Nothing but blue skies

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Beijing auf eigene Faust.

Die chinesische Regierung hat -fast- alles fest im Griff. Neben der eigenen Bevölkerung auch noch das Wetter in Beijing. Jedenfalls in diesen Tagen. Noch immer ist strahlend blauer Himmel und glasklare Luft. Weil etwas in der Luft liegt. Nämlich das Mondfest (Mittherbstfest bzw. 中秋节) am Sonntag und, wichtiger noch, der Nationalfeiertag am Montag. Wahrscheinlich wurden mal wieder alle dreckschleudernden Fabriken rechtzeitig lahm gelegt und was weiß ich für Zaubertricks angewendet, um so eine Wetterlage zu erzeugen.
Jetzt muss die chinesische Regierung nur noch die ganzen Umweltprobleme des Landes in den Griff bekommen. Aber sie arbeitet hart daran!

Heute ist Freitag. Laut Kalender ist zwar Samstag, aber heute haben alle aus der Gruppe frei. A, P und H, damit sie sich mal vom Reiseleiter erholen können. Und C, damit er seine Erkältung ausleben kann. Die hatte sich gestern schon angekündigt und ist heute so richtig ausgebrochen.

Die Verbotene Stadt, die eigentlich für heute Vormittag auf dem Programm stehen sollte, hatten wir uns ja schon gleich am zweiten Tag in China reingezogen. Daher heute also zur freien Verfügung. Am Vormittag übergaben wir die Räder wieder in die Obhut unseres Fahrradladens hier in Beijing, dann war erst mal fahren lassen angesagt. Nämlich mit der U-Bahn bis zur Wangfujing, Beijings Hauptshoppingmeile. Dort trennten sich unsere Wege, ich fuhr zurück ins Hotel und legte mich ins Bett, die anderen verprassten ihre letzten Kuai.

Am Abend trafen wir uns wieder für den kulinarischen Abschluss der Tour: Ente bis zum Abwinken. An so einem Vogel ist zwar viel dran, aber nur ein Bruchteil davon wird bei einer Peking Ente abgeschnippelt und serviert. Wir nahmen also gleich zwei Enten. Es wird nicht gespart!

Morgen ist Frühstück, Abschied nehmen und Abflug. Das lohnt keinen eigenen Eintrag. Fotos von herzerweichenden Abschiedsszenen mit reichlich Abschiedstränen wollen Sie bestimmt auch nicht sehen. Daher hier bereits meine gefürchtete Statistik und ein Fazit:

  • Geradelte Kilometer: 853 (Gemessen)
  • Gelatschte Kilometer: 25 (Geschätzt)
  • Treppenstufen: 20.368 (Gefühlt)
  • Wassertemperatur des Meeres bei Shanhaiguan: 18°C (Geraten)
  • Unbeleuchtete Tunnel: 20
  • Beleuchtete Tunnel: 2

Die Tour war richtig rund. Was nicht heißen soll, dass wir für drei Wochen 24/7 auf Wolke 7 schwebten! Das wäre auch furchtbar gewesen, denn wovon sollten wir dann daheim erzählen?

Es gab fast in jeder Beziehung Höhen und Tiefen (Yin und Yang, Sie erinnern sich?): Wir fuhren über hohe Pässe und über das platte Land. Mal auf Flüsterasphalt und mal auf Schlaglochstraßen, scheinbar ohne Ende. Mal stundenlang fast ohne weiteren Verkehr, mal mit 30 LKW pro Minute. Mal mit topsauberen Hotels, mal mit reichlich Schimmel an den Wänden und ohne Warmwasser aus den Duschköpfen.

In einer Beziehung gab es keine Höhen und Tiefen: die Gruppenstimmung! Die war nämlich gleichbleibend gut und dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Holger, Astrid und Peter (um ihnen mal wieder einen Namen ohne Abkürzung zu geben) bedanken! Wir sind sehr homogen unterwegs gewesen. Egal ob es das Fahrtempo, die Unterkünfte oder die von mir gewählten Restaurants und Speisen betraf. Ich wäre mir manchmal schon selbst an die Gurgel gegangen. Aber ihr seid einfach nur Spitze!

