Away we go

Goldenes Dreieck, 14.10 bis 08.11.2015

Tag 1

Es geht früh los. Viertel Sechs (klingt weniger grausam als Viertel nach Fünf) klingelt der Wecker und ich quäle mich aus dem Bett. Die heiße Dusche und T‘s starker Kaffee machen mich einigermaßen wach. Ich versuche mir noch ein trockenes Brötchen rein zu zwingen, in dem sicheren Bewusstsein, dass ich spätestens nach meiner Ankunft in Amsterdam sehr hungrig sein werde. So kommt es dann auch: Etwa fünfeinhalb Stunden nach meinem Erwachen komme ich an meiner ersten Station Amsterdam an und beäuge neidisch die Leute, die vorausschauender geplant habe als ich und aus Taschen und Beutelchen allerhand frisches Obst und Gemüse und Selbstgeschmiertes zu Tage fördern.

Auf dem Weg zu meinem Anschluss-Flug passiere ich ein Geschäft über dessen Eingang in großen Lettern der Schriftzug „Delicatessen“ prangt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, doch dann klingelt etwas in meinem unausgeschlafenem Hirn… Delikatessen…da war doch was…und schlagartig kommt mir der gleichnamige französische Film in Erinnerung: Ein Hausbesitzer, der ein Delikatessen Geschäft betreibt, sucht einen neuen Mieter, da der vorherige „mysteriöser“ Weise verschwunden ist. Nach und nachstellt sich heraus, dass der Verschwundene geschlachtet und in der Hausgemeinschaft verspeist wurde, ein Schicksal, dass auch für den neuen Mieter angedacht ist ….Na gut. Ich kann verzichten.

Stattdessen mache ich es mir auf einer Polstergarnitur-Insel unweit meines Abflug-Gates bequem. Die Sessel um mich herum sind schon alle ausnahmslos belegt von Schlafenden, Lesenden, Speisenden und Plaudernten. Pünktlich eine Stunde vor Abflug wird das Gate geöffnet und ich begebe mich mit den anderen Passagieren, vornehmlich Asiaten -ein Vorgefühl auf das Reiseziel- in die Maschine die gut gefüllt ist. Ganz im Gegensatz zu meiner letzten Chinareise in diesem Frühjahr, wo ich mindestens zwei Sitze, einmal sogar eine ganze Reihe, für mich hatte. Himmlische Zustände, derer ich derzeit vergeblich harrte.

Dennoch hoffe ich auf ein wenig Schlaf. Morgen treffe ich vier meiner künftigen Reisebegleiter_Innen, und denen möchte ich ja frisch, entspannt und ausgeruht entgegentreten. Naja, da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken. Gute Nacht!

Letzte Abfahrt Baishou (und ein Abgesang auf Siding)

Berg und Wasser , 04. bis 26.10.2015

87 Kilometer von Rongshui nach Baishou. Anstrengend weil warm, weit und hoch.

Die Stecke von Rongshui nach Baishou ist landschaftlich mit die schönste auf unserer Tour Berg und Wasser. Dazu noch ziemlich verkehrsarm und überwiegend gut asphaltiert. Sie hat nur zwei kleine Wermutstropfen: Sie ist bergig und lang. Zu den bereits erwähnten 87 Kilometern gesellen sich noch 1.300 kumulierte Höhenmeter. Das ist richtig heftig, wenn man wie wir damals Schrotträder untern den Hintern und viel Gepäck hinterm Hintern hat. Diese unglückliche Kombination hatte ich bereits mehrfach beschrieben.

1995 sind wir ziemlich zeitig gestartet. Wir wussten in etwa wie lang die Strecke ist, aber von den vor uns liegenden Bergen wussten wir nichts. Das wussten wir erst, als wir kurz vor Stockeduster und ziemlich erschöpft in Baishou ankamen. Froh, überhaupt ein Hotel dort vorzufinden. Das war zwar ziemlich –äh– einfach, aber zur Not hätten wir auch unter der nächsten Brücke geschlafen.

Die Jahre darauf haben wir die Strecke in zwei Etappen aufgeteilt. Ungefähr auf halbem Wege zwischen Rongshui und Baishou liegt das Bergarbeiterdörfchen Siding. In Siding sagen sich Wasserbüffel und Panda gute Nacht, dort ist nie etwas los. Das schon seit bestimmt mehr als 200 Jahren. Ich denke Sie haben nun das richtige Bild vor Augen.

Aber in Siding gab es eine Unterkunft, ein staatlich geführtes Motel. Extrem rudimentäre Zimmer, aber immerhin mit einer eigenen Nasszelle. Die bekam in den Folgejahren einen Upgrade, als man Gasboiler für warmes Wasser nachrüstete. Dass keiner von denen jemals in die Luft geflogen ist grenzt an ein Wunder, denn die Verlegung der Gasleitungen wurde ganz offensichtlich nicht von einem Fachmann durchgeführt.

