Legen, waschen, schneiden bei den Blindfischern

Land der Tausend Elefanten, 16.12.2011 bis 8.1.2012

16. Tag, 31.12.2011
Luang Namtha

Heute steht wieder einmal das allseits beliebte fakultative Programm an. Da der Abend lang zu werden verspricht (Weihnachten ist noch gut in Erinnerung, und schließlich ist Silvester), entscheiden sich Thomas, Claudia, Matthias und Sylvia für einen lazy day. Wir verständigen uns mittlerweile in einer gruppeneigenen Sprache, die als Mischung aus Deutsch, Englisch und Lao unserem Reisegefühl am besten entspricht. Deutsch können wir am besten, Englisch sprechen wir meistens mit Yong, und das Laotische steuert ein paar entschleunigende Anhängsel wie lai lai bei. Besonders begeistert, dass die Laoten sogar ein wenig Deutsch verstehen: Mit ‚Fleischsalat, Fleischsalat‘-Rufen kommen wir überall gut an und lösen herzliches Lachen aus. Natürlich sind wir nicht selbst darauf gekommen, sondern haben uns das Wort von ein paar buddhistischen Mönchen abgelauscht. Yong erklärt, das hieße soviel wie ‚am Markt vorbeifahren‘. Völlig einleuchtend: zum Markt, um Fleischsalat zu kaufen. Es muss allerdings ein sehr spezieller Markt sein, denn wir haben auf den Marktständen entlang unserer Route schon viele außergewöhnliche Waren ausliegen gesehen, aber Fleischsalat war noch keiner dabei. Egal, die Wirkung zählt, und so behalten wir die erheiternde Begrüßungsformel einfach bei.

Jutta, Albin, Ramón, Yong und ich unternehmen bis zum Mittagessen mit den Rädern eine kurze Genußtour durch die Umgebung. Staunend beobachten wir das Neujahrsfischen am und im Fluss: Dicht an dicht stehen die Fischer im seichten Flusswasser; im Gleichtakt heben und senken sie ihre Netze, die an kreuzweise verbundenen, langen Bambusstangen aufgehängt sind. Andere tauchen ganz unter und versuchen offenbar, mit der bloßen Hand Fische zu fangen. Wie hier überhaupt jemand etwas fangen kann, ist uns unbegreiflich. Jeder auch nur mittelmäßig intelligente Fisch dürfte bei dem Trubel im Wasser längst drei Flussbiegungen weiter sein, und die Taucher gehen in der aufgewühlten braunen Brühe bestenfalls als Blindfischer durch.

Wir radeln über Schotterwege durch Dörfer, besichtigen eine Seidenweberei und werfen einen Blick auf die skurrilen Friedhöfe der Karen, die ihren Verblichenen große Geisterpuppenhäuser errichten, welche mit deren wichtigsten Habseligkeiten ausgestattet werden: Gehstock, Schuhe, Kleidung, Fotos, Kochutensilien oder auch eine halbe Flasche Beerlao. Wichtige Persönlichkeiten sind an Schmuckfahnen zu erkennen. Wir runden die Tour mit einer abenteuerlichen Brückenpassage über den Nam Tha und einem Besuch der neuerrichteten Stupa am Berghang ab. Dort treffen wir ein Hmong-Paar, sie 14, er 16 Jahre alt, die auf eine Spritztour mit dem Mofa heraufgekommen sind. Das Ballspiel ist also endlich entschieden, jedenfalls für diese beiden.
Der Lazy-Trupp erlebt derweil urbane Abenteuer: Die altbekannte Friseurformel Waschen, schneiden, legen wird von den örtlichen Haarkünstlern angenehm umgedeutet zum Legen, Waschen, schneiden: Der Kunde genießt seine Haarwäsche in der entspannt gestreckten Horizontalen – hier offenbar ein Standardservice.

Die zweite Sensation, auf die uns kein Reiseführer vorbereitet hat, ist der als Kellner getarnte Fakir, der beim Abendessen die Gluttöpfe für unser Fondue in die kreisrunden Aussparungen der Tische wuchtet: Die Kübel mit bloßer Hand an einem Metalldraht haltend – knappe fünfzehn (!) Zentimeter über der rotglühenden Kohle -, lässt er es sich nicht nehmen, in aller Gemächlichkeit so lange den Draht zu halten und zu rütteln und zu drehen, bis die Heizelemente endlich perfekt in ihren Vertiefungen stehen. Uns wird heiß. Kurz darauf ergibt alles einen Sinn: Unser Hunger ist heute abend mächtig, so dass er ein ums andere Mal tief in die Kühltruhe greifen muss, um den Nachschub an Grillgut zu sichern. Kein Wunder, dass er sich da zwischendurch gerne die Finger etwas aufwärmt.

