Yangshuo, mein Yangshuo

Berg und Wasser , 04. bis 26.10.2015

Knapp 30 Kilometer in die Umgebung am Vormittag, Freizeit am Nachmittag.

Jetzt mal eine ganz weite Rückblende.

In den 1980er Jahren war Yangshuo ein verschlafenes Nest, idyllisch am Ufer des Li Flusses inmitten der Karstkegel gelegen, dazu noch mit reichleich alter Bausubstanz. Und somit der ideale Ort für ausländische Backpacker auf der Flucht vor dem damals schon recht touristischen Guilin. Die notwendige Infrastrucktur war schnell geschaffen, in der mit Naturstein gepflasterten Hauptstraße, der West Street, eröffneten kleine Kneipen und Restaurants, in denen es Banana Pancakes und gekühltes Bier für die hungrigen und durstigen Rucksacktouristen gab.

Bei meiner ersten Reise durch China, 1988/89, waren Kühlschränke dort noch ein Luxusgut. Kaum ein Restaurant hatte einen, und wenn, dann um Lebensmittel haltbar zu lagern. Nicht jedoch Bier kalt zu stellen. Sehr zum Leidwesen verwöhnter Langnasen. Die Ausländercafés in Yangshuo wussten von unserer Not, rüsteten Kühlschränke nach und eines von ihnen warb sogar mit dem „Coldest beer in town“. Selbstredend sind wir dort eingefallen wie die Heuschrecken. Aber nur ein mal, denn das kälteste Bier der Stadt war nicht nur kalt, sondern tiefgefroren. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis aus der Flasche ein Tropfen floss. So lange wollten wir zukünftig nicht mehr auf unser Erfrischungsgetränk warten und mieden die Kneipe fortan.

Legendär war auch das Meiyou Café. „Meiyou“ heißt so viel wie „gibt es nicht“, „haben wir nicht“, „wollen wir nicht“ oder auch „ich habe jetzt absolut keinen Bock für dich irgend etwas in Bewegung zu setzen“ und war damals eine Standardantwort auf viele Fragen. Zugticket für morgen? Meiyou! Günstiges Hotelzimmer? Meiyou! Gebratener Reis? Meiyou! Kaltes Bier? Meiyou! Meiyou war die Floskel, die jeder ausländische Rucksacktourist als erstes lernte, wenn er damals nach China kam. Leider oft auch die einzige. Im Meiyou Café gab es kein Meiyou, daher der Name.

1994 war ich dann das zweit mal in Yangshuo. Kleine Chinarundreise mit den Eltern während meines Studienjahrs in Chengdu. Das Städtchen hatte sich seit meinem ersten Besuch nicht groß verändert und war noch immer eine Hochburg für ausländische Rucksacktouristen. Hinzugesellt hatten sich lediglich ausländische Pauschaltouristen, aber die waren nur auf Durchreise. Die Fahrt auf dem Li Fluss von Guilin nach Yangshuo hatte sich nämlich im Programm der Pauschalreiseanbieter etabliert, man wurde in Massen nach Yangshuo geschippert, kurz durch den Ort getrieben und anschließend in Bussen wieder zurück nach Guilin gekarrt. Auch das hat sich bis heute kaum geändert.

Aber dann kam der innerchinesische Tourismus. Mit dem chinesischen Wirtschaftswunder, welches etwa zur Jahrtausendwende so richtig an Fahrt gewann, kam auch der inländische Touismus. Die Leute hatten plötzlich so viel Geld und Freizeit wie nie zuvor in ihrer Geschichte und beides, sowohl das Geld als auch die Zeit, mussten ausgegeben werden. Und was den Ausländern recht ist, ist den Chinesen billig.

Yangshuo änderte sich binnen weniger Jahre von einer Hochburg für langnasige ausländische Backpacker zu einer Hochburg für kurznasige chinesische Touristen. Chinesische Touristen zählt man nicht wie ausländische Rucksackreisende im Dutzend, sondern mindestens in Hunderttausend. Dementsprechend wurde Yangshuo ausgebaut. Die einst recht idyllische West Street ist inzwischen eine Fußgängerzone, durch die sich die Massen an Besuchern vorbei an einem Touristenshop nach dem anderen wälzen. Dem Ansturm nicht gerecht werdend hat man die Seiten- und Parallelstraßen gleich entsprechend mit saniert. Rothenburg ob der Tauber, Chinese Version.

So präsentiert sich Yangshuo, mein Yangshuo, im Jahre 2015.

Was es seit meinem ersten Besuch 1988 noch immer gibt sind Leihräder. Für Ausflüge in die wunderschöne Umgebung. Man mietet sich ein Rad und fährt einfach drauf los. Über Straßen, Feld- und Schotterwege, frei nach Schnautze und der Nase nach und irgendwann landet man dann wie durch ein Wunder immer wieder in Yangshuo. Anfangs waren es nur die Ausländer, die sich durch die Landschaft kurbelten. Die ersten chinesischen Touristen mieden das Fahrrad, sie konnten sich endlich mal einen Urlaub leisten und wollte diesen nicht auf dem Transportmittel für arme Leute verbringen.