Ich mochte dieses Motel recht gerne, genau so wie ich Siding lieb gewann. Schließlich können nicht viele Menschen von sich behaupten, dass sie jemals am Arsch der Welt waren. Wer mal in Siding übernachtet hatte war es.

Die Gasboiler blieben leider die einzige Innovation, ansonsten wurde rein gar nichts unternommen, um die Wohnsituation zu verbessern. Mit der Folge, dass sie sich immer mehr verschlechterte. Bis der Zeitpunkt gekommen war, an dem es schlichtweg untragbar wurde dort zu übernachten. Das war auch der Zeitpunkt, an dem wir die Tour mit Begleitfahrzeug und besseren Rädern anboten. Siding flog also wieder aus dem Programm.

Mir wurde heute richtig nostalgisch ums Herz, als wir in Siding unsere Mittagspause mit gebratenen Reisnudeln einlegten. Zuvor hatten wir bereits schweißtreibende 40 Kilometer hinter uns gebracht. Wie schon gesagt ist die ganze Strecke recht bergig. Das Motel hat inzwischen seine Tore geschlossen. Wahrscheinlich weil keine Gruppe ausländische Radfahrer mehr jedes Jahr vorbei kommt. Den Torbogen am Ortseingang hingegen gibt es noch immer. Der stammt bestimmt aus den 1950er Jahren und wird noch die nächsten 20 Jahre dort stehen, wenn die Beton- und Metallkonstruktion bis dahin nicht nachgibt.

20 Kilometer vor Baishou endet die letzte Abfahrt, ab dort geht es nur noch leicht wellig weiter. Wir erreichen das Ende der letzten Abfahrt kurz vor 16 Uhr. „Jetzt müssen wir nicht mehr hetzen, lasst uns gemütlich fahren“ verlautet die Gruppe. Dann folgt eine wilde Windschattenfahrt und genau um 17 Uhr erreichen wir unser Hotel. Die spinnen, meine Teilnehmer!


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Flüssiges Brot und Spiele

Zwei Räder – Zwei Städte, 10. bis 24.10.2015

Durch Pekings Norden: Sport am Vogelnest, Kunst im 798

Premiere! Wir fahren in Pekings Norden und besichtigen das berühmte Vogelnest, das Olympiastadion von 2008 und demnächst wieder 2022.
Und wir sind fast allein. Wie jeder Ausrichter der Olympischen Spiele hat Peking ein Problem: Was tun mit den Sportstätten, wenn die Spiele vorbei sind?

Nun gut, 2022 ist gesichert, dieses Jahr im August fand die Leichtathletik-WM in Peking statt und ab und zu gibt es ein kleineres Ereignis.
So wie heute. Kinder und Jugendliche proben für was auch immer und tragen rote Fahnen durch den Innenraum. Ein paar hundert Besucher verirren sich im weiten Rund.

Henning, der Maschinenbau-Professor kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Von Weitem ob der gewagten Konstruktion. Von Nahem aufgrund der vielen provisorisch an den Stahlträgern befestigten elektrischen Kabel. Sieht nicht schön aus und trübt den Eindruck, meint Henning.

Wo er Recht hat, hat er Recht! Aber das ist nun mal China: Nur nicht in die Ecken und gar unter die Betten schauen! Da fällt mir die Geschichte mit der Kakerlake und dem Wohnheim ein! Aber das gehört nicht hierher…

Trotz allem hat uns das Olympiagelände beeindruckt und wir fahren weiter durch die Nordstadt in Richtung Kunst.

Dashanzi ist unser Ziel. Achtung – trendy! Bedenkt man, dass auf dem mit russischer Hilfe und (ost-)deutschem Know-How aufgebauten Fabrikgelände noch vor 25 Jahren Raketenteile hergestellt wurden, ist die Entwicklung in Dashanzì umso erstaunlicher. Avantgarde war Ende der 1990er das Thema, als sich die Künstler nach missglückten Versuchen nahe des alten Sommerpalastes Yuanming Yuan und in Tongxian im Osten der Hauptstadt hier einquartierten. Der Mainstream hat die Gegend schon längst in Beschlag genommen, dennoch gilt das Viertel mit seiner Mischung aus trendigen Galerien, heruntergekommenen Fabriken und schicken Clubs als erste Adresse für die hauptstädtische Avantgarde.

„Könnte auch in Berlin sein!“, bemerkt Barbara und trifft den Nagel auf den Kopf. Die Gruppe fühlt sich entsprechend zuhause und stromert über das Gelände, während ich mir einen doppelten Espresso gönne. Mit Blick auf eine ausrangierte Dampflok. Hatte ich die nicht damals auf meiner Minitrix?

Mit dem einsetzenden Berufsverkehr sind wir zurück am Hotel. Heide, Anton und ich genießen noch ein Schmutzbier in der Great Leap Brewery (daher der Blog-Titel).

Den Tag beschließen wir mit einem zünftigen Feuertopf in der „Geisterstraße“ (Guijie) genannten Fressgasse unweit des Hotels und drehen dann eine nächtliche Runde durch Peking. Nachtselfies müssen wir noch einmal üben!

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