Frohweihnachtliches Nachtklettern

Land der Tausend Elefanten, 16.12.2011 bis 8.1.2012

9. Tag, von Kiu Kacham nach Luang Prabang

An diesem Morgen stehen die Geschwindigkeit des kalten Windes und die Geschwindigkeit der Küche, die die wärmenden Getränke servieren soll, in einem ausgesprochen schwierigen Verhältnis. Die hochschwangere Besitzerin unseres Motels ist gemächlich in der Küche zu Gange, rührt in der Bratpfanne, schneidet Fleisch. Ein servierbares Resultat ist vorerst nicht abzusehen. Bibbernd wartet die Gruppe, die Geduld ist natürlich in einer solchen Situation begrenzt. Yong und ich bieten an, mitzuhelfen, das wiederum scheint allerdings der Stolz der Chefin zu verbieten und sie lässt uns eiskalt links liegen. Mit etwas Beharrlichkeit erhalten wir immerhin die Erlaubnis, aus einer Kohleschale und einem Grillrost selbst einen Toaster zu bauen, um halbwegs knuspriges Baguette servieren zu können.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass vom Wetter in diesem Blog bisher keine Rede gewesen ist. Auf den Fotos werden sie immerhin keine Regenwolken gesehen haben. Tatsächlich ist heute der erste Tag mit ein wenig trübem Himmel, zudem weht auf knapp 1400m ein eisiger Wind, daher das oben erwähnte Bibbern am Tisch des zur Straße hin offenen Frühstücksrestaurants.

Das heute eher absolvierte als genossene Frühstück ist aber schnell vergessen, denn die 20 km lange Traumabfahrt, die unsere heutige Einfahrt nach Luang Prabang einleitet und die wir dank einer Baustelle im Tal praktisch frei von Gegenverkehr ausfahren können, macht nicht nur glücklich, sondern lässt auch die Umgebungstemperatur deutlich ansteigen. Unten angekommen können wir uns ohnehin aus den Windjacken schälen, denn es schließt sich nahtlos ein 600m-Aufstieg an, nach dem die Morgenkälte endgültig vergessen ist.

Unsere gute Tat für heute besteht darin, dem australischen Pärchen, dass schon seit Vang Vieng parallel zu uns radelt, Hilfe zu leisten: Ihr ist ein Huhn ins Rad gelaufen, was sie zu einer Körper-Asphalt-Bremsung bewogen hat. Jetzt steht sie unter Schock und ist vorerst nicht in der Lage, ihr gepäckbeladenes Rad zu manövrieren. Radlerin nebst Rad finden also bis zum Mittagessen in unserem Begleitfahrzeug Platz, bis wohin die schwierigsten Bergpassagen schon hinter uns liegen. Ihr Begleiter Peter wird so lange in unseren Pulk aufgenommen und hält gut mit, obwohl er das Angebot ausschlägt, auch sein Gepäck auf den Transporter umzuladen. Ist halt eine Frage der Ehre.

Beim Mittagessen machen wir uns mit einer lokalen Spezialität vertraut: Getrocknete Flussalgen. Während der Trockenzeit (bei niedrigem Wasserstand) sieht man überall um Luang Prabang Frauen und Kinder, die bis zur Hüfte in den Flüssen stehen und die Gewächse vom Grund ernten. Die Algen werden gewaschen, entwirrt und gekämmt, gewürzt, zum Trocknen in der Sonne hauchdünn auf Bambusmatten ausgebreitet und mit Sesam, Knoblauch oder Tomatenscheiben dekoriert. Knusprig frittiert passen sie prima zu einer Flasche Beerlao. Der Geschmack gleicht japanischem Nori; die Sushiliebhaber sind natürlich begeistert.

Nach dem Essen lockeres Radeln durch die Ebene, noch ein fieser Schlussanstieg – der Körper hat die Königsetappe noch nicht vergessen -, abschließend ein paar selbstfahrende Kilometer, und wir sind da. Zum ersten Mal seit Vientiane wieder einmal eine Stadteinfahrt, die den Namen verdient. In den sechs Jahren seit 2005 ist die Einwohnerzahl der Stadt von 47000 auf über 100000 explodiert, was sich an ausgedehnten Vorstadtgebieten bemerkbar macht. Angefangen hatte der Boom 1995, als die UNESCO die Stadt in die Liste des Weltkulturerbes aufnahm und damit aus einem zwanzigjährigen Dornröschenschlaf weckte – vor allem der Sakralarchitektur wegen. Auf der Liste der geschützten Objekte finden sich über 220 Vats (buddhistische Klöster), daneben einige französische Kolonialabauten und traditionelle Stelzenhäuser aus der Ära der Monarchie, die nach deren Ende vor sich hin bröselten. Die Farbe der Stadt ist das Safrangelb der Mönchsroben.

Das Kulturprogramm ist allerdings erst morgen dran, nach einer kleinen Orientierungsrunde durch die Stadt halten wir deshalb erst einmal Siesta. Für den Weihnachtsabend wollen wir fit sein, zumal wir zur gemeinsamen Feier die zweite Gruppe von China By Bike treffen werden, die gerade mit meinem Freund und Kollegen Niti auf der Tour Goldenes Dreieck unterwegs ist und heute ebenfalls in die Stadt kommt. Bisher war die einzige Reminiszenz von Weihnachten der hochgewachsene, üppig blühende Weihnachtsstern, ein ständiger Begleiter auf allen unseren Radetappen.

Beim laotischen Fondue (sindat) in einem lebhaften Gartenrestaurant am Südhang des Phou Si (sprich: pu ßie) mit Lagerfeuer und Weihnachtsmützen (Zipfel nach vorn!) stoßen wir mit Niti und seiner Mannschaft aufs China by Bike X-mas Blinddate an. Beim Essen steigert sich die Stimmung soweit, dass sich in die weihnachtliche Festlichkeit sogar verfremdete Osterbräuche einschleichen. Ramón schließt als besonderes Weihnachtserlebnis Bekanntschaft mit Väterchen Frost höchstpersönlich. Das war bei dem milden Wetter kaum vorherzusehen, sonst wäre er sicher mit Windjacke gewappnet zum Weihnachtsessen erschienen. Gerade als das Fondue mit Beerlao verfeinert wird, trifft auch Claudia eine sibirische Windböe.

Um das Verständnis der Laoten insbesondere für die vermeintlichen deutschen Osterbräuche und plötzlich verschwindende Weihnachtsmützen nicht zu weit zu strapazieren, ziehen wir in ein Haus des Gesangs weiter und entführen auch einen Teil von Nitis Gruppe. Die Tuktuk-Fahrt nutzen wir zum Aufwärmen der Stimmen mit festtagsgerechten Melodien. Das englischsprachige Repertoire im Full Moon ist nicht zu verachten, und so fühlen wir uns dort noch eine ganze Weile wohl. Der Nachtportier unseres Hotels hatte wohl gar nicht mehr mit uns gerechnet, und so stellt es sich als günstige Fügung heraus, dass wir genug erfahrene Bergsteiger in der Gruppe haben und aus eigener Kraft zu unseren Zimmern gelangen.

Alles in allem eine ausnehmend dionysische Angelegenheit. Weihnachten 2011 war schön!


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