Inzwischen ist es aber auch unter Chinesen Hipp geworden ein Fahrrad (oder gar ein Tandem, Chinesen reisen bevorzugt in Gruppen) auszuleihen für einen kleinen Trip aus der Stadt heraus. Zum Beispiel in Richtung Mondberg, acht Kilometer südlich von Yangshuo. Die Strecke dort hin ist inzwischen so populär geworden, dass man die Straße, die zu „meiner“ Zeit noch ein Schotterweg war, nicht nur bestens asphaltiert hat, sondern momentan dabei ist sie mit breiten, rot markierten Fahrradwegen rechts und links abzuteilen (siehe Foto unten). Ganz nach europäischem Vorbild. Das dürfte wohl der erste Radwander„fernweg“ in ganz China sein.

Der Mondberg war auch einer unserer Ziele für den heutigen Halbtagesausflug. Nach einem Frühstücksbuffet beim Paulaner in der West Street, ohne das Bier aber trotzdem unter deutscher Führung, sattelten wir die Rösser und folgten den Massen auf besagtem Radweg Richtung Süden. Dass wir nicht die einzigen Radfahrer auf der Strecke sein würden war mir vorher schon klar. Aber dass dabei fast ein Gefühl wie bei der jährlichen Fahrradsternfahrt in Berlin, die mit jährlich um die 250.000 Teilnehmer größte Fahrraddemo der Welt, aufkommen sollte, damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet.

Zugegeben, ganz so schlimm war es nicht. Jedoch befürchtete ich bei Kilometer fünf noch, dass sich diese Massen auch mit uns gemeinsam zum Mondberg hochwälzen würden. Weit gefehlt, die Masse bog einen Kilometer vor dem Mondberg rechts ab. Dort hatte man in meiner Abwesenheit zwei weitere Karstkegel touristisch erschlossen. Im Vorbeifahren sahen wir zum Beispiel eine Hängebrücke, welche die beiden Berge miteinander verbindet.

Schließlich am Mondberg angekommen waren wir so gut wie unter uns. Ich war baff erstaut. „Warum kommt denn kaum noch jemand hier her?“ frage ich den Parkplatzwächter. „Die Leute wollen nicht mehr so viele Treppen steigen“ ist seine knappe Antwort. Aha. Der chinesische Durchschnittstourist ist also noch immer ein Faultier. Ein wenig mit dem Fahrrad fahren geht inzwischen, aber danach bitte nicht noch mehr körperliche Anstrengungen!

Der Aufstieg zum Mondberg, immerhin 170 Höhenmeter über teilweise steile Treppen, ist wahrlich keine Angelegeneit für Stöckelschuhe und einen flachen Atem. Aber in etwa 20 Minuten zu schaffen. So lange haben wir jedenfalls gebraucht. Der Mondberg ist ein Zuckerhutkegel mit Durchschuss, einem Loch in der Form einer Halbmondsichel noch vor dem Gipfel. Daher auch der Name. Zu sehen in der Galerie dort unten.

Im Durschschuss und dahinter hat man einen netten Ausblick auf die Umgebung. Soweit der Dunst es eben zulässt. Die Gegend hier ist überwiegend feucht und warm, daher beschränkt der Dunst an geschätzten 353 Tagen im Jahr die Sichtweite. Heute hatten wir eher einen der besseren Tage erwischt.

Abstieg vom Mondberg und weiter auf zwei Rädern. Wie bereits geschrieben führen alle Wege zurück nach Yangshuo. Ich hatte geplant, dass wir uns auf irgendwelchen Nebenpfaden zurück in die Stadt schlagen statt wieder die Hauptstraße zu nehmen. So ganz ist mir das nicht geglückt, denn nach einer wirklich schönen Runde, teilweise über Stock und Stein, teilweise auf gut betonierten oder asphaltierten Wegen landeten wir wieder um die Ecke vom Mondberg. Auch gut, immerhin kannten alle von dort den Weg zurück nach Yangshuo von selbst.

Das war unsere Vormittagsbeschäftigung. Der Nachmittag war zum freien Vergnügen. Wiedersehensfreude am Abend zum gemeinsamen Nachtmahl. Das haben wir wie gestern schon unter fast freien Himmel zu uns genommen und mit einer Gesangseinlage von unserem Fahrer Xiao Yang beendet.

Ach Quatsch, was schreibe ich denn da? Beendet haben wir den Tag auf der Dachterrasse unseres Hotels. Dort haben unsere Mädels noch ein wenig gesungen und wir uns allgemein köstlich amüsiert. Oder wie nennt man es sonst, wenn man noch ein Bier oder/und einen Schnapps kippt?

Yangshuo, mein Yangshuo! Dir habe ich eine weitere schöne Erinnerung in meinem Leben zu verdanken.


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