als chinesisch Sprechenden zu einem Gesangsduett diktiert (von bitten kann nicht wirklich die Rede sein). Ich darf selber ein Lied wählen und entscheide mich für Deng Lijuns schnulzigen Klassiker „Tian Mimi“, da bin ich einigermaßen textsicher und die Melodie kenne ich genauso gut wie jeder Chinese. Ach ja: die ganze Geschichte wird auch noch live ins Internet gestreamt, wer weiß, wer da gerade alles zuschaut! Zum Glück treffe ich die Tonlage ganz gut. Unsere Showmasterin ist zufrieden und wir dürfen uns der Aufmerksamkeit der Menge wieder entziehen. Das war genug Aufregung für heute! Der Puls sinkt langsam wieder auf Normallevel und wir schlendern zurück zum Hotel.


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