Antspanntes fahrraden?

Land der Tausend Elefanten, 16.12.2011 bis 8.1.2012

3. Tag, Vientiane

Gut gefrühstückt und befahrradet erobern wir heute Vientiane. Kultur und Aktivität sollen sich perfekt ergänzen – schließlich wollen wir uns schon auf die nachfolgende Ausfahrt aus der Stadt mit über 90 km Strecke einstimmen. Nach einem Besuch im Ho Phra Keo, dem ehemaligen Schrein des zeitweise in Vientiane aufbewahrten Smaragdbuddhas und heutigen Museum für buddhistische Kunst, und dem Vat Sisakhet nehmen wir daher Kurs auf den gut 30km südöstlich von Vientiane gelegenen Buddha-Park Xieng Khuan (sprich: ßieng kwuann). Es juckt uns mächtig in den Waden, und noch eine weitere Nacht unter weitgehendem Radentzug zu durchleiden, scheint weder notwendig noch wünschenswert.

Im Buddha-Park erfreut uns das äußerst entspannte, teilschattige Ambiente. Der überschaubaren Besucherzahl ist die fast meditative Stimmung zu verdanken. Neben zahlreichen Buddha-Bildnissen in den üblichen stehenden, sitzenden und liegenden Posen ist eine begehbare Darstellung von Himmel und Hölle zu besichtigen, dazu unterschiedlichste Figuren aus der buddhistischen Vorstellungswelt wie Mutter Erde, Garudas, Nagas und diverse Dämonen.

Zwischen den in edlem grau gehaltenen Skulpturen wuseln als leuchtend orangene Tupfer mehrere kleine Gruppen, die sich gerne auf Gespräche mit den Besuchern einlassen: Novizen aus Klöstern der Umgebung, die regelmäßig zum Englischtraining in den Park kommen, um mit ausländischen Gästen zu plaudern. Eine gute Lernmethode. Explizit politische Fragen dürfen sie uns zwar nach eigener Angabe nicht beantworten (was niemanden erstaunt), geben aber bereitwillig Auskunft über ihre Lebensumstände, das Leben im Vat und ihre Zukunftsträume. Größter Wunsch meines 18jährigen Gesprächspartners ist, mit zwanzig in den buddhistischen Mönchsorden aufgenommen zu werden und später als Englischlehrer seinen Landsleuten sprachlich die Welt zu eröffnen. Wie so viele seiner Mitnovizen haben seine Eltern ihn ins Kloster geschickt, um ihm eine (außerhalb des Klosters für sie unerschwingliche) gute Ausbildung zu garantieren. Ich wünsche ihm alles Gute für sein Vorhaben; er scheint auf dem besten Weg zu sein.

Gerade als wir von Xieng Khuan Abschied nehmen, klingelt Yongs Telefon. Mein Laotisch ist nicht unbedingt fein ziseliert – ich bin trotzdem relativ sicher, in etwa folgenden Dialog vernommen zu haben (von dem eine Hälfte zudem rekonstruiert ist):

Genosse Yong am Apparat?

Ja, bitte was gibt’s?

Sie sind angeblich mit einer Gruppe furchterregender Farang gesehen worden. Ist das korrekt?

Ähm… in etwa korrekt!

Sämtliche Dörfer zwischen Vientiane und dem Buddhapark sind in Aufruhr, nachdem Sie sie heute passiert haben. Ist Ihnen das klar?

Ähm… nein.

Es ist die Geschwindigkeit. Die Leute reagieren da sehr sensibel. Sie müssen das doch verstehen, als Landsmann?

Ja, natürlich. Ich verstehe.

Ich habe Anweisung von ganz oben. Der Krisenstab hat gerade getagt und seine Entscheidung bekanntgegeben: Sie werden über die Autobahn umgeleitet. Exklusivgenehmigung. Dort gibt es keinen Verkehr, niemand wird sie sehen. Das sollte für alle Seiten das Beste sein. Klar?

Klar.

Enttäuschen Sie uns nicht, Genosse. Lang lebe die kommunistische Partei!

Verstanden. Lang lebe die kommunistische Partei, Genosse.

Yongs Gesprächspartner mag sich in Wirklichkeit ein wenig anders ausgedrückt haben. Tatsache ist: Wir kehren über die nahezu verkehrsfreie Autobahn nach Vientiane zurück. Das bringt für uns einige Bonuskilometer mit sich, da die Ausbaustrecke uns zunächst nördlich an der Stadt vorbei und dann wieder zurück nach Süden führt (siehe Karte unten). Als wir schließlich den Patouxay, eines der großen Wahrzeichen von Vientiane, erreichen, haben wir alles in allem beachtliche 64 Aufwärmkilometer zurückgelegt, was einige Waden schon spürbar aktiviert.

Fairerweise muss man einräumen: Eigentlich ist es Yong selbst, der heute vorweg das Tempo macht und dabei erstaunlich sportlich auftrumpft. Hätten wir ihm beim Mittagessen womöglich die frischen Chilies rationieren sollen, die er so unverdrossen knusperte? Oder war etwa die fermentierte Krabbenpaste der Tiger im Tank, mit der er die Chilies bestreicht? Fragen, die wir im Auge behalten sollten in den nächsten Tagen. Uns Amateurlaoten bringt eine einfache Portion Fö (laotische Nudelsuppe) mit dem üblichen Gedeck aus Minze, Basilikum, Bohnen, Limette und Erdnusspaste (plus geröstete gemahlene Chilies nach Geschmack) jedenfalls gut über den Tag.

Falls Sie übrigens denken, im Titel dieses Artikels einen Verschreiber entdeckt zu haben, muss ich Ihnen natürlich zum Teil recht geben. Kein Duden der Welt wird das Wort ‚antspannt‘ beglaubigen. Aber der Duden wird ja auch nicht in Laos fabriziert. Er ahnt daher nichts von der besonderen laotischen Form der Entspanntheit, die ich hier versuchsweise als ‚Antspanntheit‘ bezeichnen möchte. Dabei folge ich einschlägigen lokalen Gepflogenheiten: Die englische Variante ‚to ralax‘ als Steigerung von ‚to relax‘ ist bereits weitgehend akzeptiert. Höchste Zeit, dass auch das Deutsche diese großartige Gelegenheit nutzt, den eigenen Wortschatz kosmopolitisch zu erweitern.

Wir arbeiten einstweilen noch an unserer Antspanntheit. Morgen stehen erst einmal sportliche 93 Pedalkilometer an, mit Arfolgsmeldungen ist also frühestens übermorgen zu rechnen.


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