Harmonie

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

315 Kilometer in 2 Stunden und 34 Minuten von Shanhaiguan nach Beijing. Dann noch ein paar Kilometer in der Stadt weniger schnell.

Am Vortag waren wir bereits am Bahnhof gewesen weil wir dort unsere Fahrräder aufgeben wollten. So hatten wir das auf dieser Tour bisher immer gemacht, am Vortag die Räder mit dem Frachtzug nach Beijing schicken und am nächsten Tag dann hinterher reisen. Aber dieser Versandservice wurde eingestellt, wie wir gestern erfahren mussten. Wir sollen doch die Räder einfach mit in unseren Zug nehmen sagte man uns. Na ob das gut geht?

Musste es ja, wir brauchten doch noch unsere Räder in Beijing. Also sind wir heute Morgen mit den Rädern und Gepäck zum Bahnhof gefahren. Dort hieß es zwar zunächst, dass wir die Räder auseinander nehmen sollten, aber ich fand es reichte aus, wenn wir nur die Lenker quer stellen. Das fanden die Sicherheitsleute vom Bahnhof dann auch und gewährten uns Einlass.

In China kann man nicht einfach so auf den Bahnsteig gehen, sondern muss in einem Warteraum oder der Vorhalle warten, bis der gebuchte Zug aufgerufen wird. Also warteten wir. Dann ging es aber plötzlich ganz fix, wir mussten unseren Krempel durch eine Unterführung wuchten (eine Treppe runter, eine rauf), dann war der Zug auch schon da und wir wurden zur Eile getrieben. Die Räder stellten wir einfach in den Eingangsbereich. Einsteigen bitte, Türen schließen automatisch, Vorsicht an Gleis 2, Abfahrt.

Aus unerfindlichen Gründen hatte das lokale Reisebüro zwei Fahrkarten gebucht, einmal von Shanhaiguan nach Beidaihe und von Beidaihe nach Beijing. Gleicher Zug, aber andere Sitzplätze in einem anderen Wagen. Den Wagen zu wechseln kam aber wegen der Räder nicht in Frage, also blieben wir einfach dort und überließen unsere Plätze anderen. H und ich saßen ohnehin auf dem Boden bei den Rädern, A und P studierten stehend das chinesische Zugleben und die Geschwindigkeitsanzeige.

Unser Zug gehörte zwar zur Hochgeschwindigkeitsserie, kam aber nie an die 200 km/h Marke heran. Die Strecke ist wohl noch nicht dementsprechend ausgebaut. Die Züge tragen den Namen Harmonie (和谐). Damit war es aber kurzfristig mal vorbei. Irgendwann während der Fahrt kam nämlich der Zugchef an und meinte die Räder könnten dort nicht stehen bleiben. Nach meinem Hinweis, dass es doch nur noch zwei Stunden bis Beijing wäre und der Frage, wo wir die Räder sonst hinstellen sollen, kam er sichtlich in Gewissensnöte. Dann hatte er den gesichtswahrenden Einfall: Wir sollten unbedingt bei den Rädern bleiben (was wir ohnehin gemacht haben) und andere Mitreisende auf die Gefahr hinweisen. Besonders kleine Kinder. Kein Thema, versicherte ich ihm, wir werden dafür sorgen, dass sich niemand ernsthaft verletzen wird. Wir achten auf die Sicherheit (注意安全)! Das war dann der Deal.

Ankunft in Beijing kurz vor 2 Uhr am Nachmittag. Der Tag ist noch jung! Also radelten wir kurz bei unserem Hotel in Beijing vorbei, schmissen die Klamotten in die neuen Zimmer und düsten gleich weiter zum Lamatempel (Yonghegong 雍和宫). Dieser gehört ganz zweifellos zu einer der schönsten Tempelanlagen in China. Nicht so groß und erschlagend, einfach wohlproportioniert, alles ist in sich stimmig und schlüssig. Mit andren Worten: Ein rundum harmonischer Tempel. Beijing hatte uns mit einem phantastisch blauen Himmel empfangen und wir genossen den Tempel in der spätnachmittaglichen Sonne bei immer weniger Besuchern, denn ab 16:00 Uhr ist kein Einlass mehr, um 17:00 Uhr ist dort Feierabend.

