Belgischer Kreisel

Berg und Wasser , 04. bis 26.10.2015

77 fixe Kilometer von Sanjiang nach Rongan. Viel Sonne und schön warm.

Gestern hatte ich doch glatt vergessen zu erwähnen, dass Josef wieder auf dem Rad unterwegs ist. Die geprellte Schulter schmerzt zwar noch immer bei bestimmten Bewegungen, aber die gestrige Kurzetappe bot sich förmlich an um auszuprobieren, wie man damit Fahrrad fahren kann. Es ging gut, also fährt Josef fortan wieder selbst, statt sich totlangweilig im Begleitbus fahren zu lassen. Willkommen zurück, Josef!

Soweit der Prolog.

Natürlich sind wir heute nicht den Belgischen Kreisel gefahren, schließlich ist das hier nicht die Tour de Irgendwas! Trotzdem waren wir schnell unterwegs und hatten bis zur Abzweigung zur Fähre und der alten Straße bei Kilometer 57 einen Schnitt von 21 km/h. Das ist ordentlich! Es rollte einfach gut, der Belag war befriedigend bis ziemlich gut und das Wetter bestens. Es gab zwar einige Steigungen, aber die haben eher im Vorbeifahren mitgenommen.

1995 war das noch ganz anders. Da sind wir, ich schrieb es bereits, mit mindestens 20 Kilo Gepäck auf geliehenen Krücken (AKA 21-Gang Fahrräder) durch die Landschaft gegurkt. Jeder Anstieg mit mehr als 3% war eine Herausforderung, über 5% wurde zur Qual. Damals wie heute war das Etappenziel die Kreisstadt Rongan. Damals sind wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit angekommen, heute um 15 Uhr.

Unser Hotel in Rongan ist sogar das gleiche, welches wir auch 1995 bewohnt hatten. Damals gab es nur das vordere Gebäude mit ziemlich herunter gekommenen Zimmern. Danach hatte man im hinteren Teil zwei neue Gebäude errichtet mit besseren Zimmern. In diesen hausen wir dieses Jahr und müssen leider feststellen, dass die ehemals neuen Gebäude und neuen Zimmer mitlerweile ebenso herunter gekommen sind. Übernachtungstechnisch der Tiefpunkt unserer Tour bisher.

Eine frühe Ankunft und dazu noch Zimmer, in denen man sich nicht länger aufhalten möchte als nötig, schreien förmlich nach einem Stadtrundgang. Den haben wir auch unternommen. Und waren uns danach nicht so sicher, ob der Stadtrundgang oder ein längerer Aufenthalt in den heruntergekommenen Zimmern das kleinere Übel gewesen wäre.

Rongan ist im Sommer 1997 Opfer eines Hochwassers des Rong Flusses (daher auch der Name Rongan) geworden. Die ganze Stadt stand unter Wasser, selbst bei den relativ hoch gelegenen Gebäuden stand der Pegel bei etwa 1,8 Meter. Davon konnte ich mich selbst überzeugen, denn im gleichen Jahr war ich im Oktober mit einer Gruppe dort. Bis wohin das Wasser reichte konnte man sofort erkennen, alle Häuser hatten diese „Markierung“ an der Fassade. Unterhalb des Pegles waren die gekalkten Wände weiß gewaschen, oberhalb das Grau der vielen Jahre.

Anscheinend hat sich Rongan von diesem Hochwasser nicht mehr richtig erholt. Die Markierungen sind zwar verschwunden, aber alle Häuser, die wir auf unserem Spaziergang gesehen haben, machten einen recht modrigen Eindruck. Schön ist das nicht. Aber interessant. Interessant ist bekanntlich ein weiterer Euphemismus für Schön 😉

Die nächste Herausforderung: Ein Restaurant für die Abendverköstigung suchen. Wer China kennt weiß, dass man dort praktisch nicht verhungern kann. Restaurants gibt es mindestens zwei in jeder Straße. Rongan scheint in der Beziehung ein exterritoriales Gebiet zu sein, denn wir sind ziemlich umhergeeiert, bevor wir überhaupt ein Restaurant finden konnten. Die Besitzer und Angestellten waren dermaßen glücklich über unseren Besuch, dass zum Schluss noch reichlich Erinnerungsfotos geschossen werden mussten. Eines davon ist unten in der Galerie zu sehen, ein anderes hängt sicherlich demnächst eingerahmt im einzigen Restaurant von Rongan.

