Chillen mit Chilly

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

96 Kilometer von Chengde nach Pingquan. Dunstig.

Von Beijing nach Chengde bin ich bereits fünf Mal geradelt, kannte die Strecke (bis auf wenige Neuerungen) recht gut. Ab Chengde bis zu unserem Endpunkt Shanhaiguan bin ich erst zwei Mal gefahren, und das ist auch schon länger her (2004 und 2006). Gerade von der heutigen Etappe hatte ich nur noch schemenhafte Erinnerungen.

Knapp 100 Kilometer, also wieder Frühstück um sieben Uhr, Abfahrt um acht Uhr. Zunächst ging es in die falsche Richtung, nämlich zum Postamt. A und P brauchten noch Briefmarken für ihre Postkarten. Kleinstädte erkennt man in China daran, dass die Postämter keine Briefmarken mit hohen Notierungen haben. A, P und H hatten mir einfach nicht glauben wollen, dass Chengde eine Kleinstadt sei, aber hier hatten wir den Beweis: Das Hauptpostamt hatte als größten Markenwert 1,20 RMB im Angebot. Für eine Postkarte nach Europa werden jedoch 4,50 RMB benötigt. Also muss sie mit vier Marken á 1,20 zugeklebt werden. Damit ist die Postkarte fast voll, viel Platz für die eigentlichen Grüße bleibt da nimmer 🙁

Die ersten 15 Kilometer kämpften wir uns auf einer staubigen und recht stark befahren Ausfallstraße ab, dann macht diese eine Knick nach links und wir wurden auf eine Nebenstraße in die Berge entlassen. Die war so wenig befahren, dass sie sich hervorragend für Fahrschüler eignet. Zwei Fahrschulfahrzeuge fuhren ständig an uns vorbei oder kamen uns entgegen, wenn sie weiter vorne gewendet hatten. Wir konnten beobachten, wie das Anfahren am Berg trainiert wurde. In China wird das allerdings bergab gemacht.

Die Landschaft war lieblich, riss uns jedoch nicht direkt vom Sattel. Wir fuhren Kilometerweit an Maisfeldern vorbei. Hier in der Region wird hauptsächlich Mais angebaut, die prallen Kolben hängen zu dieser Jahreszeit erntereif an den Halmen und hier und da wird auch schon geerntet. Vornehmlich per Hand.

Nach rund der Hälfte der Strecke tat ich etwas, was ich zuvor noch nie gemacht hatte: Ich verkabelte mich mit dem MP3 Player meines Handys. Und wählte die Pianoalben von Chilly Gonzales, welcher auch den ersten Part des Imagefilmchens von China By Bike musikalisch unterlegt hat.
Dermaßen beschallt rollte ich nun fast schon meditativ durch die Gegend, akustisch nicht komplett abgeschnitten von der Außenwelt, aber immer mit ruhigen und harmonischen Tönen wie aus dem Off. Nett, eine ganz neue Erfahrung. 20 Kilometer vor unserem Etappenziel legte ich dann noch Travels von Pat Metheny auf.

13 Kilometer vor unserem Etappenort Pingquan, auf einer Bergkuppe, trafen wir auf zwei chinesische Radsportler, die uns überschwänglich begrüßten. Es waren Herr Lu und Frau Luo, beide aus Pingquan und unterwegs zu einem kleinen Ausritt in die nähere Umgebung. Nach dem üblichen Woher und Wohin lud uns Herr Lu zum Abendessen ein. Kurze Rücksprache mit meiner Gruppe: Na klar, warum nicht? Also verabredeten wir uns um sieben Uhr im Hotel.

Pünktlich um sieben stand Herr Lu auf der Matte und es ging fünf Blocks weiter in ein gehobenes Restaurant, und dort direkt in ein Séparée. Und natürlich waren wir nicht alleine, am Tisch saß schon Frau Luo sowie zwei Herren, Herr Lu (noch ein Lu) und Herr Tao. Aha, jetzt wird es chinesisch, dachte ich. Und genau so kam es auch. Dicke Speisen wurden aufgefahren, eine Flasche Schnaps machte die Runde (wir hielten uns tapfer zurück), Reden wurden gehalten, auf die deutsch-chinesische Freundschaft und die Vereinigung der Radfahrer aller Länder angestoßen. Unsere vier Gastgeber waren Teil der Radgemeinde des Ortes.

Jetzt schreibe ich nicht weiter dazu, morgen mehr. Denn nachdem der Tisch zu 25% leergegessen und alle pappsatt waren verabredeten wir uns zu einer gemeinsamen Abschiedsausfahrt am nächsten Morgen und verließen das Lokal bereits um 21 Uhr. Herr Lu, Herr Tao, der andere Herr Lu und Frau Luo hatten bestimmt auf ein längeres Gelage gehofft. Vielleicht das nächste Mal, wenn die deutschen Freunde nicht 96 Kilometer hinter und 62 Kilometer vor sich haben.

PS: Ich habe das Bett nicht geraucht, großes Ehrenwort!


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Erste Schritte

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Vom Naxi Guesthouse nach Walnut Garden, 19 km, 5h 30min reine Gehzeit, 700 m Aufstieg

Heute stand unsere erste und weiteste Wanderung an. Neun Stunden lang waren wir unterwegs, sind über Wasserfälle gelaufen, haben ziemlich geschwitzt und literweise Wasser getrunken, unzählige Fotos und eine längere Pause im einem der Guesthäuser unterwegs gemacht.
Die Tigersprungschlucht ist eine der tiefsten Schluchten der Welt. Bei 1800 m rauscht der Yangzi der weit entfernten chinesischen Ebene entgegen, der Wanderweg schlängelt sich auf 2.400 m durch die Schlucht und auf der anderen Uferseite fällt die Wand des Jadedrachenschneebergs fast senkrecht ab – einige tausend Meter tief, das Auge kann es nicht wirklich erfassen – der drachengezackte Gipfel (5.596m) ist aber heute weitgehend wolkenverhangen. Ich finde das Panorama immer wieder atemberaubend und bin mit meinen Bildern nur mäßig zufrieden.