Ruhetag am Lugu See

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Der Tag am See beginnt mit einem Umzug in die Jugendherberge, die für diesen Regentag über sehr geeignete Aufenthaltsräume verfügt (die andere Herberge war bei allen durchgefallen). Mitten auf dem Lugu See prasselt es auf uns herab, wir haben keine Chance zu entkommen. Auf der Wanderung hätte dieser Regen die Stimmung sehr gedrückt. So kommen eben alle mitgebrachten Regensachen zum Einsatz. Auf zwei Inselchen besichtigen wir kleine Tempelklöster und erreichen das Ufer, bevor der Wind richtig zulegt und wild über den See fegt.

Am Lugu See ist es touristisch geworden, es gibt eine kleine Flaniermeile, Cafés und Restaurants, aber die großen Massen bleiben noch aus. Es sind vor allem junge chinesische Individualtouristen, die den weiten Weg hierher finden. Paare oder kleine Gruppen tummeln sich am Ufer, um das gefühlt hunderttausendste Foto der Saison zu machen. Gut, dass ich diese Gegend nicht „von früher“ her kenne, denn so gefällt mir das Fleckchen Erde ganz gut. Der Lugu See ist eine der Gegenden, in denen das Matriarchat noch gelebt wird. Die Mosuo Frauen schicken (wie schon berichtet) ihre Männer tagsüber vom Hof, mehr haben wir diesmal nicht herausfinden können.

Das Wasser ist klar (Schwimmen ist aus Umweltschutzgründen leider nicht erlaubt), die Berge ringsherum sind noch dicht bewaldet, ein wenig (Regen)Idylle können wir nach der Wanderung schon vertragen.

我们是好汉

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Eine Überdosis Mauer in Shanhaiguan.

Der Spruch „Wer nicht auf der Großen Mauer war ist kein ganzer Kerl“ (不到长城非好汉) fiel ja hier im Blog schon mal. Er steht übrigens auch auf dem Stein im Bild in der 2. Reihe da unten, von Mao eigenhändig kalligrafiert. Hätten Sie es entziffert? Der Titel dieses Blogeintrags lautet simpel „Wir sind ganze Kerle“. Eigentlich ja schon längst, denn die Große Mauer hatten wir bereits vor zwei Wochen das erste Mal erklommen. Aber heute nochmal eine volle Dröhnung. Und eine Krönung dazu, denn wir hatten das (offizielle) östliche Ende der Großen Mauer erreicht.

Aber zuerst schauten wir uns die Befestigungsanlage rund um den „Ersten Pass unter dem Himmel“ (天下第一关) an und stiegen dort auch gleich hoch auf die Mauer. Einmal links rum soweit man konnte, einmal rechts rum. Weitere zwei Kilometer in unserer Sammlung. Am Interessantesten waren jedoch die Aktivitäten auf dem Sportplatz der Mittelschule Nr. 1 von Shanhaiguan. Dort übten die Klassen für die große Parade am 1. Oktober (Nationalfeiertag). Erst wimmelte und wuselte es wie bei den Bundesjugendspielen, aber irgendwann hatten sich alle Klassen gefunden und konnten marschieren. Wir marschierten weiter.

Nämlich zur Residenz der Familie Wang. Die Wohnanlage ist noch original aus den letzten Jahren der Qing Dynastie (1644 bis 1911) und man hat die vielen Räume mit Haushaltsgegenständen aus dieser Zeit eingerichtet. Ein netter Einblick in das Leben einer wohlhabenden Familie des alten Chinas. Nicht so nett fanden wir die winzigen Schuhe, in die gebunden Frauenfüße gesteckt wurden. Die waren kleiner als die Schuhe eines vierjährigen Kindes 🙁

