Vor der Tour ist vor der Tour

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Das waren noch Zeiten! Als wir Mitter der 1990er Jahre damit begannen Radtouren in China zu leiten flogen unsere Gruppen die ersten Jahre noch mit Aeroflot. Abflug in Berlin und dann zunächst sechs Stunden Aufenthalt in Moskau. Wenn man Glück hatte. Wir hatten es meistens nicht, und aus den sechs Stunden sind auch schon mal 12 Stunden geworden. Der Flughafen dünstete Sozialismus in Reinkultur aus, es gab rein gar nichts. Dann der Weiterflug mit einer Iljuschin, deren Baujahr wir lieber nicht wissen wollten. Es muffelte im ganzen Flieger nach Tabakqualm, auf die Stewardessen traf am besten die Bezeichnung Matronen zu und die Todesursache für die servierten Hähnchen war leicht festzustellen: Unterernährung. Bordprogramm gab es nicht, ich glaube nicht mal das russische Wort dafür.
Noch einer Zwischenlandung in Novosibirsk, wo billiger heimischer Sprit getankt wurde und im Oktober schon fett Schnee lag. Endlich in Beijing angekommen war man gerädert, auch Dank der Sitze. Die waren gepolstert wie dreilagiges Toilettenpapier.
Wir sind damals aber schnell auf Air China umgestiegen.

17 Jahre später. Ich fliege meiner Gruppe um einen Tag voraus und für meine Flüge schlägt das System eine günstige Verbindung mit Aeroflot vor. Hm, warum nicht mal wieder in Erinnerungen schwelgen? Aber die kamen fast gar nicht auf. Der Zwischenaufenthalt in Moskau dauerte nur drei Stunden, der Flughafen ist inzwischen Top ausgestattet. Pünktlicher Weiterflug mit einer neuen (und nur halb leeren) Airbus-Maschine, Rückenlehnenkino mit reichhaltiger Auswahl und auf die Klapptische kam leckeres Essen.
Nur die Stewardessen habe ich alle sofort wiedererkannt. Es waren garantiert die gleichen wie vor 17 Jahren. Und das Raucherabteil habe ich ein wenig vermisst. Aber nur ein wenig.

Mit ein Grund meiner früheren Anreise war es einen potentiellen zukünftigen Reiseleiter mal direkt in die Augen zu schauen. Andreas heißt er und studiert gerade in Beijing. Davor war er bereits mehrfach in China, vornehmlich um Kungfu in den Wudang Bergen, der Wiege asiatischer Kampfkunst, zu lernen.
Wie es der Zufall wollte sind auch unsere beiden Reiseleiter André und Karl gerade in der Stadt, so dass sich ein Minireiseleitertreffen förmlich aufdrängte. So ergab sich eine nette Männerrunde, die zunächst ausgiebig tafelte und dann in das Café Zarah weiter zog.

Nett war es mit euch, Jungs!

Königsetappe

Transmongolia, 23.07. bis 23.09.2012

114 Kilometer von Yingxian zum Wutaishan, ca. 2200 Höhenmeter bei angehm sonnigen 22 Grad.

Heute liegen seit langen wieder einmal richtige Berge vor uns. Ein paar Kilometer folgen wir der Hautstraße, dann biegen wir nach Süden ab, zum Glück sind wir den schlimmsten verkehr und Staub damit los, nur ab und zu schiebt sich eine LKW Kolonne dem ersten pass entgegen. Nach ein paar Serpentinen, von denen man einen schönen Blick über die umliegenden Dörfer hat, geht es in einem engen und romantischen Tal ganz sanft nach oben. Oben öffnet sich die Landschaft und es gibt nette kleine Dörfer, die Häsuser sind manchmal vollkommen aus Lehm gebaut und man kann erkennen, dass es früher jede Menge Wohnhöhlen gab, die hier in den Lehm oder Löß gegraben worden sind. Allerdings war es in diesen großen Höhlen wohnlicher als man denkt, in einigen Gebieten der Provinz werden diese Höhlen noch bis heute gegraben, vorne kommt eine hölzerner Eingang davor und innen ist alles sauber geweißt oder tapeziert. Meist befindet sich vorne die Küche und im hintersten Teil ein beheizbares Bett, der sogenannte Kang. Eine solche Höhle konnte gut und gerne 35 Quadratmeter Wohnfläche haben.