Außer uns waren nur eine Handvoll Menschen oben in der Schlucht unterwegs. Auch im Walnut Garden Guesthouse ist es bis auf die Bauarbeiten für den Anbau ruhig. „Auf der Straße hat es wieder einen Erdrutsch gegeben“ ist Lucys Erklärung dafür. „Seit drei Monaten kann kein Auto die Schlucht passieren, wir haben gerade mal ein Auto hier, klettern über die Steine und steigen auf der anderen Seite um.“ Wer die Kosten für die Aufräumarbeiten trägt, sei nicht klar, und solange bewege sich nichts. Hier zeigt die Natur wieder einmal, dass durch den Berg gesprengte Straßen eben seinen Preis haben.

Lucy ist die Tochter des Hüttenwirts und wird uns in den nächsten Tagen begleiten. Sie heißt uns in ganz passablem Englisch willkommen und wir besprechen die Details der Wanderung, trinken ein sauberes Bier und verabreden uns für acht Uhr zum Frühstück. Früher aufstehen lohnt nicht, weil es keine frühere Fähre gibt.


Die weißen Berge

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Wanderung/Treppensteigen auf den Huangshan. 12 km

Endlich ist es so weit. Wir durften auf den Huangshan… genaugenommen die Huangshan. Denn es handelt sich ja eher um ein Gebirge als ein Berg. Die Wetterwarnungen vom Vortag hatten sich leider bewahrheitet: Es regnete! Anke verlor aber nicht ihren Optimismus und glaubte, dass die Regenkleidung, mit der wir uns vor der Abfahrt noch eingedeckt hatten unnötig gewesen wäre.

Die ersten paar Höhenmeter behielt Anke auch recht. Nach unser kleinen Mittagspause jedoch drangen wir in die weiße Nebel- und Regenschicht, die die ganze Zeit über uns lauerte und wir wurden nass… klitsch nass! Der Weg führte jedoch beständig weiter Richtung oben. Eine gefühlte Ewigkeit dauerte es, bis wir die erste Spitze erreichten. Doch statt mit einer glorreichen Ausblick belohnt zu werden sahen wir nichts… Rein gar nichts! Auch die weiteren Spitzen waren nicht hochgenug um aus dem weißen Dickicht empor zusteigen. Für Katharina hatte der lange Marsch gen Himmel fast all ihre Kraft gekostet und der Weg entlang des Bergkammes war nur noch mit allerletzten Reserven zu meistern.

Wir stellten uns vor, wie schön die Aussicht doch sein müsse, immerhin waren wir auf knapp 1800 Metern und umringt von steilen Steinspitzen, die mit dürren Kiefern ein wundervolles Panorama gebildet hätten. Es heißt der Huangshan ist die einflussreichste Inspirationsquelle für die chinesische klassische Malerei. Wenn die Künstler aber alle unsere Sicht gehabt hätten, würden jetzt überall in den Touri-Läden statt Tusche-Landschafts-Rollen nur noch blanke, weiße Tücher hängen… Vielleicht noch bespickt mit gelben Tupfern, die die Einheitszipfelmützen der chinesischen Bergsteiger-Regenuniform-Capes darstellen sollen.

Es war ein surrealer Anblick: Die dicken Nebelwolken zischten zwischen den blassen Kiefern umher. Mittendrin stapften wir einem einzigen Ziel entgegen: Ins trockene Hotel! Immer wieder kamen uns Horden von Kreaturen in gelben Umhängen entgegen. Mir kam die Assoziation mit einem Weg ins Jenseits. Ein Weg, der ohne Ende zu sein schien… Es war nicht auszumachen wohin man ging oder woher man kam. Und es gab nur eine Richtung: Weiter!

Die chinesischen Bergsteiger ließen sich jedoch meist nicht die Stimmung vermiesen und schossen ein Selbstporträt nach dem anderen mit dem weißen nichts im Hintergrund. Wir aber ließen jede Sehens- bzw. Kaum-bis nicht-erkennbar-würdigkeit links liegen und stapften voran: „Hier ist die Begrüßungskiefer, das Wahrzeichen Huangshans.“ – „Aha, egal, weiter.“… „Hier ist der Schildkrötenfelsen.“ – „Aha, egal, weiter.“… „Hier ist…“ – „Egal, WEITER!“. Gern hätten wir auch mal Pausen eingelegt. Doch stehenbleiben war keine Option, denn der Wind tobte einem um die Ohren und ohne Bewegung waren die kühlen Brisen mit den nassen Klamotten kaum auszuhalten.

Nach 5 Stunden und 1180 Höhenmetern kamen wir endlich in unserem Hotel an. Wir plumpsten in die Sessel und bestellten erst einmal wieder chinesische Ingwer-Suppe. (Liebe Schwiegermutter: 谢谢你告诉我受凉后要喝姜汤!) So durchgefroren wie wir waren, hätte ich den warmen Ingwer-Sud mit keinem anderen Getränk der Welt getauscht.

Katharina aber hatte das Treppensteigen ziemlich mitgenommen und hatte nicht mal mehr Kraft für das überteuerte Abendbuffet. So fürsorglich, wie sie ist, überließ sie „den Jungs“ aber noch ihre letzten Zigaretten. Danke nochmal. Das war wirklich süß! Drogen verbinden eben doch!