Beim Silvesterfeiern besteht in Luang Namtha noch Entwicklungspotential: Nicht nur fehlt es trotz allgegenwärtiger chinesischer Händler am Feuerwerk. Auch ein zünftiges Feierambiente zum Jahreswechsel zu finden, stellt uns vor Schwierigkeiten: Die ausländischen Rucksackreisenden hängen bräsig bei elektronischen Beats auf den Sofas, die lokale Jugend bei ohrenzersetzenden Wummerbässen an Stehtischen, zwischen denen Uniformierte patroullieren. Die Einladung zu einer laotischen Freiluftfeier bei ohrenbetäubender Synthesizer-Beschallung lehnen wir ebenfalls dankend ab und entscheiden uns, einfach mit Getränken und Musik die Sitzgruppe an der Rezeption unseres Bungalowdörfchens zu befeiern. So beginnt denn 2012 für uns in Laos lang sam und entspannt – wie auch sonst?


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Happy New Year Kaaaaaaaaaaa!

Goldenes Dreieck, 10.12.2011 bis 04.01.2012

Die letzte Etappe in diesem Jahr stand heute bevor. Und es sollte keine einfache werden. Die Strecke verlief fast komplett, entlang der 107. Eine an sich, für thailändische Verhältnisse, nicht allzu befahrene Straße. Silvester und Neujahr zählen in Thailand allerdings diesmal zu den längeren Feiertagen. Ganze 2 Tage hat man hier zusätzlich frei. Und dass, weil sowohl der 31.12. als auch der 1.1. auf ein Wochenende fallen. Denn das Anhängen von Ersatzfeiertage sind in Thailand Pflicht. Der Norden gilt dazu als DAS Erholungsgebiet in der „kühlen“ Jahreszeit. Wenn man Glück hat, kann man sogar mal die langärmligen Sachen aus dem Kleiderschrank holen. Auch wenn das Fahrradfahren auch unter Thailändern im Kommen und der Norden die beliebteste Radelgegend ist, sind es immer noch geschätzte, zu vernachlässigende 0,00001% die hier mit ihren Mountainbikes unterwegs sind. Der Rest verlässt sich lieber auf ihre SUVs. Bei dem Verkehr heute, kann man es ihnen auch nicht wirklich übel nehmen.

Der erste Teil verlief durch mehr oder weniger zivilisierte Ortschaften, die entlang der Straße gelegen sind und einfach nicht aufhören wollten. Als die Serpentinen im Grünen anfingen, hatte man kurz die Hoffnung, es könnte ruhiger werden. Doch immer noch genug Leute waren unterwegs auf der Suche nach einer Bleibe zu Silvester, so dass man kaum eine ruhige Minute hatte um die schöne Landschaft um sich herum zu genießen.

Als sich die Gruppe oben auf dem Gipfel wieder zusammengefunden hatte, wollten Martin und Dirk nur noch runter von der Straße und so schnell wie möglich ins Hotel. Der Rest dackelte hinterher… immer schön hintereinander. Erst nach der Abbiegung 2 km vor dem Hotel kehrte endlich wieder Ruhe ein auf den Straßen.

Die Resortanlage hatte ein ähnliches Flair wie das gestrige, nur in etwas pompöserem Stil mit einem hübschen Restaurant auf dem Wasser. Das Silvesteressen dort allerdings war ein großer Reinfall. Das Bestellen dauerte 1,5 Stunden, das Essen selber eine halbe Stunde und das Bezahlen auch noch einmal eine Stunde. Dazu gab es nicht mal einen Entschuldigungsschnaps, wie etwa in Laos.

Um 10 Uhr abends schmiss man uns raus und Silvester 2011/12 drohte zu einem Desaster zu werden. Entmutigt setzten sich Martin, Frank und ich in das hauseigene Abendcafé, wo eine spärlich bekleidete Dame vor gähnenden 4 Thailändern Volkslieder über verlorene Liebe und Glück auf einer Bühne mit Agogo-Stange sang. Aufgeben war dennoch keine Option. Zum Neujahr gingen wir resigniert zu unserem Riesenbungalow zurück und zündeten Papierballons an und hofften, dass sie nicht brennend auf alte Holzhütten abstürzen würden. Wir packten unseren letzten Mut zusammen, gaben dem Silvester noch eine letzte Chance und kehrten ohne eine Alternative zu dem Café zurück. 2012 scheint ein verrücktes Jahr zu werden, denn pünktlich auf die Minute hat sich der Laden bis zum Rande gefüllt und drinnen ging die Post ab. Als dann auch noch die hübschen Dorf-Ladyboys dazu stießen, bebte der Schuppen. Wir blieben, tranken auf ein frohes Neues und tanzten mit den hübschen Frauen und Männern, bis der Frust einer neuen Hoffnung gewichen war. Bis es irgendwann um kurz vor drei hieß… „Morgen 85 km, ja??“


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