Jetzt aber endlich wieder Mauer! Und Meer. Das Meer mit Mauer ist 6 Kilometer von Shanhaiguan entfernt. Also eine Aufgabe für unsere Räder. Die holten wir im Hotel ab und 20 Minuten später waren wir beim Alten Drachenkopf (老龙头). So wird die Festungsanlage genannt, die direkt am Meer erbaut wurde und schwer bewacht war. Man hat hier das meiste wieder aufgebaut, inklusive der Schlafsäle der Soldaten. Aber für uns am Interessantesten war natürlich der Teil, bei dem die Mauer ca. 10 Meter in das Meer hinaus ragt. Halt, das stimmt nicht so ganz. Am Interessantesten war es eigentlich am Strand durch das Wasser zu waten. Wir hatten endlich das Meer erreicht!

Der Tag war trübe und nicht übermäßig warm, daher hatten wir das Badezeug im Hotel gelassen. Aber die Wassertemperatur hätte es erlaubt ein paar Runden darin zu drehen. Schade, nächstes Mal wieder.

Unser Glück mit Flüssigkeiten von oben hielt auch heute weiter an. Wir waren kaum wieder zurück in Shanhaiguan, da ging ein heftiges Gewitter nieder. Aus den Scheiben eines Restaurants sahen wir zu, wie sich die Straße davor in einen reißenden Strom verwandelte. Dafür hatten wir für eine halbe Stunde keinen Strom mehr, der fiel nämlich aus, nachdem wir die Bestellung aufgegeben hatte. Aber in China wird ja mit Gas und Kohle gekocht und so gab es ein Candle Light Dinner. A, P und H sind noch immer fest davon überzeugt, dass der romantische Abend von China By Bike vorgebucht war.


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Mehr Gebräuche und ein Abschied

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Zhuanzi Lin nach Yongning, 15 km, 4 Stunden reine Gehzeit

Weiter geht es durch den Zauberwald, am Bach entlang und nach zwei Stunden wieder hinunter ins Tal. Irgendwo in der Ferne ist ein Donnergrollen zu hören. Wir werden doch nicht noch nass werden?

Wir wandern durch einige Yi-Dörfer. Wie wir später erfahren, herrschen hier noch alte Sitten und Gebräuche. Die Kinder werden oft schon verheiratet, sobald das Geschlecht des ungeborenen Babies bestimmt werden kann. Das wird später teuer, wenn die Ehen nicht passen und wieder geschieden werden – was mittlerweile häufig vorkäme, berichtet uns ein glücklich (und teuer) geschiedener Yi.

Blaue Zelte in den Dörfern machen uns klar, dass in Yunnan ab und zu die Erde bebt, wie hier vor drei Monaten. Das Beben hat einigen Schaden an den Häusern angerichtet und die Hilfszelte sind bisher nicht abgeholt worden.

Das Glück ist auf unserer Seite und wir erreichen Yongning kurz vor den ersten Regentropfen. Nur auf dem Weg zum tibetisch buddhistischen Tempel werden wir etwas nass.

Kurz vor dem Abschiedsessen mit unseren Pferdeleuten zeigt sich noch ein Regenbogen. Den Rückweg werden die drei Einheimischen in zwei Tagen bewältigen, wir haben fünf dafür gebraucht. Wir sind jedenfalls froh, so zuverlässige Guides gehabt zu haben und wünschen einen guten Heimweg.


Im Pumi-Land

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Gewa nach Zhuangzi Lin, 11 km, 3h 10 min reine Gehzeit, 580 m Aufstieg

