Aubergine!

Kaiser, Kanäle, Konfuzius, vom 12.10. bis 03.11.2016

Es klackert und es stapft. Schattenhafte Gestalten huschen in dicken, tarngrünen Armeemänteln durch die Dunkelheit. Ein überforderter Lautsprecher schwankt zwischen Kantoschnulzen und Ballermannmucke.

Es ist der Morgen der Morgen. Der Tag, auf den alle gewartet haben. Vollmond. Heiliger Berg. Wochenende. Willkommen auf dem Taishan, dem wichtigsten der heiligen Berge Chinas.

Der Taishan ist eng mit dem chinesischen Schöpfungsmythus verknüpft. Einst, als der Kosmos noch im Chaos lag und Erde und Himmel noch eins waren, wurde Pangu zwischen Himmel und Erde geboren. Durch sein Wachstum schob er diese immer weiter auseinander, bis sie nach 18.000 Jahren vollständig getrennt waren und Pangu aus Erschöpfung starb. Seine Augen wurden Sonne und Mond, sein Blut verwandelte sich in die Flüsse und sein Kopf und die Extremitäten bildeten die fünf heiligen Berge Chinas.

Der Taishan ist der Kopf Pangus, und so fällt ihm eine wichtige Rolle in der chinesischen Mythologie zu. Den Berg zu besteigen heißt nicht nur, dem Himmel ein Stück näher zu sein, es ist auch ein Symbol für die Harmonie zwischen Himmel und Erde.

Die chinesischen Kaiser, denen das vom Himmel verliehene Mandat auch entzogen werden konnte, bestiegen den Berg als Zeichen ihrer engen Beziehung mit den Mächten des Himmels. Eigentlich hätten sie die Runde zu allen fünf heiligen Bergen machen müssen, die meisten ließen es aber bei der Besteigung des Taishan als Symbol ihrer Himmelsnähe bewenden.

Heute schieben sich dort, wo der Kaiser einst zu Fuß hinging, jährlich ein paar Millionen Touristen den Berg hoch. Heute werden es ein paar tausend sein. Wir sind glücklicherweise schon am Vortag auf den Berg gewandert, haben uns unweit des Gipfels einquartiert und blicken nun schlaftrunken und etwas ungläubig auf die Pilgermasse, die da an uns vorbeischlurft.

Gegen 5:30 Uhr stehen wir auch in der erstaunlich warmen Morgenluft und schließen uns der Hotelexpedition zum Gipfel an. Denn zuweilen ist er rot, der Osten, wie Mao Zedong zu Recht beim Anblick des Sonnenaufganges auf dem Taishan feststellte.

Und so warten wir nun auf das Zentralgestirn. Dichte Wolken stauen sich im Tal.

Dann, ein roter Streifen, der durch die Wolken kriecht.

„Da ist sie!“, schreit ein Chinese hinter mir und ruft immer wieder „Bitte recht freundlich! Bitte recht freundlich!“, besser gesagt „Aubergine, Aubergine!“, wie es die Chinesen eben so machen, wenn der Fotograf lockt.

Also, auf gut Chinesisch „Qiezi, qiezi! 茄子茄子!“

Aber es tut sich wenig. Was nicht weiter stört, da die meisten Chinesen sowieso damit beschäftigt sind, Selfies zu machen, ihr Smartphone zu checken oder Kantopopp zu hören.

Dann ein Schrei!

„Da kommt sie!“

Schlagartig ist es still. Andächtig atmen 2000 Chinesen und zehn Langnasen durch.

Dann ist sie da:

Der Osten, der ist tatsächlich rot!

Und morgen steigen wir endlich auf unsere Räder.