Siebenhundert Meter schrauben wir uns auf den ersten Pass hinauf, dann geht es wieder 600 Höhenmeter nach unten bis in eine kleine Stadt namens Schlammfluss. Das war früher mal ein kleines Drecksnest mit der Eisenbahnstation für den Wutaishan, das hat sich aber geändert und auch dieses Städtchen ist ansehnlich geworden und explodiert geradezu. Wir stärken uns ordentlich mit gebratenen Gerichten und eine Portion Teigtaschen, denn der Hauptanstieg liegt noch vor uns. Hinter „Schlammfluss“ geht es erst einmal ganz sanft nach oben, dann nimmt die Steigung langsam zu. Fast 5 Stunden brauchen wir für den 1400 Höhenmeter Anstieg, es ist schon eine Weile her, dass ich so etwas am Stück gefahren bin, aber wir kommen gut vorwärts, auch weil das Wetter gut mitspielt. Mittags war es nicht zu heiß, dann wurde es angenehm, lediglich die letzten 300 Meter war es dann etwas kühl und frisch. Langsam kommt man den Gipfeln immer näher, dabei geht es erst noch durch ein paar kleine Dörfer, die hauptsächlich vom Maisanbau leben, dann kommt eine Nadelwaldzone und oben hat man eine wunderbare Sicht über die Bergewelt in der Provinz. Ich erinnere mich noch an den Abschnitt im letzten Jahr, als wir im dichten Nebel gefahren sind und kaum noch 50 Meter Sichtweite hatten, nicht so heute. Gegen 18 Uhr haben wir den Gipfel erreicht, auch wenn es nicht zu kühl ist rate ich Martina und Wolfgang dazu, sich ordentlich einzupacken, denn 15 Kilometer Abfahrt im Schatten saugen die letzte Energie aus dem Körper. Kurz bevor es dunkel wird kommen wir dann leicht bis mäßig durchgefroren im Wutaishan an. Es ist ein großes Touristengebiet und heute ist Samstag. Entsprechen viel ist los und wir sehen zu schnell ins Hotel und unter sie warme Dusche zu kommen und danach in eins der Lokale. Trotz der Anstrengung des Tages oder gerade deswegen ist der Hunger nicht zu groß, dafür schmeckt das Bier doppelt so gut und das Bett ruft schon nach dem müden Radler. nach dem harten Tag wird es in den nächsten zwei tagen ruhiger, denn wir haben hier im Wutaishan, einem der vier buddhistischen Heiligtümer Chinas zwei Ruhetage, um die Tempel der Region und die schöne Bergwelt zu genießen.


Die unscheinbare Stadt der Superlative

Land von Fisch und Reis, 01.09. bis 24.09.2012

Von Wuzhen nach Hangzhou. 94 km

Unterwegs führte uns unsere Route heute weiter vorbei an vielen Textilindustriegebieten. Man könnte meinen von hier aus wird die Welt eingekleidet. Entenfarmen kamen ebenfalls des Öfteren ins Sichtfeld. Vorurteile gegen Chinas schlechten Umgang mit Tieren werden hier aber gründlich aufgeräumt. Die Farmen hätten vermutlich das Bio-Siegel verdient, wenn man sieht mit wie viel Liebe die Freiflächen und Teiche für die Tiere angelegt wurden.

Auf halber Strecke machten wir einen kleinen Abstecher in die Altstadt von Xinshi (übersetzt Neustadt)… also neustädter Altstadt. Nach dem Trubel in Wuzhen gestern wirkte die Altstadt sehr authentisch und wir durften sogar einem Schreiner bei dem Umgang mit einem Bogen-Bohrer zusehen, der bei uns zu Hause wohl nur im Museum zu finden wäre. Der Schreiner beneidete Martin ein wenig um seine elektrische Bohrmaschine, erklärte aber gerne seine Arbeitsschritte.

Den Tag über blieb es zum Glück trocken… diesmal auch als wir an unserem Ziel ankamen. Hangzhou wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar. Vor allem, wenn man mit dem Fahrrad erst einmal nur zum Hotel fährt. Hohe Wohnhäuser in den Vororten für die ganzen Männer, die heiraten wollen, breite Straßen, viele Autos, riesige Kreuzungen… bis man zum Westsee kommt. Ohne ihn wäre Hangzhou eine weitere Großstadt, die nur von ihrem vergangenen Ruhm lebt. Hier hört die Stadt urplötzlich auf und man findet sich mitten im Grünen wieder, umgeben von Wasser und Bäumen. Er und das Gebiet drum rum gelten als ein Vorzeigebeispiel städtischer Gartenbaukunst und wurden über die Jahre immer wieder weiter ausgebaut. Hangzhou gilt auch heute noch unter Chinesen als eines der schönsten Städte Chinas, bringt angeblich die schönsten Frauen hervor, hat den wohl besten Tee, war einst die größte Stadt des Planeten (13. Jahrhundert), hat die größte Gezeitenwelle der Welt, und und und… Mit all diesen Superlativen können alle anderen Städte Chinas eigentlich einpacken. Dennoch bleibt Hangzhou für chinesische Verhältnisse trotz seines Status als Provinzhauptstadt ein eher überschaubarer Ort.

Doch die Besichtigung stand erst morgen an. So begnügten wir uns mit einem leckeren Abendmahl, begleitet von einer grölenden Firmenfeier am Nebentisch, die uns im Laufe des Abends immer mehr einbezog: „Tut uns Leid, dass wir so laut waren. Komm wir trinken einen drauf!“ „Ihr seid aus Deutschland!? Komm wir trinken einen drauf!“ „Du bist auch Reiseleiter?! Komm wir trinken einen drauf!“ Zum Glück ist das Gelage nicht komplett ausgeartet, auch dank dem schwachen chinesischen Bier und den kleinen Gläsern, sodass wir noch geraden Schrittes unsere Zimmer gefunden haben.