Die heutige Etappe ist kurz, also lassen wir uns viel Zeit. Vor allem auf dem Hof einer Pumi-Familie. Es gibt so viele Details hier, dass man den ganzen Tag mit Schauen verbringen könnte: Schweine-, Kuh- und Hühnerstall befinden sich am Hofeingang hinter dem riesigen Wallnussbaum, dahinter geht es zum zweistöckigen Wohnhaus. Im Flur sind Arbeitsutensilien wie Sägen und Sättel feinsäuberlich aufgehängt, der Hof ist voller Pflanzen, außerdem wird hier Schinken getrocknet. In der Hofmitte wartet das Butterfass auf frische Yakbutter, die aber gerade aus ist. Die Symbole über der Küchentür sind mir noch weitgehend unbekannt, sie haben irgendetwas mit dem Bagua, der chinesischen Wahrsagerei, zu tun. Das obere Stockwerk ist verhangen und für Besucher gesperrt. Dort sind Bilder von verstorbenen Verwandten aufbewahrt und ein Lama hat hier eine Zeremonie abgehalten. Mehr kann ich aus dem Pumi-Dialekt nicht heraushören. Wir bekommen eine ordentliche Portion Nudeln zum Mittag und Fladenbrot und gekochte Eier als Proviant für unterwegs. Und weil wir in dieser Umgebung nicht das Gesicht verlieren wollen, hilft Andreas Sabine und Lutz beim Aufessen.

Zelten im Zauberwald stand auf dem Programm. Kaum zu glauben, aber die Beschreibung war nicht zu blumig. Dichter naturnaher Wald mit viel liegengelassenem Totholz trifft es ganz gut, die Licht- und Schattenspiele tragen zur mystischen Stimmung bei. Was uns aber viel mehr interessiert ist der Bach an unserem Zeltplatz, in dem wir uns endlich richtig waschen können und der das mitgebrachte Bier angenehm herunterkühlt. Der Rest des Tages vergeht mit süßem Nichtstun und endet mit romantischen Instantnudeln am Lagerfeuer.


Pass zwischen den Bergen und dem Meer

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

68 Kilometer vom Zushan nach Shanhaiguan. Plus 2,5 Kilometer Stadtrundgang. Fast nur bergab. Wäre da am Ende nicht der 1,8 Kilometer lange Anstieg gewesen.

Unsere letzte Tagesetappe. Da hatten wir wieder fast alles. Eine Abfahrt, einen fiesen Tunnel, recht viel Verkehr zwischen Kilometer 6 und 38, eine zerbröselnde Nebenstraße, einen kurzen, aber knackigen Pass. Und ganz viel Große Mauer.

Das Frühstück in unserer idyllischen Berghütte bekam ein Upgrade, denn wir hatten uns am Vortag im Walmart um die Ecke mit essbaren Lebensmitteln eingedeckt. Was das Hotel dazu noch servierte war dann hübsche Dekoration auf unserem Frühstückstisch.

Wieder hatte es in der Nacht zuvor geregnet (hier regnet es immer nur, wenn wir ein Dach über dem Kopf haben) und den Himmel zumindest für den Vormittag blau gewaschen. Unter diesen Voraussetzungen stürzten wir uns in die sechs Kilometer lange Abfahrt vom Zushan zur Hauptstraße. Mit einem Schnitt von 15 km/h. Denn was wir nicht wollten war Stürzen. Das hätte bei einer höheren Geschwindigkeit durchaus passieren können, die Straße windet sich in engen Haarnadelkurven und der Belag ist nicht mehr der Jüngste. Also immer schön die Hände an den Bremshebeln halten!

Dann die nächste Herausforderung: ein 1,2 Kilometer langer Tunnel. Der war zwar spärlich beleuchtet, dafür aber eine einzige Schotterstrecke mit vielen Schlaglöchern und Spurrillen. Und nass war er auch noch. Das war jedoch eher unser Glück, denn sonst hätte es gestaubt wie Hölle und uns gar keine Sicht mehr gegönnt.

Damit war die Abfahrt noch nicht zu Ende, weitere 24 Kilometer ging es fast nur nach unten. Leider kamen mit jedem Kilometer aber auch ca. 500 LKW hinzu. Diesmal auf trockenem Untergrund und daher mit zunehmender Staubkonzentration in der Luft.

Bei Kilometer 38 hatten wir die Nase voll. Fast wörtlich. Also erst mal eine kleine Stärkung (gebratene Nudeln und Maultaschen) und dann links ab in die Nebenstraße. Die hatte ich 2006 auf Google Earth entdeckt. Der Abzweig dazu ist extrem unauffällig und nicht ausgeschildert. Auch dieses Mal wäre ich wieder daran vorbei gefahren, hätte mein GPS-Empfänger nicht den richtigen Knick angezeigt.