Apropos Bilder in der Galerie: Silvia und Franz haben auf dieser Etappe zum x-ten Mal geheiratet. So um die Mittagszeit, als wir für gebratenen Reis Halt machten. Der Herr im grünen Trikot und der Teetasse vor dem Mund hingegen sucht noch nach einer Lebensgefährtin. Angebote bitte bei China By Bike abgeben. Aber nur seriöse Angebote, versteht sich!


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Durch Pekings Wohnzimmer

Zwei Räder – Zwei Städte, 10. bis 24.10.2015

Durch die Pekinger Hutongs. Perfektes Wetter!

Das mit dem Frühstück müssen wir noch einmal üben. Heide und Anton frühstücken von 7:30 bis 8:00, ich von 8:01 bis 8:30 und Barbara und Henning von 8:31 bis 9:05. Jeweils haben wir uns knapp verfehlt. Macht aber auch nichts, fest ausgemacht hatten wir ja nichts und (fast) pünktlich kurz nach 9 sitzen wir auf den Rädern.

Eilig haben wir es nicht, denn wir wollen Peking ja in den nächsten Tagen mit Muße erkunden.

Heute radeln wir als Einstimmung erst einmal durch das Pekinger Wohnzimmer: Die Hutongs, jene Altstadtgassen, über die vor einigen Jahren schon das Todesurteil gesprochen war und die nun lebendiger denn je sind.

Die Gegend rund um unser Hotel, dort wo früher die Gefolgsleute des Kaisers ihre schicken Familienresidenzen hatten, sind nun wieder in und hip. Der Nanluogu Xiang, einst eine beschauliche Altstadt-Gasse, ist nun DIE Partymeile von Peking. Nun ja, schön bunt, aber nicht wirklich unser Bier.

Rasch überqueren wir den chinesischen Ballermann und sind zurück im Wohnzimmer. Fahren an Schach spielenden alten Herren vorbei, die ihr Unterhemd über den dicken Bauch gerollt haben, beobachten Bauersfrauen, die ihr Gemüse auf einem Lastenfahrrad an der Gassenecke feilbieten.

Schoßhunde jagen Katzen, Kinder machen sonnige Spaziergänge mit ihrem Großeltern. Wir durchqueren einen Gemüsemarkt, probieren chinesische Sesambrötchen, noch herrlich warm.

Und stehen plötzlich (wenn auch geplant!) auf der Straße des Ewigen Friedens. Was für ein Kontrast!

Von hier ist es nicht mehr weit zum Platz des Himmlichen Friedens, wir biegen auf den riesigen Platz, genießen die fast autofreie Fläche und lassen rollen.

Südlich vom Vordertor, dem ehemalig wichtigsten Stadttor Pekings, kehren wir in der alten Vorstadt in meinem neuen Lieblingsrestaurant ein, einer originellen Peking-Oper-Kneipe mit entsprechendem Dekor.

Frisch gestärkt führt uns der Nachmittag auf die Einkaufszeile Dazhalan und, da das Wetter so schön und die Zeit noch frisch ist, zum Himmelstempel, der eigentlich morgen auf dem Programm stand.

Kurz vor Sonnenuntergang sind wir dann wieder im Hotel. Müde, sonnengegerbt und die Erkenntnis reicher, dass Peking eine ziemlich spannende Fahrradstadt ist!

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