Land der Tausend Elefanten, 16.12.2011 bis 8.1.2012
Von Muang Khua nach Oudomxay
Unsere Tour über den Ou hat uns den Grenzen zu den vietnamesischen und chinesischen Nachbarn sehr nahe gebracht; entsprechend viele dieser Landsleute trifft man hier in der nördlichsten Provinz Phongsali, es gibt vietnamesische Märkte, chinesisch anmutende Hotels und vieles mehr. Das hat sein Gutes, denn unsere heutige Fahrradetappe ist zwar lang, aber wir radeln mit der Kraft zuversichtlicher Waden: Zum Abendessen werden wir uns Chinesisch bekochen lassen! Klebereis und Salat aus Gehacktem mit Kräutern, Chili und Limette sowie die anderen fünf oder sechs Paradegerichte der laotischen Kochkunst haben wir schon eingehend verkostet und sind mehr als bereit für eine Abwechslung. Die meisten aus der Gruppe haben mit China by Bike auch schon einmal China beradelt und wissen deshalb genau, worauf sie sich freuen dürfen.
Um zum Festbankett zu gelangen, das uns in Oudomxay erwartet, gilt es sich in einer neuen Disziplin zu beweisen, dem Wellenreiten. Die kaum befahrene Straße 2E schlängelt sich über 100 km immer am Nam Thag entlang in die Nachbarprovinz Oudomxay und ist mächtig gewellt. Sie überbietet mit Leichtigkeit die mickrigen Wellen, die der Fluss aufwirft und stellt uns eine echte Ausdaueraufgabe: Die ersten 20 km hat man noch seine Freude am ständigen Auf und Ab, langweilig ist das auf keinen Fall. Je mehr Kilometer man jedoch sammelt, desto mehr spürt man, dass die kleinen Anstiege ein klein wenig zu lang sind, um mit dem Schwung des letzten Gefälles bequem hochzurollen. Es wird mühsam. Und immer mühsamer. Von jeder Kuppe sieht man schon hämisch den nächsten Mikroanstieg herüberwinken. Und spürt mittlerweile immer deutlicher, dass es nicht einfach nur auf und ab, sondern in der Summe sogar stetig aufwärts geht. Es sind nur wenige Dutzend Meter, aber was verstehen verkrampfende Waden schon von Zahlen?
Fast schon möchte man aufatmen, als wir nach dem wilden Ritt auf den Wellen zu guter Letzt noch zwei richtige Anstiege erklimmen dürfen, bevor wir uns bei der heldenhaften Einfahrt in die Provinzhauptstadt von den Massen bejubeln lassen dürfen, die die Straße säumen und frenetisch kleine Deutschland-Fähnchen schwenken. Wie bitte? Ob dort wirklich so viele Menschen von uns Notiz genommen haben? Also ICH jedenfalls habe sie gesehen UND gehört.
Gerührt stellen wir am Ziel beim routinierten Griff in den Schmutzbier-Kühlschrank fest, dass auch unsere heutigen Gastgeber sich für uns etwas Besonderes überlegt haben: Wir dürfen zwischen sage und schreibe drei Beerlao-Variationen wählen, : Das altbewährte Lager, dazu Beerlao Gold und das Kleine Schwarze. Festlich gestimmt fiebern wir unserem Abendmahl entgegen.
Dieses fällt tatsächlich denkwürdig üppig aus, denn als ich mit dem Koch (und Besitzer in Personalunion) vor seinem Kühlschrank stehe und seine Frischware begutachte, um das Menü zusammenzustellen, unterläuft mir eine Art chinesisch-laotische Bestellverwirrung. Ich gebe wie gewohnt den Hinweis, dass von jedem Gericht zwei Portionen aufgetischt werden sollen. Das hat sich bei der überschaubaren laotischen Küche bisher so bewährt, weil wir sonst an zwei oder drei Abenden bereits das gesamte Repertoire ausgeschöpft hätten. Im Verlauf des Bestellvorgangs schalte ich aber unwillkürlich auf die chinesische Methode um – die funktioniert nach der Daumenregel Zahl der bestellten Gerichte = Personenzahl+1, allerdings ohne doppelte Portionen – um die Vielfalt chinesischer Gerichte bestmöglich auskosten zu können. Muss wohl an der Sprache gelegen haben, denn wir waren beide froh, uns miteinander Chinesisch verständigen zu können. Erst viel später zurück im Hotel dämmert mir, dass ich im Schwung des Gefechts die Zwei-Portionen-Anweisung überhaupt nicht zurückgenommen habe und wir uns daher abends am Tisch der doppelten chinesischen Portion gegenübersehen dürften. Zum Glück habe ich die Telefonnummer des Kochs da und rufe gleich an, um ihn zu bremsen. Der ist jedoch – wie nicht anders zu erwarten – ganz chinesischer Geschäftsmann und behauptet standhaft, sämtliche bestellten Gerichte bereits vorbereitet zu haben (obwohl es noch fast zwei Stunden hin sind). Ein Abspecken der Bestellung sei deswegen völlig ausgeschlossen. Ich lasse es wohl oder übel erst einmal auf uns zukommen.
Tatsächlich wird die Tafel mit großen Ohs und Ahs quittiert; die Teller stehen übereinandergestapelt, weil selbst der großzügige chinesische Tisch mit der berühmten faulen Susanne nicht genug Platz bietet für die enorme Üppigkeit der Auberginen, Hühnchen, Bohnen, Kartoffelstreifen, Süßkartoffeln und und und. Wir zücken die Stäbchen, legen los und – oh Wunder – eine halbe Stunde später ist nahezu der gesamte Tisch geräumt. Die überschaubaren Reste werden für die morgige Mittagspause in Picknickboxen verstaut.
Mir gibt das Wunder dieses grenzenlosen Appetits noch lange Rätsel auf, dessen Zeuge ich soeben geworden bin. Sollte das etwa der sagenhafte Appetit nach dem Wellenreiten sein?
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