Von nun an ging es ohne LKW und fast ohne andere Kraftfahrzeuge weiter. Und da war sie wieder, die Große Mauer! Bei Kilometer 51 schlüpften wir hindurch (siehe Bilder unten). Ein unscheinbares Tor, durch das der Dorfverkehr fließt. Keine Wachen, keine Festung, kein Eintritt, kein Hello-cola-water-beer-postcard-tshirt. Die Festung und den ganzen Rummel dazu gibt es 500 Meter später. Da kann der moderne Tourist den九门口 (Jiumenkou, Neun Tore Pass) besichtigen. Ein paar Fotos und spärliche Infos gibt es dazu hier und dort. Wir haben uns eine Besichtigung erspart, wir hatten ja noch ein paar Kilometer vor uns. Und den letzten Pass auf unserer gesamten Tour. Nur kurz und nur 100 Höhenmeter, aber immerhin.

Ankunft in Shanhaiguan pünktlich um 16:00 Uhr. Shanhaiguan bedeutet übersetzt Pass zwischen den Bergen und dem Meer. Der Name ist Programm, südöstlich von Shanhaiguan liegt das Meer, nordwestlich fangen die Berge an. Also ein strategisch wichtiger Ort im alten China, als hier noch die Grenze zum Reich der Mandschu verlief. Shanhaiguan wurde im Laufe der Geschichte mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. Das letzte Mal um das Jahr 2006 herum. Da hat man große Teile der ummauerten Altstadt platt gemacht, um eine neue Altstadt zu bauen. Bei meinem ersten Besuch hier konnten wir noch durch die alte Altstadt bummeln. Bei meinem zweiten Besuch 2006 ist meine Gruppe über die Trümmer gestolpert, die vormals Wohnhäuser und Geschäfte waren. 2012 ist da wieder eine Stadt, eine neue Altstadt. Mit Häusern, die aussehen sollen wie aus der Ming-Dynastie. Die Häuser beherbergen jedoch keine Menschen mehr. Fast alle sind auf Geschäft und Laden ausgerichtet, aber nur ein Bruchteil davon ist vermietet.

Nach einer kurzen Verschaufpause spazieren wir durch diese neue tote Altstadt. Wir finden zwar noch ein paar Gassen, die nicht der Abrissbirne zum Opfer gefallen sind, ansonsten ist die Stadt innerhalb der Mauern so gut wie ausgestorben. So ausgestorben, dass wir Mühe haben ein Restaurant zu finden. Wir nehmen dann das letztbeste und das Essen ist zwar genießbar, aber nichts, von dem man zu Hause berichten würde.

Ich will mein altes China zurück, nicht das neue alte!


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Faltenrock und Hausverbot

Die Oberen Schluchten des Yangzi, 15.09. bis 07.10.2012

Von Shanmei nach Gewa, 16 km, 5 Stunden reine Gehzeit, 1085 m Aufstieg

Was ist nun besser, das Radfahren oder Wandern? Irgendwie hat beides seine Vor- und Nachteile. Als überzeugte Radlerin mag ich den Wind um die Nase, das Tempo und die Freiheit an Rücken und Füßen. Auf längere Strecken muss man beim Wandern verzichten. Dafür hat man Zeit, die Gegend zu betrachten und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Keine Hupen, keine Überholmanöver, keine Plattfüße, die geflickt werden wollen, aber auch fast keine Menschen unterwegs.

Ich muss an das Buch „Das Land der Töchter“ denken, eine Kindheit im Matriarchat der Mosuo. Die Mosuo sind so etwas wie eine Untergruppe der Naxi mit viel tibetischem Einfluß. An den Hängen wehen Gebetsfahnen, der Duft von Yakbutter hängt in den Häusern und die/der erste Stupa taucht auf. Natürlich möchte ich wissen, wie es heutzutage bei den Mosuo zugeht, und frage am Abend am Feuer in unserer Herberge (heute zur Abwechslung mal richtige Zimmer) nach. Eigentlich müssen sich die Männer am frühen Morgen durch die Hintertür hinausschleichen und dürfen erst am Abend wiederkommen. Was sie dann den ganzen Tag machen? Ein wenig arbeiten und ein wenig relaxen, vermutet Lucy und meint, dass die Frauen hier am fleißigsten seien. Bei den Mosuo dieser Gegend ist es heute nicht mehr ganz so streng, die Männer dürfen sich auf tagsüber auf dem Hof aufhalten und nützlich machen. An die alten Zeiten erinnert nur noch die Oma, die im dunklen Faktenrock, bunt bestickter Weste und hübsch gewickeltem Turban auf der Treppe sitzt, aber nicht fotografiert werden möchte. Am Lugu See könne man noch Formen des Matriarchats finden. Ich vermute aber, dass unser Aufenthalt dafür zu kurz sein wird.


Stairway to Heaven

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Viel rumgerenne auf dem Zushan. Dazu zwei oder drei Kilometer mit Bus und Seilbahn. Rund 1.000 Höhenmeter.

Heilige und touristisch erschlossene Berge in China haben alle eine essentielle Gemeinsamkeit: Treppen. Seien es in den blanken Fels gehauene Stufen, seien es Stufen gelegt aus bearbeiteten Steinen. Das Ergebnis der Besteigung eines solchen Berges ist immer das gleiche: Heftige Schweißausbrüche beim Aufstieg und übelster Muskelkater am Morgen nach dem Abstieg.

Der Zushan (zu Deutsch etwa Berg der Vorfahren), den wir am Vortag erreicht hatten, bildet bezüglich Treppen keine Ausnahme. Aber hier gibt es eine besondere Treppe. Sie ist 550 Meter lang, führt schnurgerade nach oben und überwindet auf 1.111 Stufen (wir haben sie wirklich gezählt!) fast 190 Höhenmeter. Endpunkt ist der höchste Gipfel der umliegenden Gebirgskette, der Gipfel der Himmelsfee (etwas salopp von mir übersetzt, auf Chinesisch 天女峰).

Ich kannte diese Treppe bereits von meinem ersten (und bis dato letzten) Besuch 2006. Damals traf sie uns unvorbereitet, denn Infos über den Zushan, der nur sehr selten von Ausländern besucht wird, gab es keine, nicht mal auf chinesischen Webseiten. Heute war ich und damit die ganze Gruppe also vorgewarnt. Nach dem Frühstück (wenn man das, was uns serviert wurde, Frühstück bezeichnen möchte) latschten wir zunächst auf dem betonierten Weg, der zum Parkplatz unterhalb besagter Treppe führte. Wir hätten auch eine Treppe nehmen können, logisch, aber Treppenstufen wollten wir uns für später aufheben.

Nach einer Stunde und einigen Serpentinen standen wir also davor. Vor der 550 Meter langen Treppe. Sie erschien nicht mehr so imposant wie 2006, denn inzwischen hatte man zwei Pavillons zwischendrin eingebaut, welche die Sicht auf das ganze Monster bis ganz nach oben teilweise versperrten. Vielleicht kam uns der Aufstieg nach oben auch deshalb viel leichter vor als ich es von 2006 in Erinnerung hatte. Schon nach einer halben Stunde waren wir oben. Schnaufend, aber nicht ausgelaugt. Vielleicht sind meine Teilnehmer dieses Jahr auch einfach nur in besserer Kondition und ich selbst werde mit jedem Jahr fitter.

Was hatte ich weiter oben bezüglich Abstieg und Muskelkater geschrieben? Ebenfalls neu im Vergleich zu 2006 ist ein Wanderweg, der auch zum Gipfel führt. Oder vom Gipfel weg, je nachdem wo man ihn beginnt. Den haben wir natürlich für den Abstieg gewählt, denn darauf gibt es bedeutend weniger Stufen. Und lauschig ist er obendrein. Hoch kämpfen, runter kutschieren, das war jetzt unsere Devise. Also nahmen wir einen Shuttlebus in Richtung Hotel.

Auf dem Weg nach oben hatten wir eine Seilbahn entdeckt, die nach unten führte! Mensch, hier gibt es scheinbar noch mehr zu sehen. Das Abenteuer wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Jedenfalls A, P und C. H hatte eine Fahrradtour gebucht, sein Pensum an Wanderungen war für diesen Tag bereits gedeckt. Damit trennten sich unsere Wege für die nächsten Stunden. Während H zum Hotel zurück lief bestiegen APC die Seilbahn nach unten.

Irgendwo in diesem Blog hatte ich mal erwähnt, dass ich an Höhenangst leide. Das ist ein ziemlich nerviges Gebrechen. Sollten Sie ein ähnliches Leiden haben kann ich nur diesen Tipp geben: Fahren Sie niemals mit der Seilbahn am Zushan! Sie werden sieben Tode sterben. Vielleicht sogar acht. Es geht steil nach unten/oben (abhängig aus welcher Richtung Sie kommen) und teilweise ist zwischen Ihnen und dem Boden darunter ein Kluft von mehreren Kilometern. Gefühlte Kilometer, in Wirklichkeit sind es nur maximal 150 Meter. Die können aber auch schmerzhaft sein, wenn man sie im freien Fall zurück legt und dann aufschlägt.

Ich lag also wimmernd auf dem Boden der Gondel, A und P genossen die gute Aussicht und gaben mir Ratschläge, wann ich mit der rechten Hand meine Kamera an die Scheibe drücken sollte um ein Foto zu knipsen. Die linke Hand war besetzt, sie deckte meine Augen ab.

Jetzt aber genug geflennt, weiter mit unserem Tagestrip. Die Seilbahn hatte uns auf 500 Höhenmeter unterhalb unseres Hotels befördert, die mussten wir jetzt wieder zurück nach oben. Aber bitte zu Fuß. Und, wie sollte es anders sein bei Bergen in China, über Treppen! Hoch ging es durch eine enge Schlucht, immer vorbei an einem Bergbach. Der plätscherte vor sich hin, ab und an trafen wir Leidensgenossen die weniger litten als wir, da sie von oben kamen. Dann war Smaltalk und Fotoshooting angesagt.

Unser kurzer Tagesausflug am Zushan endete gegen 16 Uhr am Hotel. Nach rund 1.000 Höhenmeter. Hoch, denn runter haben wir uns überwiegend transportieren lassen. Um keinen Muskelkater am nächsten Tag zu haben.


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Ohne Titel

Auf den Spuren des Drachen, 08. bis 30.09.2012

Von Qinglong zum Zushan. ¾ der Gruppe ist 71 Kilometer geradelt und hat sich 12 Kilometer chauffieren lassen. ¼ der Gruppe ist 83 Kilometer geradelt. Die Frisur sitzt.

Heute fasse ich mich mal kürzer…

Wenig inspirierendes Frühstück im Hotel. Abfahrt um neun Uhr.
Die ersten 30 bis 40 Kilometer folgen wir dem dichten Verkehrsfluss. Dann dünnt sich dieser merklich aus und wir folgen einem richtigen Fluss. Der mäandert fröhlich vor sich hin und wir mäanderten fröhlich mit ihm. Sehen sie sich mal unsere Strecke auf der Karte da unten an!

Ab und an werden die Flussschleifen durch einen Tunnel abgekürzt. Da sind wir dann nicht mehr ganz so fröhlich, denn die meisten Tunnel sind ohne Beleuchtung. Was für uns bedeutet: Anhalten, Beleuchtungsanlagen (Stirnlampen, Taschenlampen, Rücklichter) installieren. Augen auf und durch.

Nach den laut Programm versprochenen Kilometern auf den Rädern sind A, P und C ziemlich groggy und froh, dass nun ein Transfer hoch zum Berg Zu erfolgte. Nur H hat noch nicht genug. Der muss unbedingt die letzten 12 Kilometer und 650 Höhenmeter mit dem Rad zurück legen. So ist halt die Jugend von heute. H ist in Rekordzeit hochgestrampelt. Fetter Respekt dafür!

Das gab es heute auf meine Ohren: Giorgia Fumati (From My Heart) und Jazz Up The Beatles.


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